Der Zweikampf war fast zu Ende, als ich mich auf die Füße erhoben hatte und zu Shannon und dem Shoggoten hinübergetaumelt war. Der junge Magier wehrte sich kaum noch. Seine Augen waren trüb geworden, und da, wo ihn die Arme des Ungeheuers berührten, schien seine Haut verbrannt oder wie von Säure verätzt. Das weit aufgerissene Maul des Ungeheuers näherte sich seiner Kehle.
Ich hob den Degen, zwang meine gelähmten Muskeln, sich noch einmal mit aller Kraft zu bewegen - und schleuderte ihn wie einen Speer auf den Shoggoten!
Die schlanke Klinge schien sich in einen silbernen Blitz zu verwandeln. Die Waffe raste, als wäre sie plötzlich von eigenem Leben und Willen beseelt, mit zehnmal größerer Wucht als der meines Wurfes auf das Wesen zu, bohrte sich in seine Brust und schleuderte es zurück.
Der Shoggote schrie.
Seine Krallen griffen mit unsicheren, fahrigen Bewegungen nach dem kristallenen Knauf des Degens, zuckten zurück, als hätten sie glühendes Eisen berührt - und begannen sich aufzulösen.
Es war nicht das erste Mal, daß ich den Tod eines Shoggoten sah, aber der Anblick hatte nichts von seinem Schrecken verloren. Die unheiligen Kräfte, die den Protoplasmakörper in seiner Form hielten, schienen plötzlich zu erlöschen. Sein Leib zerfloß, verwandelte sich in grauen brodelnden Schleim und schrumpfte blitzartig zusammen.
Der ganze Vorgang dauerte weniger als eine halbe Minute. Der Stockdegen schien plötzlich seinen Halt zu verlieren und fiel klappernd in eine Pfütze graugrüner, brodelnder Säure, die sich zischend in den Boden fraß und dabei mehr und mehr an Substanz verlor.
Schweratmend wandte ich mich um, überzeugte mich hastig davon, daß Shannon noch am Leben war, und hetzte dann zu Howard hinüber.
Er begann sich zu regen, als ich ihn unter dem Berg von Papier und zerborstenem Holz hervorzog. Behutsam richtete ich ihn auf, stützte seinen Oberkörper gegen die Wand und tastete nach der Wunde auf seiner Brust.
Sie war weniger gefährlich, als es im ersten Moment den Anschein gehabt hatte. Sehr tief und sicher sehr schmerzhaft, aber nicht lebensbedrohend.
»Ist alles in Ordnung?« fragte ich leise.
Howard stöhnte, hob die Hand an die Stirn und begann leise zu lachen.
»Natürlich«, murmelte er. »Natürlich ist alles in Ordnung, du Witzbold.« Er schob meine Hand beiseite, richtete sich auf und blieb einen Moment stehen, als wäre er nicht sicher, sich aus eigener Kraft auf den Füßen halten zu können. Dann ging er mit hängenden Schultern zu Shannon hinüber und kniete neben ihm nieder.
Seine Finger zitterten, als er Shannons reglosen Körper herumdrehte und sein Hemd öffnete.
»Was tust du?« fragte ich verwirrt.
Howard antwortete nicht, sondern begann, Shannons nackten Oberkörper Zentimeter für Zentimeter abzutasten. Im ersten Moment glaubte ich, er sehe nach seinen Verletzungen, aber ich erkannte schnell, daß das nicht stimmte. Howard suchte nach etwas. Nach etwas ganz Bestimmtem.
»Verdammt, was tust du da?« fragte ich.
Howard sah auf, runzelte unwillig die Stirn und machte eine abwehrende Bewegung. Nacheinander untersuchte er Shannons Oberkörper, seine Arme, den Hals, und zog zum Schluß sogar seine Hosen herunter, um seine Oberschenkel betrachten zu können.
Schließlich ließ er Shannon wieder zurücksinken und stand auf. Dann begann er, die kleinen Brände auszutreten, die überall im Zimmer aufgeflammt waren.
Shannon erwachte, als wir ihn zurück in seine Kammer gebracht und seine Wunde notdürftig versorgt hatten. Wie bei Howard waren seine Verletzungen nicht lebensbedrohend, aber sehr tief, und seine Stirn glühte vor Fieber.
Aber sein Blick war klar, als er die Augen aufschlug und mich ansah.
