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»Warum sind wir wirklich hier?« fragte ich leise.

Ger schwieg einen Moment. »Was ... meinst du damit?« fragte er. Seine Stimme klang lauernd.

»Das weißt du genau«, antwortete ich, noch immer sehr leise, damit keiner der anderen unsere Unterhaltung hörte, aber scharf und fordernd.

»Wir sind nicht hier, um dieses Labyrinth zu vernichten«, behauptete ich. »Das können wir nicht. Weder ich noch du. Nicht fünftausend deiner Ritter, und wenn sie noch so mächtig sind; geschweige denn fünfzig. Warum sind wir wirklich hier?«

»Ich sage die Wahrheit, Robert!« sagte Ger, aber ich unterbrach ihn mit einer zornigen Geste und fuhr ihn an:

»Versuche nicht, mich zu belügen, Ger«, sagte ich. »Ich bin ein Magier, vergiß das nicht. Man kann mich nicht belügen. Niemand kann das. Ich spüre, wenn man mich belügt.«

Ger hielt meinem Blick einen Moment lang stand, dann senkte er abermals den Kopf und fuhr fort, mit den Fingern im Sand zu graben. »Du hast recht«, sagte er schließlich. »Zu Anfang war es mein Plan, die Kreatur zu vernichten und dieses Satanswerk hier unschädlich zu machen. Aber ich erkannte schnell, daß das nicht möglich ist.«

»Und weshalb sind wir dann hier?« fragte ich.

Looskamp atmete hörbar ein. »Du weißt nicht viel über die Tore der GROSSEN ALTEN«, begann er. »Nicht?«

»Nur, daß es sie gibt«, antwortete ich. »Und das, was mir Balestrano erzählt hat.«

»Er hat dir erzählt, daß die Kreatur des Labyrinths aus einem pervertierten Tor entstanden ist«, sagte Ger. »Und das ist die Wahrheit. Aber wir können es nicht vernichten. Keine Macht des Universums kann das, ausgenommen der Herr selbst. Was entstand, wird bleiben, solange dieses Wesen existiert. Aber wir können es aufhalten. Wir können es daran hindern, sich noch mehr auszudehnen. Niemand vermag die armen Seelen, die ihm bisher zum Opfer gefallen sind, zu retten. Aber wir können dafür sorgen, daß es nicht noch mehr Opfer findet.«

»Und wie?« fragte ich. »Du hast mich zurückgehalten, als ich das Monster angreifen wollte.«

»Um dir das Leben zu retten, du Narr!« fuhr Looskamp auf. »Es hätte dich vernichtet. Auch deine magischen Kräfte hätten dir nicht geholfen. Nicht hier, im Herzen seiner Macht, Robert!«

»Wie wollt ihr es dann aufhalten?«

Looskamp blickte an mir vorbei. »Die Tore«, sagte er, und ich spürte, wie schwer es ihm fiel, weiterzusprechen, »sind keine ... technischen Dinge. Sie sind auch nicht magischer Natur; nicht so, wie wir dieses Wort verstehen. Sie ... leben.«

»Leben?« murmelte ich verstört. »Du meinst dieses spezielle Tor hier!«

Looskamp schüttelte ernst den Kopf. »Nicht nur dieses«, sagte er. »Es sind ... Kreaturen. Unbegreifliche Wesen, von den GROSSEN ALTEN nur für diesen einen Zweck erschaffen. Sie sind nicht wirklich in der Lage, zu denken oder eigene Entscheidungen zu treffen, aber sie leben, wenn auch in einem unbegreiflichen, fremden Sinn dieses Wortes, den wir niemals wirklich verstehen werden. Wenn wir es aufhalten wollen, dann müssen wir sein Herz erreichen und zerstören.«

Es dauerte einen Moment, bis mir der Sinn seiner Worte klar wurde. »Du meinst das so, wie du es sagst, nicht?« fragte ich. »Nicht im übertragenen Sinne. Es gibt dieses Herz wirklich.«

Ger nickte. »Ja. Niemand weiß, wie es aussieht, aber es gibt dieses Herz, in jedem Tor. Der Sitz seines Lebens. Wenn wir ihn finden und zerstören, wird es wenigstens aufhören zu wachsen.«

»Und du glaubst, es würde tatenlos zusehen, wie wir -«

»Natürlich nicht«, unterbrach mich Ger. »Aber wir werden einen Weg finden, zu ihm zu gelangen.« Er machte eine weitausholende Geste, die die ganze gigantische Höhle einschloß. »Es ist nicht mehr weit«, sagte er. »Ich spüre seine Nähe bereits, wie den Höllenatem Satans.«

Ich antwortete nicht gleich, sondern sah mich noch einmal in der großen, vollkommen leeren Höhle um. Aber wieder konnte ich nichts anderes erkennen als eine schier endlose Ebene aus braunem Sand und Lavaklumpen und Ungewissen Schatten, irgendwo sehr, sehr weit entfernt. »Wo sind wir überhaupt?« fragte ich schließlich.

