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Wir näherten uns der Bahnsteigkante, und wie auf Bestellung kam in diesem Moment auch schon ein U-Bahn-Zug herangerattert. Wie ein großer Wurm aus Stahl mit zahllosen rechteckigen gelbleuchtenden Augen schoß er aus dem Tunnel hervor und bremste dicht vor uns ab. Aber Stan Cohen hob nur abwehrend die Hand, als ich einen Schritt machen wollte, um den Zug zu betreten.

Verwirrt wartete ich, was weiter geschah. Die Türen des Zuges öffneten sich, und Menschen stiegen aus; Augenblicke später ergoß sich ein zweiter Passantenstrom in umgekehrter Richtung in den Wagen hinein, und nach knapp einer Minute fuhr der ganze Zug wieder ab. Obwohl dies alles einen sehr chaotischen Eindruck machte, ging es doch in Wahrheit sehr schnell und diszipliniert, einer Ordnung gehorchend, die ich nicht erkennen konnte, und die meine Aversion gegen diese Art der Fortbewegung noch steigerte. Ich fand es irgendwie unnatürlich, wenn sich Menschen wie Heringe in eine Blechbüchse zwängten, nur um ein paar Minuten schneller von einem Ort zum anderen zu gelangen. Nein, da lobte ich mir schon meinen guten altmodischen Zweispänner. Und ich glaubte auch nicht, daß sich diese Art der Fortbewegung auf Dauer durchsetzen würde. Früher oder später würden die Leute sicher vernünftig werden und dieses lärmmachende stinkende Ding dorthin werfen, wo es hingehört: auf den Schrottplatz.

Ich verscheuchte den Gedanken und wandte mich mit einem fragenden Blick an Stan Cohen. Dieser wartete, bis der Zug vollends im Tunnel verschwunden war, warf einen sichernden Blick nach rechts und links - und sprang mit einem Satz auf die Geleise herunter. Ein paar Reisende, die den Bahnsteig noch nicht verlassen hatten oder auf den nächsten Zug warteten, sahen erstaunt auf, aber Cohen ignorierte sie und gab uns mit ungeduldigen Gesten zu verstehen, daß wir ihm folgen sollten.

Mein ungutes Gefühl steigerte sich zu etwas, das verdächtig an Angst erinnerte, aber ich gehorchte, ebenso wie Howard und Cohen I. Kaum hatten wir es getan, da drehte sich Stan herum und begann mit weit ausgreifenden Schritten in den Tunnel hineinzulaufen, in dem der Zug gerade verschwunden war.

»Beeilt euch!« rief er. »Der nächste Zug kommt in viereinhalb Minuten. Und paßt auf, daß ihr nicht an die Leitungen stoßt.«

»Was für Leitungen?« fragte ich.

Stanislas deutete im Laufen auf eine Anzahl dünner, straff gespannter Drähte, die zwischen den Schienen entlangführten. »Sie stehen unter Strom«, sagte er.

Ich beeilte mich, zu ihm aufzuschließen, wobei ich mich so weit von den harmlos aussehenden Drähten entfernt hielt, wie es überhaupt möglich war. Ich selbst hatte noch keinen elektrischen Strom in meinem Haus am Ashton Place, weil ich - wie gesagt - wenig von diesem neumodischen Kram hielt - aber ich hatte bereits schmerzhafte Erfahrungen mit dieser Erfindung gemacht. Außerdem fragte ich mich, wie weit man in knapp viereinhalb Minuten - jetzt waren es wahrscheinlich nur noch vier - wohl gehen konnte. Das Ergebnis, zu dem ich kam, gefiel mir nicht besonders.

Aber der Weg war nicht sehr weit. Cohen führte uns knapp hundertfünfzig Yard weit in den Tunnel hinein, dann blieb er stehen, sah sich suchend um und riß schließlich ein Streichholz an. Der flackernde gelbe Schein der Flamme zeigte uns eine niedrige, sehr massiv aussehende Tür, an der wir ohne seine Führung glattweg vorbeigelaufen wären.

»Dort hinein«, sagte er. »Und paßt auf die Drähte auf!«

Die Warnung wäre überflüssig gewesen. Ich trat mit einem fast grotesk aussehenden, übertrieben großen Schritt über die stromführenden Leitungen hinweg, überquerte auch das zweite Gleis auf die gleiche Art und wartete ungeduldig, daß er die Tür öffnete. Sie war abgeschlossen, aber Cohen hatte den passenden Schlüssel. Ich hörte das altersschwache Schloß knirschen, als er ihn herumdrehte.

Die Tür mußte seit Ewigkeiten nicht mehr geöffnet worden sein, denn die Angeln quietschten erbärmlich, und selbst Stanislas’ Gigantenkräfte schienen kaum auszureichen, die Tür weit genug zu öffnen, daß wir hindurchschlüpfen konnten.

