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Aber auch die Kinder hatten sich von ihrer Überraschung erholt und gingen nun erneut zum Angriff über. Und diesmal verlegten sie sich auf eine andere Taktik. Sie versuchten nicht mehr mit Steinen zu werfen oder ihre Messer durch Lücken in der Schildmauer zu stoßen, sondern griffen mit schrillen, an Vogelrufe erinnernden Schreien an, klammerten sich mit ihren kleinen Händen an die Schildränder und versuchten den Wall aus Schilden zu übersteigen.

Es war ein bizarrer, unwirklicher Kampf. Ich sah, wie die Reihen der Templer zu wanken begannen. Immer wilder und wilder wogten die Labyrinthkreaturen herum, und einer der Tempelritter taumelte mit einem Schmerzensschrei zurück, ließ seinen Schild fallen und wurde im letzten Moment von zwei seiner Kameraden gedeckt.

Looskamp deutete keuchend auf den Mauerdurchbruch, durch den die Kinder gekommen waren. »Dorthin!« sagte er schweratmend. »Schnell!«

Ich sah eine Bewegung aus den Augenwinkeln und warf mich instinktiv zur Seite. Dort, wo ich einen Sekundenbruchteil zuvor gestanden hatte, krachte eine fast meterlange Eisenstange zu Boden und zermalmte den Stein. Ein wütendes Kreischen erscholl.

Ich wirbelte herum. Der Bursche, der nach mir geschlagen hatte, stieß ein enttäuschtes Zischen aus, riß seine Eisenstange mit erstaunlicher Kraft in die Höhe und holte zu einem zweiten, besser gezielten Hieb aus. Blitzschnell sprang ich auf ihn zu und versetzte ihm eine Backpfeife. Er ließ die Stange fallen und begann zu weinen.

Der Anblick schien irgend etwas in mir zu zerbrechen. Wut, unbezwingbare, kochende Wut auf die Bestie, die dieses Labyrinth erschaffen hatte, wallte in mir empor und fegte jeden klaren Gedanken beiseite. Dieses Ding da vor mir war kein Kind, sondern nur ein Schatten, auf widernatürliche Art am Leben erhalten und zu einer ewigen, mörderischen Existenz gezwungen.

Ich hatte mir geschworen, die dämonische Macht, die tief am Grunde meiner Seele lauerte, nie wieder zu entfesseln, das tödliche Erbe meines Vaters auf ewig gefangen- und stillzuhalten. Aber mein klares Denken war ausgeschaltet. Ich fuhr auf, schrie vor Zorn und riß in einer beinahe beschwörenden Geste die Arme hoch.

»Komm her!« hörte ich meine eigene Stimme schreien, laut, unglaublich laut und dröhnend, Worte bildend, die nicht aus mir heraus kamen, sondern aus dem schrecklichen, brodelnden Ding in meiner Seele, dem dämonischen Erbe meines Vaters. »Komm heraus und zeige dich, du Bestie! Komm her und kämpfe selbst, wenn du den Mut dazu hast!«

Etwas Sonderbares geschah. Für einen zeitlosen Augenblick war mir, als ginge eine rasche, unruhige Bewegung durch unsere Umgebung, ein Zucken, als wäre alles nichts als ein bewegliches Bild, das eine unsichtbare Hand blitzartig zusammenzog und wieder straffte. Ein tiefer, drohender Laut erscholl; ein Brummen und Rauschen, wie ich es noch nie zuvor vernommen hatte.

Dann endete der Kampf. Plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, ließen die Labyrinthgeschöpfe von ihren Gegnern ab. Ihre Arme sanken herab; Messer und Knüppel fielen zu Boden, und das bizarre Heer zog sich wie ein großes, aus vielen einzelnen Gliedern bestehendes Tier zurück.

Das Licht flackerte. Für einen Moment wurde es dunkel, dann kam die Helligkeit zurück, aber es war ein anderes, giftgrünes Licht diesmal, ein unheiliger böser Schein, der aus keiner bestimmten Quelle kam, sondern aus der Luft direkt zu strömen schien, und ich sah, wie die vermeintlichen Kinder plötzlich zur Reglosigkeit erstarrten, eines nach dem anderen zu Boden sanken und zu Staub zerfielen.

Das grüne Glühen verstärkte sich. Irgendwo zwischen mir und dem Altar mit dem toten Priester begann sich vage Bewegung zu bilden, kein Körper, sondern ein wesenloses Glühen und Wogen, als zöge sich das Licht dorthin zurück, um ein Loch in die Wirklichkeit zu brennen.

Und genau das war es auch.

