Nie.«
»Haltet Euch bereit, Brüder.«
Balestranos Stimme bebte vor Erregung, und auch die Bewegungen des alten Mannes hatten viel von der Ruhe verloren, die de Laurec immer so an ihm geschätzt und bewundert hatte. Seine Finger zitterten, als er langsam auf den niedrigen, altar-ähnlichen Tisch zutrat, und in seinen Augen stand ein Glitzern, das vielleicht nur Anspannung ausdrücken mochte.
Vielleicht aber auch Angst.
Angst vor dem, dachte de Laurec schaudernd, was sich außer den sieben Großmeistern der Templer-Loge noch in dem kleinen, fensterlosen Raum aufhielt.
Dem Geist des Satans.
Sarim de Laurec versuchte den Gedanken zu vertreiben und schalt sich im stillen einen Narren. Das kristallene Gebilde, das auf dem Tisch vor Bruder Balestrano stand, hatte absolut nichts mit dem Antichristen zu tun; weder im übertragenen noch im wörtlichen Sinne. Es war nichts als das Artefakt einer Rasse von vielleicht unglaublich mächtigen, aber nichtsdestotrotz sterblichen Wesen, prähistorischer Monstrositäten, denen sie in Ermangelung einer besseren Bezeichnung den Namen die GROSSEN ALTEN gegeben hatten und deren Macht an die von Göttern heranreichen mochte.
Sie hatten nichts mit dem Teufel zu tun.
Es war nicht das erste Mal, daß sich de Laurec dies einzureden versuchte. Und es war nicht das erste Mal, daß der Gedanke die beruhigende Wirkung, die er eigentlich haben sollte, verfehlte.
»Kommt näher, Brüder.« Balestrano war stehengeblieben. Jetzt hob er die Arme, streckte die Hände in einer beschwörend wirkenden Geste über das gehirnähnliche Kristallgebilde aus und schloß gleichzeitig die Augen.
Lautlos traten die sechs anderen Master des Templer-Ordens neben ihn, bildeten einen weit auseinandergezogenen Kreis um den Stein und das Kristallgehirn und ergriffen sich bei den Händen.
De Laurec fuhr unmerklich zusammen, als er die Hand Bruder Looskamps berührte. Sie war kalt wie Eis und trotzdem schweißfeucht, und als de Laurec aufsah und dem Blick des dunkelhaarigen Flamen begegnete, bemerkte er die gleiche Nervosität darin, die er schon in Balestranos Augen zu sehen geglaubt hatte.
Irgendwie beruhigte es ihn, daß er nicht allein mit seiner Furcht war.
»Jetzt, meine Brüder«, flüsterte Balestrano.
De Laurec wußte nicht genau, was Balestrano tat. Obwohl er einer der sehr wenigen Templer war, die jemals den Rang eines Masters erreicht hatten, hatte er nie verstanden, was es war, das ihn und die anderen hier im Raum von normalen Sterblichen unterschied. Er war ein ebenso begabter Magier wie die anderen hier, aber anders als Balestrano - oder auch Looskamp - bediente er sich der Kräfte, die ihm zur Verfügung standen, rein instinktiv. Er hatte niemals logisch begründen können, woher seine Macht kam. Vielleicht wollte er es auch nicht.
Aber gleich, was es war - de Laurec spürte, wie irgend etwas geschah. Unsichtbare Energien brachten die verbrauchte Luft in dem kleinen Zimmer zum Knistern. Ein unheimlicher, grünlichblauer Schein ließ die Luft erglühen, ohne daß de Laurec hätte sagen können, woher er kam, und im gleichen Moment glaubte er ein sanftes Tasten und Fühlen zu spüren, die unsichtbare Berührung der sechs anderen Geister, die sich gleich ihm auf die magische Welle des Kristallgehirnes einzuschwingen versuchten ...
De Laurec unterdrückte ein Schaudern. Es war - seinem Wissens nach - erst das dritte Mal in der gesamten Geschichte des Templerordens, daß sich eine so mächtige Loge zusammenschloß. Bei den beiden anderen Versuchen war es um nichts Geringeres als die Rettung der Welt gegangen. Und jetzt?
