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Tornhill nickte. »Sie behaupten weiter, von einem Mann, der aussah wie Dr. Gray und sich auch als dieser ausgab, hierhergebracht worden zu sein. Anschließend haben Sie Ihren alten Freund Lovecraft getroffen. Aber beide waren nicht die Männer, für die sie sich ausgaben, sondern Doppelgänger - was Sie allerdings erst später erfuhren. Weiter behaupten Sie, von einem schwarzgekleideten Mann angegriffen worden zu sein. Sie haben mehrmals auf ihn geschossen, dabei dieses Zimmer in Brand gesetzt und ihn anschließend aus dem Fenster geworfen. Danach sei dann plötzlich der richtige Lovecraft aufgetaucht -«

»Nicht danach«, unterbrach ich ihn. »Er war es, der mich gerettet hat, als mich der Fremde angriff.«

»Geschenkt«, sagte Tornhill ungehalten. »Jedenfalls behaupten Sie weiter, daß der echte Lovecraft danach auf seinen Doppelgänger getroffen ist. Aber bevor Sie Licht in die Sache bringen konnten, tauchte ein Doppelgänger ihrer Braut auf, schlug Gray tot und jagte Sie in diese Uhr. Soweit richtig?«

Ich nickte, war aber klug genug, ihn dabei nicht anzusehen. Wir waren allein in der Bibliothek. Als ich angefangen hatte zu erzählen, hatte Tornhill all seine Gehilfen und Assistenten aus dem Zimmer geschickt.

»Wissen Sie, wie sich diese Geschichte anhört, Craven?« fragte Tornhill ruhig.

»Ziemlich ... verwirrend.«

»Ziemlich bescheuert«, verbesserte mich Tornhill. »Und das ist noch gelinde ausgedrückt.« Er beugte sich vor und fuchtelte mit einem Finger vor meinem Gesicht herum. »Erstens«, sagte er, »haben wir den Toten, den Sie angeblich aus dem Fenster geworfen haben, nicht gefunden, Craven. Diesen Mann hat es nie gegeben. Und dann Ihr Gerede von den Doppelgängern. Wo sind sie denn alle? Haben sich in Luft aufgelöst, wie? Ich habe Ihnen von einem brennenden Mann erzählt, den irgendeine hysterische Ziege zu sehen glaubte, als sie uns rief. Das hat wohl Ihre Phantasie angeregt, Craven. Aber es gab keinen brennenden Mann. Das Feuer hier ist weiß Gott wie entstanden, und wer diesen ... falschen Gray umgebracht hat ...« Er zuckte die Achseln. »Nach dem ersten Gutachten unseres Polizeiarztes hat man ihm das Genick gebrochen. Das bringt ein kräftiger Mann wie Sie leicht fertig, wenn er weiß, wie.«

»Warum verhaften Sie mich nicht gleich?« fragte ich wütend. Das Schlimme war, daß ich ihm nicht einmal wirklich böse sein konnte. Wäre ich an seiner Stelle gewesen und hätte eine derart unglaubliche Geschichte von einem Mann, der aus einem Uhrkasten gekrochen war, gehört, hätte ich ihn gleich ins nächste Irrenhaus eingeliefert. Aber vielleicht holte er das noch nach.

»Weil ich wissen will, was hier wirklich passiert ist«, antwortete Tornhill ruhig. »Verdammt, Craven, ich glaube nicht, daß Sie all diese Leute hier umgebracht haben. Aber ich glaube, daß Sie eine ganze Menge mehr wissen, als Sie zugeben.« Plötzlich wurde seine Stimme laut. »In diesem Haus sind acht Menschen ums Leben gekommen, Craven! Und wenn Sie die Wahrheit gesagt haben, dann sind vier weitere verschwunden. Glauben Sie, ich würde jetzt nur den Kopf schütteln und Tee trinken gehen?«

»Natürlich nicht. Aber -«

»Kein Aber, Craven«, sagte Tornhill. »Ich schwöre Ihnen, daß ich Sie von hier aus direkt in den Tower bringe und den Schlüssel in die Themse schmeiße, wenn Sie nicht gleich mit einer glaubwürdigen Erklärung herausrücken.«

Ich sah ihn an, aber er hielt meinem Blick mühelos stand und lächelte sogar: kalt, fordernd und beinahe ohne Gefühl.

»Die Geschichte ist kompliziert«, begann ich langsam.

