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Es kostete mich unsägliche Mühe, die Bilder, die mir meine überreizten Nerven vorgaukeln wollten, zu vertreiben und mich darauf zu konzentrieren, weiterzugehen und auf dem schlüpfrigen Fels der Brücke nicht die Balance zu verlieren.

Je näher wir der Insel kamen, desto mehr Einzelheiten konnte ich erkennen, und nichts von dem, was ich sah, gefiel mir. Der Strand, der wie die gesamte Insel aus nacktem schwarzen Fels zu bestehen schien, war mit unförmigen dunklen Wesen übersät, Bewohnern der salzigen Tiefen, in denen R’lyeh bisher geschlafen und geträumt hatte, abrupt mit in die Höhe und den Tod gerissen. Manche der schwarzen, ekelhaft deformierten Leiber zuckten und zitterten noch, Flossen peitschten den Stein, faustgroße schwarze Augen blickten unverstehend in eine Welt, die ihnen fremd war und ihnen den Tod brachte, zahllose Münder schnappten vergebens nach Luft ...

Ein gellender Schrei riß mich aus meinen Gedanken. Einer der Männer hatte auf dem schlüpfrigen, mit schmierigen Algen und Tang bewachsenen Fels der Brücke den Halt verloren und war in die Tiefe gestürzt. Das Wasser spritzte auf, als er hineintauchte, dann, für Bruchteile von Sekunden, bäumte sich ein mit Zacken und Flossen bewehrtes Etwas in den Fluten auf und verschwand wieder.

»Geh ... weiter«, krächzte Ger hinter mir. Seine Stimme bebte. Aber er schob mich behutsam voran, und sein Griff war fest.

Die Dunkelheit ballte sich um uns zusammen, als wir uns der Insel weiter näherten. Ein kalter, irgendwie klebriger Hauch mischte sich in den Wind, und durch das starke Salzwasseraroma des Sees drängte sich der Geruch von Moder und Fäulnis. Vergebens versuchte ich, genauere Einzelheiten der schwarzen Stadt vor uns zu erkennen. R’lyeh blieb, was es war: ein wogender, sich ständig in Ungewisser Bewegung befindender Kloß aus zusammengeballter Finsternis.

Als ich von der Brücke herunter auf den gewachsene Fels der Insel trat, spürte ich das Pochen. Es war ein tiefes, ungemein dunkles und langgezogenes Vibrieren, wie das Schlagen eines riesigen, steinernen Herzens, das tief im Felsen der Insel verborgen sein mochte.

Ich schauderte. Eine unsichtbare, eisige Hand berührte etwas in meiner Seele und ließ es erstarren. Die Schatten zogen sich enger um uns zusammen.

Looskamp deutete stumm nach vorn.

Nicht weit von uns befand sich die Mauer, die die eigentliche Stadt umschloß. Bizarre Türme und Erker wucherten wie steinerne Pilze aus ihren Flanken, und da und dort hingen Gebilde wie Tränen aus Basalt, halb an der Wand herabgelaufen und mitten in der Bewegung erstarrt. Aber es gab auch einen Durchgang, ein Tor aus braunem, rostzerfressenem Eisen, mit Schlamm und grüngrauen Algen bewachsen. Es stand offen, und wie zu einer Begrüßung drehte sich in diesem Moment der Wind und trug dumpfen Modergeruch zu uns heraus.

Für einen Moment erschien mir dieses Tor wie ein aufgerissenes, steinernes Maul. Niemand, der seinen Fuß durch diese Tür setzte, das wußte ich plötzlich, würde sie je wieder in umgekehrter Richtung durchschreiten ...

Trotzdem zögerte ich keine Sekunde, weiterzugehen, als Ger das Zeichen dazu gab. Rasch näherten wir uns der Mauer und dem zyklopischen Tor, durchschritten es und standen unversehens in einer bizarren, so vollkommen fremden Welt, daß ich unwillkürlich aufstöhnte.

Es war nicht möglich, mit Worten zu beschreiben, was ich sah. Die Gebäude, die die - war es eine Straße? - Straße säumten, waren Ausgeburten einer kranken Phantasie, schwarze Scheußlichkeiten, in unmöglichen Winkeln zueinander angeordnet, nach Regeln erbaut, die den Naturgesetzen spotteten.

Der Boden unter unseren Füßen war aus hartem grindigem Stein, und trotzdem schien er auf unheimliche Weise zu leben, und der Salzwassergeruch war nun fast vollkommen dem Gestank von Fäulnis und Moder und Tang gewichen.