»Bruder Laurec!« Balestranos Stimme schnitt wie ein Peitschenhieb in seine Gedanken, und de Laurec fuhr erschrocken zusammen. Verwirrt ließ er Looskamps Hand los und wandte sich an den Großmeister. »Herr?«
In Balestranos Augen blitzte es zornig. »Beherrsche dich, Bruder«, sagte er streng. »Unsere Aufgabe ist wichtig. Das Leben zahlloser Menschen kann vom Gelingen unserer Mission abhängen. Diszipliniere deine Gedanken und beherrsche dich!«
De Laurec senkte ehrfurchtsvoll das Haupt, griff wieder nach den Händen seiner Nebenmänner und flüsterte eine Entschuldigung. Balestrano hatte recht. Ihre Aufgabe war zu wichtig, als daß er seinen Gedanken erlauben konnte, auf eigenen Wegen zu wandeln.
Erneut machte sich das lautlose Knistern und Beben magischer Energien in dem kleinen Kellerraum bemerkbar. Die Luft begann stärker zu glühen, bis der unheimliche grüne Schein das Licht der Kerzen überstrahlte und selbst durch de Laurecs geschlossene Lider stach. Der Franko-Araber glaubte ein ganz sachtes Vibrieren zu spüren, dann begann das Licht zu pulsieren; zuerst langsam, dann rascher und beinahe wütend, bis es in einen dunklen, an das Schlagen eines gewaltigen Herzens erinnernden Rhythmus fiel.
De Laurec öffnete die Augen - und stieß einen gellenden Schrei aus!
Das Zimmer hatte sich auf gräßliche Weise verändert. Auch aus dem Inneren des Kristallgehirns erstrahlte jetzt ein pulsierendes, giftiges Licht, ein Schein, so grell und gnadenlos, daß er die Gestalten der sechs anderen Templer zu flachen grauen Schemen verblassen und de Laurec die Tränen in die Augen steigen ließ. Schatten von unbestimmbarer Gestalt huschten im irrwitzigen Hin und Her durch den Raum, und plötzlich hatte de Laurec das Gefühl, in einen gewaltigen, grundlosen Schacht zu blicken, der sich vor ihm auftat.
Warum merken die anderen nichts? dachte de Laurec verwirrt.
Er versuchte, Looskamps Hand loszulassen, aber es ging nicht. Die Finger des Flamen waren steif geworden, und als de Laurec in sein Gesicht sah, erkannte er, daß das Antlitz des Flamen zu einer Maske erstarrt war.
Mit verzweifelter Kraft riß er sich los, fuhr herum - und keuchte abermals vor Schrecken.
Er war der einzige, der sich noch bewegen konnte!
Nicht nur Looskamp war wie zur Salzsäule erstarrt. Außer de Laurec selbst standen die Mitglieder der Templer-Loge reglos wie menschengroße Statuen da, mit verzerrten Gesichtern und zum Teil in grotesken Haltungen, aber unfähig, sich zu bewegen oder auch nur einen Muskel zu rühren.
»Balestrano!« keuchte de Laurec. »Brüder! Was ist mit euch?«
Aber er bekam keine Antwort.
Und plötzlich fiel ihm auch die Stille auf.
Es war keine normale Stille, sondern ein Schweigen von gewaltiger, allumfassender Tiefe. Er hörte ... nichts!
Verwirrt drehte sich der Puppet-Master des Templer-Ordens einmal um seine Achse, ließ den Blick über die Gestalten der Brüder schweifen und starrte schließlich wieder auf das Kristallgehirn herunter.
Etwas hatte sich daran verändert, aber er vermochte nicht zu sagen, was. Zögernd machte er einen Schritt auf den niedrigen Altartisch zu, ließ sich auf ein Knie sinken und streckte die Finger nach dem riesigen Diamantgebilde aus.
Im gleichen Augenblick zerbrach die Wirklichkeit.
Es war, als zersplittere die Welt unter einem ungeheuren Hammerschlag. Ein greller Blitz löschte das grüne Leuchten aus, und plötzlich waren überall Flammen und rotes, heißes Licht. Dann ...
Es war wie die Berührung einer unsichtbaren Hand, ein Tasten und Wühlen und Suchen in de Laurecs Gehirn, als drehe etwas jeden einzelnen seiner Gedanken herum, sondiere seine Seele bis in die Tiefen und hinterließe nichts als Chaos. Er spürte die Gegenwart einer fremden, unglaublich bösen Macht, das plötzliche, fast explosive Auftreten finsterer Energien, die aus den Abgründen der Zeit emporstiegen wie glühende Lava aus dem Schlund eines Vulkans.
Das Kristallgehirn begann zu pulsieren. Kleine, graue Flecke erschienen mit einem Male in der Luft, wuchsen in rasendem Wirbel heran und bildeten zerfaserte Nebelgebilde, die wie mit dünnen grauen Spinnfäden miteinander verbunden waren.