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De Laurec nickte. »Seit geraumer Zeit. Und dieser Narr Craven ist ebenfalls auf dem Weg hierher.«

Balestrano machte eine unwillige Geste. »Craven interessiert uns nicht«, sagte er. »Er ist nicht unser Feind, Laurec.«

»Er ist -« begann de Laurec.

Aber Balestrano fiel ihm sofort ins Wort: »Er hat uns einen großen Dienst erwiesen, vergiß das nicht.«

»Ohne es zu wollen!« entgegnete de Laurec ärgerlich. Den Zorn, den er bei diesen Worten empfand, verstand er selbst nicht ganz. Er wußte sehr wohl, daß Robert Craven schlimmstenfalls unbedeutend und bestenfalls ein potentieller Verbündeter in ihrem unablässigen Kampf mit dem Antichristen war. Warum empfand er solche Wut, wenn er nur an diesen Namen dachte?

»Muß ich dich erinnern, was Bruder DeVries geschehen ist?« sagte Balestrano streng. »Er hat gegen meinen Willen versucht, Craven zu töten.«

Und dafür mit dem Leben bezahlt, fügte de Laurec zornig in Gedanken hinzu. Aber er senkte gehorsam den Blick. »Craven wird nichts geschehen, Bruder«, sagte er demütig. Dann wandte er sich um und verließ den Raum, um draußen zu warten.

Der Schmerz in seiner Schläfe wurde stärker.

Mit einem einzigen Satz war ich bei der Tür. Der Zug schaukelte und hüpfte wie ein bockendes Muli unter meinen Füßen, so daß ich um ein Haar das Gleichgewicht verloren und hinter Eisenzahn hergefallen wäre. Der Fahrtwind trieb mir die Tränen in die Augen, als ich mich an der verbeulten Kabinenwand festklammerte und hinausbeugte.

Im ersten Moment sah ich nichts als die Schatten der vorbeihuschenden Landschaft, dann drehte ich das Gesicht aus dem Wind, blickte zum Heck des Zuges zurück - und sah, wie sich eine Gestalt unmittelbar neben den Bahngeleisen in die Höhe stemmte - und mit einem unglaublich kraftvollen Satz direkt auf den fahrenden Zug sprang!

Hätte es nach allem noch eines endgültigen Beweises bedurft, daß mein unheimlicher Gegner alles andere als ein normaler Mensch war, dann wäre es dieses Bild gewesen.

Eisenzahn versuchte nicht, sich auf eine der Plattformen zu schwingen, die die Wagen der ersten und zweiten Klasse abschlossen, sondern ging die Sache entschieden direkter an. Wie ein lebendes Geschoß krachte er gegen den Zug. Seine Hand zerschmetterte das Blech einer Abteiltür und fand irgendwo drinnen Halt, während er selbst das Gleichgewicht verlor, mit den Füßen auf den Schotter neben den Geleisen geriet und ein gutes Stück mitgeschleift wurde, ehe er auch mit der anderen Hand sicheren Halt fand und sich in die Höhe ziehen konnte. Wie eine Spinne kletterte er an der Außenwand des Zuges entlang, wobei sich seine Finger und Zehen in das lackierte Stahlblech gruben und kleine runde Löcher darin hinterließen.

Der Anblick war so unglaublich, daß ich für einen Moment sogar die Gefahr vergaß, in der ich mich befand.

Der Unheimliche war zu weit entfernt, als daß ich Einzelheiten erkennen konnte - aber, zum Teufel, er war bei einer Geschwindigkeit von beinahe fünfzig Meilen aus einem fahrenden Zug gestürzt und mußte sich alle Knochen dabei gebrochen haben! Und trotzdem kroch er langsam, aber stur wie eine Maschine, über die Außenseite des Zuges weiter auf mich zu!

Erst, als Eisenzahn schon fast die Hälfte des Zuges überwunden hatte und den Kopf hob, um sich zu orientieren, wurde ich mir der Tatsache bewußt, daß er dieses Kunststück nicht aus reinem Sportsgeist aufführte, sondern zurückkam, um zu Ende zu bringen, was er begonnen hatte, ehe ich ihn aus dem Zug warf - nämlich mich umzubringen!

Erschrocken prallte ich von der Tür zurück und sah mich hastig nach einer Waffe oder einem Fluchtweg um.

Das Abteil bot einen Anblick, als wäre eine Granate darin explodiert, aber es gab nichts, was sich auch nur annähernd als Waffe angeboten hätte. Wie unempfindlich der Fremde gegen Hiebe mit Eisenstangen oder ähnlichen Spielzeugen war, hatte er ja bereits bewiesen.