Sein Streichholz verlosch, als wir es taten. Blind hob ich die Hände, bekam Stans Jacke zu fassen und ließ mich einfach von ihm mitziehen. Hinter mir fluchte Wilbur Cohen halblaut.

Das Unglück geschah, als sich Howard an mir vorbeizwängte und den Weg für Wilbur freimachte. Hinter uns erklang plötzlich ein weiterer Fluch, dann ein helles, widerlich zischendes Geräusch, und plötzlich schrie Cohen auf. Ich fuhr herum und sah, wie er mit wild rudernden Armen auf uns zutaumelte. Aus zweien der Drähte hinter ihm schlugen zischende Funken. Sein rechtes Hosenbein rauchte. Voller Entsetzen begriff ich, daß er die Drähte berührt haben mußte.

Howard griff gedankenschnell zu und fing Cohen auf, als er zusammensackte. Mit vereinten Kräften schleiften wir Cohen durch die Tür. Er stöhnte, aber das bewies in diesem Moment nur, daß er noch lebte. Wenigstens war der Stromschlag nicht tödlich gewesen.

Stan Cohen schloß die Tür, hantierte eine Weile lautstark herum und riß schließlich ein zweites Streichholz an.

Was die blasse Halbkugel aus Licht diesmal enthüllte, gefiel mir noch sehr viel weniger als das, was ich draußen im Tunnel gesehen hatte: wir befanden uns in einem winzigen, würfelförmigen Raum, der vor sehr, sehr langer Zeit einmal als Lager gedient haben mußte - an den Wänden standen vermoderte Regale, auf denen sich alle möglichen Werkzeuge stapelten, dazu andere Dinge, die so verfault und mit Schimmelpilz und Moder überwuchert waren, daß man nicht mehr erkennen konnte, worum es sich einmal gehandelt hatte.

Cohen beugte sich ohne eine Spur echter Sorge im Gesicht über seinen Bruder. Mit Bewegungen, die große medizinische Erfahrung verrieten, hob er sein Augenlid an, blickte einen Moment in seine Pupille und wandte sich dann ohne ein Wort seinem Bein zu.

Ich stöhnte auf, als ich die häßliche Brandwunde sah, die der Inspektor davongetragen hatte. Er mußte entsetzliche Schmerzen haben.

»Alles in Ordnung?« fragte Stan.

Cohen I nickte gepreßt. »Es ... geht schon«, sagte er. »Oh, verdammt, tut das weh.«

»Wir müssen ihn zurückbringen«, sagte Howard. »Der Mann muß zum Arzt.«

Stanislas Cohens Streichholz erlosch abermals. Wortlos zündete er ein neues an, sah einen weiteren Moment auf seinen Bruder hinab und schüttelte schließlich den Kopf.

»Nein«, sagte er. »Sie selbst haben gesagt, daß Sie keine Zeit haben, oder?«

Ich wollte widersprechen, aber diesmal kam Wilbur seinem Bruder zu Hilfe. »Stan hat recht, Phillips«, sagte er. »Lassen Sie mich hier. Es ... wird schon gehen, wenn ich einen Moment ausruhen kann.« Er biß die Zähne zusammen. »Ich warte hier auf euch. Wenn ihr in einer Stunde nicht zurück seid, dann lasse ich euch suchen.«

»Okay«, sagte Stan, in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. Er blies sein Streichholz aus, zündete sofort ein neues an und suchte eine Weile hektisch auf den Regalen herum, bis er eine Anzahl großer, staubverkrusteter Fackeln fand. Zu meiner Überraschung fingen sie sofort Feuer, als er sein Streichholz daranhielt. Rasch reichte er jedem von uns einen der brennenden Stäbe, klemmte sich eine Anzahl Reserve-Fackeln unter den freien Arm und deutete auf die jenseitige Wand.

Es gab dort einen zweiten Durchgang, der nur roh mit einer Anzahl moderiger Bretter versperrt war. Stanislas beseitigte sie auf eine sehr direkte Art - mit einem wuchtigen Fußtritt, der das vermoderte Holz wie Sägespäne auseinanderbersten ließ.

Aber ich zögerte noch, ihm zu folgen, und wandte mich noch einmal an seinen Bruder. Mir war nicht wohl dabei, Cohen hier einfach zurückzulassen.

Der Captain schien meine Gedanken zu erraten. »Gehen Sie ruhig, Craven«, sagte er. »Ich habe schon ganz andere Sachen ausgehalten. Vielleicht ist es ganz gut, wenn ihr ein bißchen ... Rückendeckung habt.« Er sah rasch zu seinem Bruder hinüber und senkte die Stimme, ehe er weitersprach.