»Jetzt ... hast du mir zum zweiten Mal das Leben gerettet, Jeff«, murmelte er. »Ich glaube, ich ... stehe in deiner Schuld.«
»Unsinn«, widersprach ich. »Wenn überhaupt, dann sind wir quitt. Heute morgen warst du es, der mich gerettet hat.«
Shannon schüttelte den Kopf. Die Bewegung wirkte schwach, aber trotzdem sehr nachdrücklich.
»Ich weiß ..., weiß was geschehen ist«, sagte er leise. »Im ... Fluß. Du hast ... den Magier geschlagen. Er ... er war hinter mir her, Jeff. Er wollte mich ... töten.«
»Er?« mischte sich Howard ein, ehe ich Gelegenheit fand, zu antworten. »Wer war er, Shannon?«
Shannon schwieg. Bisher schien er Howards Anwesenheit überhaupt nicht bemerkt zu haben.
»Du kannst ihm vertrauen«, sagte ich rasch. »Er ist ein guter Freund von mir.«
Shannon überlegte einen Moment. Dann nickte er. »Ich glaube, ich ... bin es dir schuldig, dir die Wahrheit zu sagen«, murmelte er. »Dieser Mann am Fluß ... du erinnerst dich an den Namen, den ich dir genannt habe.«
»Ihr Freund?« fragte Howard hastig. »Dieser Raven?«
»Craven«, verbesserte ihn Shannon leise. »Robert Craven. Ich ... habe dich belogen, Jeff. Craven ist nicht mein Freund. Ich ... bin hier, um ihn zu vernichten.«
Seine Worte überraschten mich nicht. Nicht wirklich. Ich hatte es geahnt, die ganze Zeit über.
»Zu vernichten?« vergewisserte sich Howard. Seine Stimme klang gepreßt, und in seinen Augen stand ein warnendes Flackern, als er mich ansah.
»Er ist ... ein Magier«, murmelte Shannon. Er begann zu zittern. Ich spürte, daß er das Bewußtsein wieder zu verlieren begann.
»Nehmt euch ... vor ihm in acht«, flüsterte er mit schwächer werdender Stimme. »Der Mann am Fluß heute, Jeff, das ... das war Craven. Der Mann mit der weißen Haarsträhne. Er ... weiß, daß ich hier bin. Er wird versuchen, mich zu ... töten. Nehmt euch in acht vor ... Robert Craven!«
Seine Stimme versagte. Er fiel zurück, schloß die Augen und schlief auf der Stelle ein.
Es dauerte lange, bis Howard das bedrückende Schweigen brach, das sich in dem kleinen Zimmer ausgebreitet hatte.
Er seufzte, richtete sich mit einer erschöpft wirkenden Bewegung auf und sah mich auf sonderbare Weise an.
»Er hält deinen Vater für dich ... und dich für seinen Freund«, sagte er leise und in einem Ton, der mich frösteln ließ. »Ich glaube du hast ein Problem, Robert.«
Die Nacht war still und fast endlos gewesen, und als die Dämmerung kam, wirkte die Morgensonne grell und hart. Lowry Temples wußte, daß es ein böser Tag werden würde - für ihn, für Jane, für sie alle und für Innsmouth. Er hatte die ganze Nacht gebetet und zu Gott gefleht, ihn zu verschonen. Aber als aus dem angrenzenden Zimmer der erste, dünne Schrei des Neugeborenen drang und wenige Augenblicke später die Tür aufging und er in die Augen des Arztes sah, wußte er, daß seine Gebete nicht erhört worden waren. Der Fluch, der seit Generationen auf Innsmouth lag, hatte sich ein weiteres Mal erfüllt ...
Trotzdem stand er auf, schlurfte gebückt um den Tisch herum und streckte die Hand nach der Türklinke aus. Aber er führte die Bewegung nicht zu Ende, als der Arzt ihm den Weg vertrat und den Kopf schüttelte; sanft, aber trotzdem mit Nachdruck, vielleicht sogar mit einer Spur von Trauer.
»Nicht, Lowry«, sagte er, sehr leise und mit der erschöpften Stimme eines Menschen, der die Grenzen seiner Kraft längst erreicht und überschritten hat. »Geh nicht hinein. Wenigstens ... jetzt noch nicht.«
Lowry wußte, daß Doktor Maine recht hatte - wozu sollte er hineingehen und sich und Jane noch mehr quälen? Es änderte nichts an der Wahrheit, wenn man die Augen vor ihr verschloß.
Aber manchmal half es.
»Es ist ein Junge, nicht?« flüsterte er.
Maine nickte, ohne ihn anzusehen. Sein Gesicht war bleich, und in seinen Augen stand ein Schrecken, der Temples mehr, viel mehr verriet als alles, was er hätte sagen können.