Und es gab auch keinen Fluchtweg. In Gedanken verfluchte ich mich dafür, eines jener Erste-Klasse-Abteile gewählt zu haben, die nur von außen zu betreten waren. Ich hatte mir auf diese Weise eine ungestörte Fahrt sichern wollen, aber es konnte gut sein, daß ich mir eine Karte zu meinem eigenen Grab gelöst hatte ...

Hastig trat ich zu dem Trümmerhaufen, der von meiner Sitzbank übriggeblieben war, zog den Stockdegen aus meinem Reisekoffer und verstaute ihn sicher unter meinem Gürtel.

Einen Moment lang blieb mein Blick auf dem roten Bügel der Notbremse haften, aber ich verwarf den Gedanken, sie zu ziehen, schnell wieder. Nein - es gab nur einen Weg. Auch wenn mir allein bei dem Gedanken daran schon der kalte Angstschweiß ausbrach.

Eisenzahn war bis auf eine gute Wagenlänge herangekommen, als ich abermals an die Tür trat und mich - vorsichtig mit beiden Händen an dem zerfetzten Rahmen Halt suchend - hinausbeugte. Seine Augen waren starr geöffnet, trotz des rasenden Fahrtwindes, und ich sah jetzt, als er näher gekommen war, daß sein Gesicht ein bißchen eingedrückt zu sein schien.

Der Anblick ließ mich auch meine letzten Hemmungen vergessen. Vorsichtig beugte ich mich weiter hinaus, griff mit beiden Händen nach oben, bis meine Finger irgendwo an dem verbeulten Blech Halt fanden, löste den linken Fuß vom Boden und schwang mich mit einer kraftvollen Bewegung aus dem Zug.

Eine endlose, grauenerfüllte Sekunde lang schwebte ich über dem Nichts. Der Fahrtwind schlug mir wie eine unsichtbare Faust entgegen und nahm mir den Atem, und der Zug sprang und zitterte unter mir wie ein bockendes Pferd, das mit aller Kraft versucht, einen Reiter abzuschütteln.

Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Eisenzahn seine Anstrengungen verdoppelte und schnell näher kam. Seltsamerweise kam er immer noch nicht auf den Gedanken, das Nächstliegende zu tun und auf das Zugdach hinaufzuklettern, um mich dort in aller Ruhe zu erwarten, sondern krabbelte weiter wie eine Spinne an der Außenseite des Waggons entlang.

Der Anblick gab mir zusätzliche Kraft. Meine Füße fanden irgendwo Halt, ich ließ mit der linken Hand los, tastete blind nach oben und fühlte die Krümmung des Daches, dann etwas Kleines, Spitzes, das stabil genug schien, mein Körpergewicht zu tragen, und zog mich mit einem verzweifelten Ruck nach oben.

Zwei, drei Sekunden blieb ich reglos liegen, rang nach Atem und wartete darauf, daß meine Hände und Knie zu zittern aufhörten. Dann stemmte ich mich vorsichtig hoch, kroch bis in die Mitte des Daches und sah zurück.

Über der Kante des Zugdaches erschien eine Krallenhand, grub sich mit einem schmetternden Knall in und durch das Blech und fand an einem Träger darunter festen Halt. Sekunden später erschien ein dunkler Haarschopf über dem Dach, und kalte, polierte Glasaugen starrten mich an.

Ich schluckte einen Fluch herunter, sprang auf die Füße und wirbelte herum. Der Wagen, auf dessen Dach ich mich befand, war der letzte gleich hinter der Lokomotive, so daß mir keine andere Wahl blieb, als an Eisenzahn vorbei wieder in Richtung Zugende zu rennen - wobei seine Hand um ein Haar mein Bein erwischt hätte und ich mich nur durch einen riskanten Hüpfer in Sicherheit bringen konnte.

Eine höchst zweifelhafte Sicherheit allerdings, wie sich bald herausstellte. Ich hatte kaum ein Dutzend Schritte zurückgelegt, da hatte ich auch schon das Ende des Wagens erreicht - und das Dach des dahinterliegenden war gute zwei Yard entfernt und sprang und hoppelte wie ein wildgewordener Maulesel auf und ab!

Zwei Yard sind vielleicht kein besonders wagemutiger Sprung für einen durchtrainierten Mann wie mich, unter normalen Umständen. Aber ein Fehltritt würde einen Sturz unter die Räder des Zuges bedeuten, bestenfalls auf den Schotter des mit mehr als fünfzig Meilen vorbeirasenden Bahndammes -, und wahrscheinlich wäre das eine so tödlich wie das andere.

Hinter mir erscholl ein splitterndes Geräusch, und als ich zurückblickte, sah ich, wie sich Eisenzahn umständlich auf die Beine erhob und mit ausgebreiteten Armen auf mich zugetapst kam. Seine Füße hinterließen tiefe Dellen im Blech des Daches.