Die einzige Waffe, die einen Shoggoten zu töten imstande war!
Blitzschnell zog ich ihn aus seiner Fassung, die ihn wie einen gewöhnlichen Spazierstock aussehen ließ - und stieß ihn dem Priscylla-Shoggoten in die Brust.
Das Ungeheuer gab einen krächzenden, klagenden Laut von sich, taumelte einen halben Schritt zurück und griff sich mit seinen Klauen an die Brust. Ein neuer, dunkel glänzender Fleck erschien auf dem weißen Nachtgewand; die schwarze, unheimliche Flüssigkeit, die im Leib dieser Protoplasma-Wesen pulsierte. Grauer, übelriechender Dampf quoll unter seinem Kleid hervor. Der Auflösungsprozeß hatte begonnen, und es gab keine Macht des Universums mehr, der ihn noch aufzuhalten imstande war.
Aber ich kannte diese Wesen zu gut, um nicht zu wissen, daß es noch immer gefährlich war. Es würde sterben - soweit etwas, das nie gelebt hatte, überhaupt sterben konnte - aber es war noch immer gefährlich.
Ein wütendes Knurren kam über die Lippen des Scheusals.
Mit tappenden, wankenden Schritten kam es wieder auf mich zu. Unter seinem Gewand brodelte und zischte es; eine Spur grauen, kochenden Schlammes blieb auf dem Teppich zurück, wo sich das schwarze Protoplasma seines Körpers wie unter der Einwirkung einer ätzenden Säure auflöste.
»Wir kriegen dich!« kicherte es. »Du wirst sterben, Robert Craven!«
»Das Tor!« keuchte Howard. »Flieh, Robert!«
Der Shoggote stieß ein krächzendes Brüllen aus und warf sich mit weit ausgebreiteten Tentakeln in meine Richtung.
Ich versuchte ihm auszuweichen, stolperte über Rowlfs reglosen Körper und schlug der Länge nach hin. Instinktiv umklammerte ich den Knauf des Stockdegens mit beiden Händen und stieß der heranstürmenden Kreatur die Waffe entgegen.
Selbst wenn der Shoggote die Gefahr bemerkte, so blieb ihm keine Zeit mehr, darauf zu reagieren. Sein eigener Schwung trug ihn vorwärts und stieß den Degen ein zweites Mal fast bis zum Heft in seine Brust.
Der Aufprall riß mir die Waffe aus der Hand und betäubte mich fast. Wie durch einen wogenden Schleier sah ich, wie sich der Shoggote aufbäumte, mit beiden Pranken an die Brust griff und die Waffe mit einem einzigen, wütenden Ruck herausriß.
Der Degen flog im hohen Bogen davon und blieb zitternd wie ein Pfeil in der Holzvertäfelung neben der Standuhr stecken.
Der Shoggote taumelte, bereits halb aufgelöst. Die Verletzung machte ihn rasend vor Schmerz. Seine Hände verwandelten sich zu übergroßen Hummerscheren, die mit einem ekelhaften Geräusch nach meinem Gesicht schnappten.
»Das Tor!« brüllte Howard zum dritten Mal. »Flieh, Robert!«
Die Scherenhände des Shoggoten zertrümmerten den Schreibtisch, hinter dem ich Deckung gesucht hatte. Ein einziger Hieb dieser Monster-Arme mußte mir die Knochen brechen, das wußte ich.
Ich mußte mir den Degen wieder holen! Nur damit konnte ich dem Shoggoten vielleicht noch lange genug Paroli bieten, bis er sich völlig aufgelöst hatte. Howard schrie noch immer, aber der Shoggote vollführte einen solchen Lärm, daß ich seine Worte nicht verstand.
Ich prallte gegen die Standuhr, wich einem weiteren Hieb des Monstrums aus und riß mit beiden Händen den Degen aus dem Holz.
Im gleichen Moment schloß sich der Arm des Shoggoten von hinten um meinen Hals.
Der Schmerz war unbeschreiblich. Die Luft wurde mir aus den Lungen gepreßt. Feuerringe tanzten vor meinen Augen. Blind vor Schmerz schlug ich mit dem Degen um mich, traf irgend etwas Weiches, Schwammiges.
Schwarzes Blut besudelte mein Gesicht, und plötzlich schleuderte mich das Wesen mit seiner ganzen Kraft von sich. Ich spürte, wie ich gegen die Uhr geworfen wurde und das morsche Holz barst, streckte instinktiv die Hände aus - und griff ins Leere.
Zwei, drei Sekunden vergingen, ehe ich merkte, daß irgend etwas nicht so war, wie es sein mußte.