»Wohin ... jetzt?« fragte ich. Unwillkürlich hatte ich die Stimme gesenkt, denn ich befürchtete grausig verzerrte Echos von den Wänden widerhallen zu hören. Aber der schwarze Stein verschluckte jeden Laut, so wie er auch jedes Licht und jedes bißchen Wärme zu verschlucken schien.

Looskamp sah sich mit steinernem Gesicht um, als suche er etwas. Ich fragte mich, wie er sich in dieser sinnverwirrenden Umgebung zu orientieren vermochte, aber ehe ich eine entsprechende Frage stellen konnte, deutete er auf ein dunkles, auf den ersten Blick formloses Gebäude nicht weit von uns entfernt.

Beim Näherkommen stellte es sich als schwarzer, grob zylinderförmiger Turm heraus, an einer Seite mit schwarzen Auswüchsen versehen, wie Lava, die an seiner Flanke herabgetropft und erstarrt war.

Ein niedriges Tor führte ins Innere des Turmes, dahinter waren die ersten Stufen einer Treppe zu erkennen, die sich in Ungewisser Dunkelheit verlor. Alles in mir sträubte sich gegen die bloße Vorstellung, dort hinunter zu steigen, hinab in den Leib R’lyehs, dorthin, wo Cthulhu lag und seine bösen Träume träumte.

Aber Looskamp ging bereits mit forschen Schritten weiter, bückte sich unter dem Türsturz hindurch und verschwand in der Tiefe, ohne auch nur den Bruchteil einer Sekunde zu zögern, und auch seine Männer folgten ihm im gleichen Tempo, so daß ich ihnen wohl oder übel folgen mußte, wollte ich nicht allein in dieser Stadt des Wahnsinns zurückbleiben.

Das kranke graue Licht blieb hinter uns zurück, als wir die Treppe hinabzusteigen begannen. Ein paar Templer zündeten mitgebrachte Fackeln an, aber ihr Licht schien mir blaß und verloren, als sauge irgend etwas hier in diesem Turm die Helligkeit der Flammen auf. Der Schein reichte gerade, uns die Stufen unter unseren Füßen erkennen zu lassen.

Die Treppe führte in engen Windungen in die Tiefe hinab, und jede einzelne Stufe schien von anderer Form und Größe als die vorhergehenden, was das Gehen auf ihnen zu einer äußerst schwierigen Angelegenheit machte. Ich begann die Stufen zu zählen, verzählte mich aber bald und gab es wieder auf. Irgend etwas sagte mir, daß ich den Turm ohnehin nicht auf diesem Wege verlassen würde, wenn überhaupt.

Nach einer Ewigkeit hörte das unregelmäßige Klacken der Schritte unter mir auf, und die Fackeln, die bisher eine lang auseinandergezogene, zerbrochene Kette verlorener kleiner Lichtinseln auf der Krümmung der Treppe gebildet hatten, sammelten sich zu einem Kreis. Ich begriff, daß wir den Fuß der Treppe erreicht hatten.

Looskamp wartete, bis auch der Letzte seiner kleinen Armee zu ihm gestoßen war. Dann hob er den Arm und schwenkte seine Fackel, um das Zeichen zum Weitergehen zu geben.

Diesmal war der Weg nur kurz. Zwei, allerhöchstens drei Minuten gingen wir noch schweigend durch die lichtschluckende Dunkelheit, und ich fragte mich erneut, wie der Tempelherr die Orientierung behalten konnte.

Nach kurzer Zeit hatten wir den Raum, in den die Treppe mündete, durchquert, und standen vor einer weiteren, nur halb geschlossenen Tür aus rostzerfressenem Eisen. Tiefe, auf den ersten Blick sinnlos erscheinende Linien waren in ihre Oberfläche eingeritzt und bildeten ein abscheuliches Muster, und aus dem dahinterliegenden Raum strahlte ein grünlicher, flackernder Schein zu uns heraus.

Looskamp zögerte einen endlosen, quälenden Moment. Sein Blick streifte mich, und was ich darin sah, war ein Ausdruck, der mich erschauern ließ.

Dann gab er sich einen sichtlichen Ruck, senkte seine Fackel, legte die Hand auf die Tür und stieß sie mit einer übertriebenen heftigen Bewegung auf.

Es triumphierte. Sein Plan war aufgegangen, die Falle hinter den Sterblichen vollends zugeschnappt, und das Opfer war nahe, sehr nahe.