»Unter dem Labyrinth«, antwortete Ger nach kurzem Zögern. »Wir fanden einen Tunnel, nachdem wir die Kirche verließen. Er brachte uns direkt hierher.« Plötzlich bebte seine Stimme hörbar. »Es muß ganz nahe sein«, flüsterte er, mehr zu sich selbst als zu mir gewandt. »Wir sind tief unter der Stadt, vielleicht sogar unter dem Meer. Dies muß eine der verfluchten Höhlenwelten sein, von denen die alten Bücher sprechen.«

Seine Worte ließen auch mich erschauern. Hieß es nicht im NECRONOMICON, Cthulhu selbst läge ertrunken in seiner verfluchten Stadt R’lyeh am Grunde des Meeres und verträume die Ewigkeit?

Ich verjagte den Gedanken, aber er verschwand nicht ganz, sondern blieb wie ein unangenehmer Geschmack dicht unter der Oberfläche meines Bewußtseins zurück.

»Dies muß der Ort sein, an dem das ursprüngliche Tor stand«, fuhr Looskamp mit leiser Stimme fort. »Ich frage mich, wohin es geführt hat. Welche Schrecken mag diese Höhle geborgen haben, Robert?«

Ein dumpfes Gefühl von Hoffnungslosigkeit breitete sich in mir aus. Beinahe wäre mir wohler gewesen, wenn wir noch in der bizarren Umgebung des Labyrinths gewesen wären. Dort hatte es wenigstens ein »Irgendwo« gegeben, zu dem wir gehen konnten. Hier gab es nichts. Nichts als Sand und Leere. Ich fühlte mich verloren.

Ger deutete auf die dünne, schwarze Linie am Horizont. Wieder glaubte ich einen schwachen Hauch von Salzwassergeruch in der Luft zu spüren, und wieder war mir, als erinnerte ich mich an etwas, konnte aber auch diesmal nicht sagen, was es war. Dann verging das Bild, und zurück blieb ein Gefühl sonderbarer Leere.

Mit einem lautlosen Achselzucken stand ich auf und reihte mich in die zerbrochene Kette taumelnder Gestalten ein.

Zwei Stunden später erreichten wir den Strand. Was von weitem wie die Uferlinie eines Flusses oder Sees ausgesehen hatte, erwies sich beim Näherkommen als ein gewaltiger, mattschwarzer Ozean, dessen Wellen lautlos gegen einen Lavastrand rollten und das Licht verschluckten.

Nach und nach waren auch die ersten Überlebenden des kleinen Heeres zu uns gestoßen. Es waren nicht viele; Ger und mich mitgerechnet, waren wir nicht einmal mehr zwanzig, und kaum einer von uns war unverletzt. Es war ein zerschlagener, mutloser Haufen, in dem wir uns dem Strand entgegenschleppten. Keiner von uns gab sich noch der Hoffnung hin, dieses Labyrinth des Wahnsinns noch einmal zu verlassen. Wir waren weiter von der wirklichen Welt entfernt als je zuvor. Vielleicht waren wir nicht einmal mehr in unserer Zeit.

Der Salzwassergeruch wurde fast unerträglich, je mehr wir uns dem Strand näherten. Die Lautlosigkeit, mit der die finsteren Wellen heranwogten, hatten etwas Bizarres, und als ich genauer hinsah, fiel mir auf, daß die Bewegung des Wassers sonderbar träge und langsam wirkte, als wäre es gar kein Wasser, sondern Sirup oder geschmolzenes Pech.

Müde erreichte ich das Ufer, ließ mich dicht vor der Flutlinie auf die Knie sinken und tauchte vorsichtig den Finger in eine der heranrollenden Wellen.

Das Wasser war kalt und fühlte sich zäh an, irgendwie schleimig, und als ich den Finger an die Lippen hob und ganz vorsichtig kostete, hatte ich das Gefühl, mit purem Salz in Berührung gekommen zu sein.

Und dann ...

Das Bild entstand so plötzlich in meinem Geist, daß ich unwillkürlich zusammenfuhr.

Für einen Moment glaubte ich ein Kamel zu erblicken, die mumifizierte Leiche eines Arabers in einem zeitlosen Augenblick auf seinem Sattel erstarrt, beide konserviert und aufrecht gehalten von einer unendlichen Einöde salzigen Wassers, das sie einschloß. Dann schälten sich die Umrisse der Stadt aus dem grauen Nebel meiner Erinnerungen ...