Das Zimmer, Howard, Rowlf, der Shoggote, die Standuhr - das alles war verschwunden. Um mich herum war nichts als eine gigantische, vollkommen leere Ebene, über der sich Schwärze wie die Kuppel eines gewaltigen, wolken- und sternenlosen Himmels spannte. Die Ebene verschmolz irgendwo mit der Unendlichkeit, es gab weder sichtbare Unterbrechungen noch so etwas wie einen Horizont.
Es war nicht mehr die Welt, in der ich geboren war.
Aber es war eine Welt, die ich kannte.
Und endlich begriff ich, was Howard gemeint hatte, als er mir zuschrie, das Tor zu benutzen.
Die Standuhr war keine Uhr, nicht einmal nur eine Geheimtür, sondern ein Tor in eine fremde Welt.
Ein Tunnel in eine Welt, die vor zweitausend Millionen Jahren untergegangen war, so wie die Wesen, die sie beherrscht hatten.
Die Welt der GROSSEN ALTEN.
Das Zimmer war dunkel, als Howard die Augen öffnete.
Ein schwerer Körper lag halb über ihm, und etwas Warmes, Klebriges lief über sein Gesicht. Blut ...
Howard fuhr mit einem unterdrückten Aufschrei hoch, rollte den leblosen Körper des vermeintlichen Dr. Gray zur Seite und sah sich um. Wie lange war er ohne Bewußtsein gewesen?
Die Lampe war erloschen, und auch durch die zerborstenen Fenster sickerte nur wenig Licht. Aber die Beleuchtung reichte doch aus, ihn erkennen zu lassen, daß das Zimmer ein Bild der Verwüstung bot. Möbel und Bücherregale waren umgestürzt und zerbrochen, als wäre ein Wirbelsturm durch den Raum gefahren, hier und da glühten Teppich und Boden noch, und die Uhr ...
Die Uhr!
Plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, erinnerte sich Howard wieder. Mit einer abrupten Bewegung fuhr er hoch, stürmte auf die Uhr zu - und blieb stehen, als wäre er gegen eine unsichtbare Barriere geprallt.
Rings um die gewaltige Standuhr waren der Boden und die Wände geschwärzt, als wäre ein Blitz aus der Uhr gefahren und hätte das Holz verkohlt. Die Uhr selbst war unversehrt. Ihre Tür stand offen. Und dahinter ...
Howard vermochte nicht zu sagen, was es war.
Schwärze, sicher, aber auch noch etwas anderes, etwas wie ein großes, wogendes, lebendes Ding, das sich der genauen Betrachtung auf unheimliche Weise immer wieder entzog.
Sekundenlang stand er reglos da, starrte das Unfaßbare an und preßte die Lippen aufeinander. Robert hatte das Tor durchschritten, und nicht einmal Gott wußte, wohin es ihn verschlagen hatte. Endlich löste er sich von dem Bild, stieg über die zerbrochenen Möbelstücke hinweg und riß den Mann mit einem wütenden Ruck mit seinem Gesicht vom Boden hoch.
Der Doppelgänger öffnete stöhnend die Augen und versuchte Howards Hand wegzuschieben. Howard schlug seinen Arm herunter und ballte drohend die Faust.
»So«, sagte er. »Und jetzt erzählen Sie mir alles, Freundchen. Wer sind Sie? Welche Rolle spielen Sie in diesem verdammten Spiel?«
»Ich ... weiß nichts«, murmelte der andere schwach. »Ich habe nichts damit zu tun.«
»Gemsen mir, H.P.«, sagte Rowlf drohend. Howard sah auf und lächelte erleichtert, als er sah, daß Rowlf bereits wieder auf den Beinen und bis auf ein paar Kratzer wohl auch unverletzt geblieben war. Auf seinem breitflächigen Gesicht stand ein finster-entschlossener Ausdruck.
»Gemsen mir«, sagte er noch einmal. »Ich schlagem die Wahrheit schon aus’m Maul.«
Howard lächelte dünn. »Sie haben gehört, was Rowlf sagt«, sagte er. »Ich muß gestehen, daß ich ernsthaft versucht bin, Sie ihm zu überlassen. Vielleicht reden Sie dann.«
Der Mann erbleichte. Sein Blick suchte angstvoll Rowlfs Gesicht und begann zu flackern.
»Ich ... weiß nichts«, sagte er hastig. »Ich sollte das Buch holen, im Auftrag von DeVries, meinem Herrn, aber ich habe keine Ahnung, woher dieses Monstrum kam.«