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»Stimmt«, pflichtete Rowlf seinem Herrn und Meister bei. Wie immer, wenn sie allein waren, hatte er sein Pidgin-Englisch vergessen und sprach ohne Akzent, und auch der dümmliche Ausdruck war von seinen Zügen verschwunden. »Aber wie ich dich kenne, gibst du nicht auf, wie?«

Lovecraft lachte rauh, was ihm die verwunderten Blicke einiger Passanten einbrachte. »Nein, Rowlf«, antwortete er. »Natürlich werde ich nicht aufgeben. Aber vielleicht bleibt mir bald nichts anderes mehr übrig. Die Adressenliste wird allmählich kürzer. Offengestanden weiß ich nur noch eine einzige Möglichkeit, doch noch Kontakt mit meinen ehemaligen Brüdern« - er spie das Wort beinahe aus - »aufzunehmen.«

»Und die wäre?« fragte Rowlf. Sein Blick spiegelte eine sanfte Sorge. Er hatte bisher kein Geheimnis daraus gemacht, wie wenig er mit dem einverstanden war, was Howard tat.

»Gaspard«, antwortete Howard. »Immer vorausgesetzt, daß er nicht ebenso verschwunden ist wie alle anderen, wäre es mir sehr ... unangenehm, zu ihm gehen zu müssen. Aber es scheint, als gäbe es keine andere Möglichkeit mehr.« Er seufzte enttäuscht.

»Warum reisen wir nicht zurück nach London?« schlug Rowlf vor. »So, wie es aussieht, scheinen sie kein Interesse mehr an dir zu haben.«

Howard nickte böse. »Du drückst es schon ganz richtig aus, Rowlf - so, wie es aussieht.« Er schüttelte heftig den Kopf, trat an den Straßenrand und hielt nach einer Kutsche Ausschau.

»Hast du vergessen, was in London passiert ist?« fragte er. »DeVries kam nicht aus freien Stücken. Ich kann es nicht riskieren, daß noch mehr Unschuldige meinetwegen in Gefahr geraten.« Er erspähte eine freie Mietkutsche, hob die Hand und wartete schweigend, bis der Wagen vor ihnen angehalten hatte und der Kutscher vom Bock sprang, um den Schlag aufzureißen. Rasch sagte er ihm eine Adresse, die Rowlf nicht genau verstand, wartete, bis sein hünenhafter Begleiter in den Wagen gestiegen war, und kletterte schnaubend hinterher.

»Wohin fahren wir?« fragte Rowlf, als sich die Kutsche schaukelnd in Bewegung setzte. »Ins Hotel?«

Howard schüttelte den Kopf. »Zu Gaspard«, sagte er nach kurzem Zögern. »Oder zumindest dorthin, wo er gewohnt hat, als ich das letzte Mal hier in Paris war.«

»Du hast den Namen nie erwähnt«, bemerkte Rowlf. »Was ist das für ein Mann? Ein ... Freund von dir?«

Ein sonderbarer Ausdruck von Trauer huschte über Lovecrafts hagere Züge. »Freund?« wiederholte er. Dann lächelte er, aber auch dieses Lächeln wirkte traurig. »Ja, wir ... waren einmal Freunde«, antwortete er, aber er sprach in einem Ton, als rede er mit sich selbst. »Gute Freunde sogar. Aber dann habe ich seine Freundschaft mißbraucht, und jetzt würde ich mich schämen, ihm unter die Augen zu treten.«

»Und trotzdem fahren wir hin?«

Howard nickte. »Nach allem, was vorgefallen ist, kann er mich eigentlich nur noch hassen«, sagte er leise. »Er würde mir bestimmt mit Freuden helfen, Kontakt mit den Templern herzustellen. Er weiß, daß das hiesige Templerkapitel mich zum Tode verurteilt hat. Und wenn er mich zu ihnen bringt, kann er sich wenigstens an mir rächen. Ohne auch nur einen Finger zu krümmen.«

Rowlf runzelte die Stirn und setzte dazu an, eine weitere Frage zu stellen, aber dann fiel ihm der sonderbare Ausdruck in Howards Augen auf, und er schwieg. Er war lange mit Howard zusammen, vielleicht länger, als irgendein anderer Mensch vor ihm. Und vielleicht kannte er ihn besser als irgendein anderer. Aber es gab noch immer eine Menge Dinge, die er nicht wußte. Und er hatte das sichere Gefühl, daß Howard ohnehin schon mehr gesagt hatte, als er wollte.

