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»Weg hier, Rowlf!« sagte ich noch einmal. »Er bringt uns beide um, wenn wir nicht verschwinden.«

»Wer?« erkundigte sich Rowlf. »Ich seh keinen nich.«

»Aber er wird gleich hier sein! Er muß den Block umgehen, aber er -«

Zumindest in diesem Punkt täuschte ich mich. Eisenzahn mußte nicht. Er wählte den einfacheren Weg.

Einen halben Meter hinter Rowlf schien die Wand zu explodieren. Steine und Kalk flogen in hohem Bogen auf die Straße hinaus und trieben uns zurück, dann erbebte die Wand ein zweites Mal wie unter einem titanischen Hammerschlag, und ein fast zwei Meter hohes und halb so breites Stück der Ziegelmauer sank polternd in sich zusammen.

Und in der Bresche erschien eine verkrüppelt wirkende menschliche Gestalt. Ihr Stahlgebiß blitzte.

Howard drehte das Gesicht aus dem Wind, stieß die Tür vollends auf und sprang aus dem Wagen, noch ehe das Gefährt vollends zum Stehen gekommen war. Eines der beiden Kutschpferde begann unruhig mit den Hinterläufen zu stampfen, als in unmittelbarer Nähe ein Blitz aufzuckte. Kaum eine Sekunde später rollte das polternde Echo eines Donnerschlages durch die Nacht.

»Sie sind sicher, daß ich Sie nicht bis zum Haus fahren soll, Monsieur?« erkundigte sich der Kutscher, als Howard den Wagen umrundete und ihm einen zusammengefalteten Geldschein hinaufreichte. »Es kostet nicht mehr«, fügte er gutmütig hinzu.

»Darum geht es nicht«, antwortete Howard rasch, zog mit der Linken den Hut tiefer in die Stirn und deutete eine Kopfbewegung zum Chalet an. »Mein Freund ist ein Sonderling, wissen Sie«, sagte er, lächelte entschuldigend und tippte sich bezeichnend mit dem Zeigefinger gegen die Schläfe. »Er hat Angst um seinen Rasen und wird fuchsteufelswild, wenn ein Wagen auf sein Grundstück fährt.«

Der Kutscher blickte ihn an, als zweifle er ernsthaft an seinem Verstand, sagte aber nichts mehr, sondern steckte den Geldschein ein, verkroch sich tiefer hinter der Krempe seines Regenhutes und ließ die Peitsche knallen. Wie zur Antwort dröhnte eine halbe Sekunde später ein weiterer Donnerschlag.

Howard wartete, bis der Wagen hinter glitzernden Regenschleiern verschwunden war, dann drehte er sich um, zog den Mantel noch enger um die Schultern und ging gebückt auf das große, schmiedeeiserne Tor zu, das die weißgekalkte Gartenmauer durchbrach. Die rostigen Scharniere quietschten unheimlich, als er das Tor aufschob.

Wieder zerriß ein Blitz die Nacht wie ein verästelter blauweißer Riß im Himmel. Das plötzliche, grelle Schlaglicht ließ die Umrisse des Chalets als schwarzen Schattenriß aus der Nacht treten.

Howard schauderte, aber das rasche, eisige Frösteln, das über seinen Rücken lief, hatte nichts mit der Kälte zu tun, die wie ein klammer Hauch über dem Land lag. Es war der Anblick des Hauses gewesen, der ihn frösteln ließ. Es war nicht das erste Mal, daß er hier war. Aber er hatte gehofft, dieses fürchterliche Haus nie wieder betreten zu müssen ...

Schatten tauchten aus der Schwärze des Gartens auf und umschlichen ihn, dann wuchs ein großes, zottiges Ding direkt vor ihm aus der Nacht, ein Etwas wie die gräßliche Parodie eines Hundes, mit Fängen aus Stahl und glühenden Augen aus rotem Kristall, in denen Mordlust loderte. Aber Howard ging mit unvermindertem Tempo weiter. Er wußte, daß ihm die leblosen Wächter dieses Hauses nichts zuleide tun würden. Sein Schicksal wartete im Inneren des Gebäudes auf ihn.

Die Tür des Chalets schwang nach innen, als er die breite Freitreppe hinaufging. Ein sanftes, gelbliches Licht glomm unter der Decke der gewaltigen Empfangshalle auf, und die Tür schloß sich wie von Geisterhand bewegt wieder, als er hindurchgetreten war.

Howard ging ein paar Schritte weit in die Halle hinein, blieb stehen und sah sich aufmerksam um. Er war allein. Trotzdem spürte er, daß er von zahllosen unsichtbaren Augen beobachtet wurde.