Der grelle Glanz wurde unerträglich. Ein wabernder, wie eine winzige Sonne gleißender Ball entstand, anderthalb Meter über dem Boden reglos in der Luft schwebend, zog sich weiter zusammen, dehnte sich weiter aus, zog sich wieder zusammen ...

Schneller und schneller wurde sein Pulsieren, bis es schlug wie ein gewaltiges, rasendes Herz. Ein widerlicher summender Ton erfüllte plötzlich das zerfallene Kirchenschiff, und mit einem Male hörte ich einige von Looskamps Männern vor Schreck aufschreien.

Im Zentrum des pulsierenden Herzens aus Licht erschien eine Gestalt.

Zuerst war es nur ein Schatten, halb durchsichtig und an den Rändern verlaufen, wie von Säure zerfressen. Dann gewann er an Substanz und Größe, wuchs, dehnte sich aus und wurde zu einer absurden, tentakelbewehrten Monstrosität.

Das Ding war fast doppelt so groß wie ein Mann und massig wie ein Bär. Sein Leib war ein aufgedunsener grauschwarzer Ball, triefend vor Schleim und Algen, und unter seinem Kopf, der von einem einzigen, rotflammenden Auge beherrscht wurde, saß ein Kranz peitschender, saugnapfbewehrter Tentakeln, doppelt so lang wie ein menschlicher Arm und ständig in unruhiger Bewegung, wie ein Nest schwarzer, sich windender Schlangen. Aus seinen Schultern wuchsen zwei gewaltige, muskulöse Arme, die in fürchterlichen, an groteske Hummerscheren erinnernden Klauen endeten.

Und dann hörte ich die Stimme.

Sie war mit nichts vergleichbar, was ich jemals zuvor vernommen hatte; keine Stimme, sondern ein Grollen wie das Brüllen eines erzürnten Gottes, ein unglaublich lautes und böses Schreien, das das Kirchenschiff in seinen Grundfesten erheben ließ.

»Du hast mich gerufen!« donnerte sie. »Ich bin hier, Craven! Lange habe ich auf diesen Augenblick gewartet, allzulange, Robert Craven! Ich habe dich erwartet! Dich, den Sohn des Magiers! Jetzt komm her und kämpfe!«

Das Monstrum bäumte sich auf. Seine Tentakeln peitschten wütend die Luft, die gigantischen, tangbewachsenen Klauen zuckten in meine Richtung, und das faustgroße, rote Auge flammte auf.

Unter den Tempelrittern begann eine Panik auszubrechen. Schreiend wichen sie zurück, ließen ihre Waffen fallen und bargen die Gesichter in den Händen; Looskamp brüllte irgend etwas, das ich nicht verstand. Der Boden erzitterte unter der Wut der Dämonenstimme, und von der Decke regneten Steine und zerborstene Balken herab.

Aber ich nahm von alledem kaum etwas wahr. Ich war wie gefangen in einem Rausch. Alles in mir war Zorn, ein unglaublicher, uralter Zorn, der warnungslos aus meiner Seele hervorbrach und mein klares Denken in ein Chaos verwandelte. Mein ganzes Denken und Wahrnehmen war auf einen kleinen, winzigen Ausschnitt der Wirklichkeit konzentriert, in dessen Zentrum sich das grüne Leuchten und die schwarze Monstrosität befand, die es geboren hatte.

Und ich spürte, wie sich meine Hand um den Griff des Stockdegens schloß ... Mein Körper spannte sich, sammelte Kraft für den Sprung, eine Bewegung, die ohne und gegen meinen Willen erfolgte, als wäre ich nicht mehr Herr meines Leibes, sondern nur noch ein unbeteiligter, hilfloser Beobachter.

»Ja«, flüsterten meine Lippen. »Ich komme!«

Das waren nicht meine Worte, so wenig wie die Bewegung, die meine Hand machte, als sie den Stockdegen aus seiner Umhüllung löste, meine Bewegung war. »Ich komme!« flüsterten meine Lippen. »Auch ich habe auf diesen Moment gewartet, viel zu lange.«

Ich wollte schreien, aber nicht einmal das konnte ich. Mein Arm hob sich, schwang den Degen, und ein gellender Schrei brach über meine Lippen. Das Monstrum vor mir breitete mit einem zornigen Kreischen seine Scherenarme aus und ließ die Tentakel peitschen.

Das letzte, was ich registrierte, war eine rasche, ruckhafte Bewegung neben mir.

Und Looskamps Hand, die in meinen Nacken krachte und mein Bewußtsein auslöschte.

Zum ersten Mal in seinem nach Jahrmillionen zählenden Leben verspürte es einen sanften Hauch von Beunruhigung, ja, beinahe Furcht; ein Gefühl, das ihm bisher fremd gewesen war.