»Versuchen Sie’s«, sagte Tornhill. »Ich bin nicht ganz blöd, wissen Sie?«

»Es geht ... um ein Buch«, sagte ich stockend. »Ich glaube, es geht um ein Buch. Ein ganz bestimmtes Buch. Die Männer, die hier waren und sich als Howard und Dr. Gray ausgaben, waren hinter einem Buch her, das sich in meinem Besitz befindet. Ein sehr wertvolles Buch.«

»Das muß es wohl sein«, knurrte Tornhill. »Wenn sie bereit waren, sieben Menschen dafür umzubringen.«

»Sie hätten auch siebenhundert Menschen ermordet, um in Besitz dieses Buches zu kommen«, antwortete ich. Tornhill zog erneut die Augenbrauen hoch, und ich beeilte mich, hinzuzufügen: »Sie sind nicht mit normalen Maßstäben zu messen, Inspektor. Diese Männer sind ... Fanatiker. Religiöse Fanatiker.«

Es war ein Schuß ins Blaue. Eine glatte Lüge, auch wenn ich später begreifen sollte, daß ich der Wahrheit damit sehr sehr nahe gekommen war. Im Moment war es einfach das überzeugendste Argument, das mir einfiel. Und Tornhill schien geneigt, mir zu glauben. Jedenfalls widersprach er nicht.

»Ich ... erinnere mich nicht genau an den Kampf«, fuhr ich fort. »Es ging alles so schnell ... Irgendwie gelangte ich in den Nebenraum. Sie konnten mich dort nicht finden. Diese Uhr ist eine perfekte Tarnung.«

»Und Sie wollen mir erzählen, diese ... Männer hätten Sie ebenfalls nicht gefunden?« fragte Tornhill.

»Sie hatten nicht viel Zeit zum Suchen«, gab ich zu bedenken. »Sie und Ihre Leute waren schnell zur Stelle. Und wer sucht schon in einer Uhr?«

Tornhill runzelte die Stirn. Aber zu meiner Überraschung sagte er nichts, sondern stand auf, ging wortlos wieder zu der Standuhr und lugte durch ihre beiden offenstehenden Türen.

»Dann bleibt nur noch die Frage, was das hier für ein ... Zeugs ist«, sagte er. »Nur so - aus persönlicher Neugier, Craven. Würden Sie es mir erklären?«

Er fragte ganz und gar nicht aus persönlicher Neugier. Das fühlte ich. Trotzdem stand ich auf und ging zu ihm hinüber und ...

Die Ebene reichte bis zum Horizont und darüber hinaus, und hoch über ihr, am Himmel, hing ein bleicher, knochenweißer Mond. In der Luft lag der Gestank verwesender Körper, und zwischen den schwarzen, in sanfter Monotonie auf- und abstrebenden Wellen, zu denen sich der Boden aufgeworfen hatte, lagen blasphemische Dinge von unbeschreiblicher Gestalt -

Ich stöhnte. Das Bild hatte mich mit der Wucht eines Fausthiebes getroffen, und obgleich ich mir mit aller Gewalt einzuhämmern versuchte, daß es nichts als eine üble Vision war, wußte ich doch mit unerschütterlicher Gewißheit, daß diese Spottgeburt von einer Welt existierte, irgendwo, verloren in den Weiten der Zeit und doch real und drohend und tödlich.

»Was haben Sie?«

Tornhills Stimme war so deutlich, als stünde er direkt neben meinem Ohr, aber seine Worte erreichten mein Bewußtsein nicht.

Die Mauer war wieder da, diesmal in anderer Richtung: eine Wand, die zwischen der Welt und meinem Denken lag, und an der alles Reale, Greifbare und Wirkliche abprallte, die Platz für den Wahnsinn schuf, der sich mit eisigen Händen in meinen Verstand wühlte.

»Craven!« sagte Tornhill scharf. »Was ist mit Ihnen?«

Wie durch einen auf und ab wogenden Schleier aus Nebeln und bösen Schatten sah ich, wie er sich herumdrehte und einen halben Schritt in meine Richtung tat. Dann blieb er plötzlich wieder stehen, aufmerksam geworden auf irgend etwas hinter der Tür.

»Nichts!« stöhnte ich. Dieses eine, kaum verständliche Wort kostete mich unendliche Überwindung. Ich begann zu zittern. Die Kraft floß aus meinem Körper wie Blut, das durch eine fürchterliche Wunde entweicht und nur Schwäche und Tod zurückläßt. Ich wollte ihn warnen, ihm zuschreien, daß er sich herumdrehen und laufen sollte, so schnell er konnte, weg, nur weg von der Uhr, aber ich war Stunde um Stunde gewandert, unfähig, eine längere Pause oder wenigstens eine kurze Rast einzulegen, denn der Boden war nicht fest, und wenn ich länger als ein paar Augenblicke auf der gleichen Stelle verharrte, begann ich in den höllischen schwarzen Sumpf einzusinken, und ich konnte mich nicht rühren, hatte nicht einmal die Kraft, auf ihn zuzutaumeln und ihn zurückzureißen.

»Gehen Sie nicht ... dort hinein«, stöhnte ich. »Um Gottes willen, Inspektor, gehen ... Sie ... nicht durch die ... Tür.«