Fast eine Minute lang blieb Howard reglos stehen und wartete. Im Haus herrschte eine fast geisterhafte Stille, ein Schweigen sonderbar tiefer, unnatürlicher Art, das vom rollenden Echo der Donnerschläge noch betont wurde, und ein paarmal flackerte das Licht. Howard sah nach oben und bemerkte, daß die Gaslüster, die bei seinem letzten Besuch vor zehn Jahren unter der Decke gehangen hatten, von elektrischen Lampen ersetzt worden waren. Ein dünnes, fast schmerzliches Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Sarim de Laurec hatte schon immer eine Vorliebe für technische Spielereien gehabt. Was hatte er erwartet?

Am anderen Ende der Halle öffnete sich eine Tür. Ein schmales Dreieck grellweißen blendenden Lichtes schnitt in die gelbliche Helligkeit der Halle, dann erschien ein Schatten unter der Tür, gleich darauf ein zweiter.

»Sarim?« fragte Howard. Er blinzelte, konnte aber gegen das grausam helle Licht nichts als zwei unterschiedlich große, menschliche Umrisse erkennen. Er machte einen Schritt, blieb wieder stehen und fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen. Dann schloß sich die Tür, das grellweiße Licht erlosch, und aus den beiden tiefenlosen flachen Schatten wurden Menschen. Und Howard unterdrückte im letzten Moment einen Schrei.

»Du bist also gekommen«, sagte Sarim de Laurec leise. Er lächelte, kalt und schnell wie eine Schlange, bewegte sich zwei, drei Schritte auf Howard zu und machte eine befehlende Geste mit der Linken. Die zweite Person erwachte ebenfalls aus ihrer Erstarrung und trat an seine Seite. Ihr bodenlanges, besticktes Kleid raschelte hörbar. »Es freut mich zu sehen, daß du noch einen Funken Ehre im Leib hast, Bruder Howard. Ich muß gestehen, daß ich nicht sicher war, ob du wirklich kommen würdest.«

Howard schien seine Worte gar nicht zu hören. Sein Blick saugte sich an dem schmalen, vor Furcht bleich gewordenen Gesicht der jungen Frau fest, die neben dem Puppet-Master stand.

»Ophelie«, flüsterte er. Seine Stimme bebte und hörte sich an, als würde sie jeden Moment brechen. »Was ... was haben sie mit dir gemacht?«

Die Frau wollte antworten, aber de Laurec gebot ihr mit einer knappen, befehlenden Geste zu schweigen und lächelte abermals. Es wirkte noch kälter als das erste Mal. »Nichts«, sagte er. »Wir sind vielleicht hart, möglicherweise sogar so gnadenlos, wie du behauptest, Bruder Howard. Aber wir sind nicht grausam. Wir haben ihr nichts zuleide getan. Weder körperlich noch in anderem Sinne.«

»Stimmt das?« flüsterte Howard. »Ist das wahr, Ophelie? Haben sie dir ... nichts getan?«

Diesmal hinderte de Laurec das Mädchen nicht daran, zu antworten. »Es stimmt, Howard«, sagte sie. Ihre Lippen zitterten. In ihren Augen stand ein fürchterliches Flackern. »Aber ich ... ich habe Angst. Ich weiß nicht, was das alles hier bedeutet. Bitte, Howard - hilf mir.«

De Laurec lachte leise. »Du siehst, Bruder Howard, wir stehen zu unserem Wort.«

Howard nickte. Die Bewegung kostete ihn unendliche Überwindung. »So wie ... wie ich«, antwortete er stockend. »Ich bin hier, wie du verlangt hast, Sarim. Jetzt ... jetzt laß sie frei!«

De Laurec lachte erneut. »Glaubst du wirklich, es wäre so leicht, Bruder?« fragte er. »Du enttäuschst mich. Ich habe dir versprochen, sie freizulassen, sobald du deine gerechte Strafe bekommen hast. Dieses Versprechen werde ich halten. Aber mehr auch nicht.«

»Was willst du noch, du Teufel?« brüllte Howard. »Ich bin hier! Ich bin in deiner Gewalt! Töte mich, wen du es willst, aber laß sie gehen. Sie hat euch nichts getan!« Er ballte hilflos die Fäuste, trat einen weiteren Schritt auf den Templer zu und blieb abermals stehen. »Was willst du noch?« flüsterte er noch einmal.

»Deinen Tod. So, wie es beschlossen wurde, Bruder«, antwortete de Laurec kalt. »Aber ich habe mich entschlossen, dir noch eine letzte Chance zu gewähren.«

»Eine Chance?« wiederholte Howard mißtrauisch. »Was soll das, Sarim? Willst du mich leiden sehen?«

»Vielleicht«, antwortete de Laurec amüsiert. »Aber du weißt, daß ich Tapferkeit als eine der wichtigsten männlichen Tugenden schätze. Und tapfer warst du weiß Gott - auch wenn du deine Fähigkeiten gegen uns eingesetzt hast, statt -«