Länger als eine halbe Stunde fuhren sie schweigend weiter, jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Die Kutsche rollte über das gepflegte Kopfsteinpflaster der Pariser Straßen, fuhr über den Montmartre und ein paar Minuten lang an den Ufern der Seine entlang, dann begann die Umgebung ganz langsam an Pracht und Schönheit zu verlieren. Die Kleider der Passanten, an denen sie vorüberkamen, waren nicht mehr ganz so teuer und exklusiv. Hier und da tauchte ein Karren mit Gemüse oder Kohlen zwischen den Mietdroschken auf, eine Schlägermütze zwischen den weißen Hüten der Damen, eine schwarze Arbeitsjacke unter den maßgeschneiderten Ausgehanzügen ihrer Kavaliere.

Als die Kutsche schließlich anhielt, schienen sie nicht nur in einem anderen Teil, sondern in einer anderen Stadt zu sein. Rowlf sah sich mißtrauisch um, als sie aus dem Wagen stiegen und von der Bordsteinkante zurücktraten. Die Straße war schmal, flankiert von düsteren, im Laufe der Jahrzehnte schwarz gewordenen Häusern, und von Schlaglöchern übersät. Ein unangenehmer, leicht fauliger Geruch hing in der Luft, und die wenigen Menschen, die ihnen begegneten, bedachten Howards vornehme Kleidung mit eindeutig feindseligen Blicken. Rowlf spannte sich instinktiv, als Howard mit weit ausgreifenden Schritten auf ein Gebäude am Ende der Straße zuhielt.

»Bist du sicher, daß wir hier auch richtig sind?« fragte er.

Howard zuckte mit den Achseln. »Was die Adresse angeht - ja. Allerdings war die Gegend vor fünf Jahren noch nicht so heruntergekommen wie jetzt. Ich hoffe nur, Gaspard wohnt noch hier.«

Sie überquerten die Straße, wichen einer großen, ölig schimmernden Pfütze aus und blieben schließlich vor einem winzigen Ladengeschäft stehen. Auf den blindgewordenen Scheiben verkündete abgeblätterte Farbe:

Frangois Gaspard,

An- und Verkauf von Büchern, Antiquariat Okkulte Schriften

»Er scheint wirklich noch hier zu wohnen«, murmelte Howard. Seine Stimme war so leise, als spräche er mit sich selbst, und auf seinen Zügen lag mit einem Male ein Ausdruck von Schmerz, den sich Rowlf nicht erklären konnte.

»Vielleicht ist es besser, wenn ich erst einmal allein hingehe«, erbot sich Rowlf an. »Es könnte eine Falle sein.«

Howard drehte mit einer ruckartigen Bewegung den Kopf. Dann lächelte er verzeihend. »Kaum«, sagte er. »Wenn dort drinnen eine Gefahr auf mich warten sollte, dann bestimmt keine, vor der du mich schützen kannst, Rowlf.«

Rowlf verstand nun überhaupt nichts mehr. Aber Howard machte keine Anstalten, seine Worte zu erklären, sondern straffte mit einem Seufzer die Schultern, streckte die Hand nach der Türklinke aus - und drückte sie übertrieben kräftig herunter.

Kühle, Halbdunkel und der charakteristische Geruch alter Bücher schlugen ihnen entgegen, als sie den kleinen Laden betraten. Der Raum hinter den Scheiben mochte in Wahrheit groß sein, aber er war derart vollgestopft mit Regalen und Tischen, auf denen sich Bücher und Folianten aller nur denkbaren Art und Größe stapelten, daß Rowlf beinahe Platzangst bekam. Eine kleine Glocke über der Tür kündete ihr Kommen an, und schon nach Sekunden ertönten aus dem Hintergrund des Raumes schlurfende Schritte. Howard spannte sich. Seine Finger zupften mit kleinen, nervösen Bewegungen am Saum seines Gehrockes.

Die Schritte kamen näher, dann schälte sich ein Schatten aus dem Gewirr von Bücherregalen und -stapeln. Rowlf erkannte einen grauhaarigen, hageren Mann schwer bestimmbaren Alters. Sein Gesicht war zu einem knappen, berufsmäßigen Lächeln verzogen, und seine Haut hatte den kränklichen, wächsernen Farbton des Menschen, der zu selten an frischer Luft und Sonne war.

»Monsieur?« begann er. »Was kann ich für Sie ...«

Der Mann stockte. Das Lächeln auf seinen Zügen erlosch und wurde dann zur Grimasse. Seine Augen flammten auf, und Rowlf sah, wie sich seine Hände blitzartig zu Fäusten ballten und dann wieder öffneten.

»Hallo, Gaspard«, sagte Howard leise.

Gaspard schwieg. Sein Gesicht zuckte und in seinen Augen wechselten sich in Sekunden Haß und Unglauben und Schrecken und Verzweiflung ab, so rasch, daß Rowlf nicht zu sagen wußte, welches Gefühl nun die Oberhand behielt. »Du ... du bist tatsächlich gekommen«, sagte er schließlich. »Du hast es wirklich gewagt.« Seine Stimme bebte.