»Wir sollten zusammenarbeiten, Necron«, sagte Howard in fast beschwörendem Tonfall.
Necron lachte. »Niemals. Ich lasse Sie, Craven und das Mädchen am Leben, und das ist schon mehr, als Sie verdient haben. Betrachten Sie es als ein Zeichen meiner übergroßen Güte. Und nun genug. Ich habe zu tun. Vorbereitungen müssen getroffen werden. Beten Sie, daß Ihr geistesschwacher Gehilfe diesen jungen Narren bald findet, denn lange wird meine Geduld nicht mehr vorhalten.«
»Rowlf?« Howard sah sich um, als vermisse er Rowlf erst jetzt. »Sie haben ihn zu Robert geschickt?«
Necron nickte. »Ja. Auf einem Wege, der Sie amüsieren wird. Jetzt, da ich alles weiß, offenbart sich mir erst die Ironie meiner Wahl.« Er kicherte böse.
»Was soll das heißen?« fragte Howard. »Was haben Sie mit Rowlf gemacht?«
»Gemacht? Nichts. Ich habe ihn zurückgeschickt, als Boten, und wenn Sie so wollen, als einen, der die Sicherheit meines Heimweges testet. Wir werden sehen, ob er angekommen ist.«
Es dauerte einen Moment, bis Howard begriff. »Sie ... haben ihn durch ... durch eines Ihrer Tore geschickt?« keuchte er.
Necron nickte. »Es war der kürzeste Weg.«
»Sie Wahnsinniger!« brüllte Howard. »Sie haben Rowlf durch ein Tor gehen lassen, von dem Sie wußten, daß Cthulhu dahinter lauert und -«
»Nichts wußte«, unterbrach ihn Necron kichernd. »Nur vermutete. Ich glaube nicht, daß Azaloth, der Blasenschlagende im Zentrum der Unendlichkeit, einen harmlosen Narren wie Rowlf vernichten wollte.«
»Und wenn er es doch getan hat?« fragte Howard. Plötzlich klang seine Stimme ganz kalt.
Necron zuckte die Achseln. »Werde ich einen anderen Weg finden, Craven zu erreichen«, sagte er. »Jetzt, wo ich die Lage des unbewachten Tores kenne, spielt Zeit keine Rolle mehr.«
Howard schrie auf, warf sich nach vorne und streckte die Hände nach der Kehle des Alten aus. Einer der Drachenkrieger machte eine blitzschnelle Bewegung, und Howard stolperte, fiel auf den Steinboden und blieb verkrümmt und um Atem ringend liegen. Seine Augen waren verschleiert, als er endlich wieder die Kraft fand, sich auf den Rücken zu wälzen und zu dem Alten hochzusehen.
»Sie Teufel«, keuchte er. »Sie ... verdammter ... Teufel.«
Necron lachte leise. »Zuviel der Ehre, Lovecraft«, sagte er. »Ein solches Kompliment habe ich gar nicht verdient. Jedenfalls noch nicht.«
»Es reicht. Es ist mir ganz egal, was für Gründe Sie haben, den Geheimnisvollen zu spielen, Craven. Das hier war zuviel. Ich will wissen, was hier gespielt wird. Jetzt und alles.«
Tornhills Augen blickten kalt, und eine innere Stimme sagte mir, daß er jedes Wort ganz genau so meinte, wie er es ausgesprochen hatte. Einer der Wachen hatte ihn geradewegs aus dem Bett geholt und zu mir gebracht. Er hatte sich schweigend angehört, was der rothaarige Wachmann zu berichten hatte, dann hatte er ohne ein weiteres Wort alle außer mir und dem Rotschopf aus der Zelle geschickt, die Tür geschlossen und zu reden begonnen.
Er hatte eine Menge gesagt, und nichts davon hatte mir gefallen. Die Worte ›Irrenanstalt‹ und ›lebenslänglich‹ waren ein paarmal vorgekommen, und noch einiges mehr.
»Ich muß zu Rowlf«, sagte ich, leise und ohne ihn anzusehen. »Bitte, Tornhill - lassen Sie mich zu ihm. Meinetwegen legen Sie mich in Ketten und Fußeisen, aber ich muß zu ihm.«
»Nein«, sagte Tornhill leise. »Nicht, ehe Sie reden.«
»Sie würden mir nicht glauben, Tornhill«, antwortete ich.
»Glauben?« Tornhill seufzte. »Sie müssen noch viel lernen, junger Freund«, sagte er, und in seiner Stimme war ein überraschend sanfter, verzeihender Ton. »Zum Beispiel, daß ein Polizist prinzipiell nichts glaubt, sondern sich von Tatsachen überzeugen läßt.« Er schüttelte den Kopf, lehnte sich gegen die Zellentür und sah abwechselnd mich und den rothaarigen Polizisten an, der wie ein Häufchen Elend zusammengesunken auf dem Rand meiner Pritsche hockte.
»Erzählen Sie noch einmal, Devon«, sagte er. »Was ist passiert?«
Devon sah auf. Tornhills Worte schienen ihn aus einer Trance geweckt zu haben. Sein Blick flackerte. »Ich ... weiß es ja selbst nicht genau«, sagte er weinerlich. »Craven hat geschrien, und da war diese Stimme ...«
»Seine Stimme?«
»Nein«, antwortete Devon, wenn auch nach langem Zögern und sehr unsicher. »Ich ... glaube nicht. Ich bin sicher, daß es nicht seine Stimme war. Sie hat gelacht und ... und etwas geflüstert. Etwas wie ...« Er brach ab, starrte wieder zu Boden und begann verzweifelt mit den Händen zu ringen.
»Wir kriegen dich, Robert«, sagte ich.
Devons Kopf ruckte herum. Seine Augen weiteten sich. »Ja«, flüsterte er. »Sie ... haben es auch gehört?«
Diesmal hätte ich fast gelacht.
»Weiter«, sagte Tornhill rasch, und Devon fuhr fort: »Als ich in die Zelle kam, war da dieses Licht, und ...« Wieder stockte er, lächelte nervös und warf mir einen hilfesuchenden Blick zu.
»Und das Gespenst«, stieß er schließlich hervor. Ich hörte, wie schwer es ihm fiel, das Wort auszusprechen.
Seltsamerweise blieb Tornhill vollkommen ruhig. Er hatte auch keine Miene verzogen, als Devon seine Geschichte zum ersten Mal erzählt hatte.
»Es ... packte mich«, fuhr der Polizist nach einer Weile fort. »Und dann ... dann geschah etwas mit mir. Ich ... ich weiß nicht, was es war. Ich ... es war ... es war, als ... als würde etwas aus mir herausgesaugt. Als ...« Seine Stimme schwankte und drohte überzukippen. Er atmete ein paarmal tief ein, zwang sich zur Ruhe und sprach stockend und langsam weiter: »Es war, als würde ich innerlich aufgefressen. Anders kann ich es nicht beschreiben. Craven hat mich dann hinaus auf den Gang gestoßen, das ist alles, woran ich mich erinnern kann.«
Er sprach nicht weiter, und auch Tornhill schwieg einen Moment. Dann lächelte er, trat von der Tür zurück und warf Devon einen auffordernden Blick zu. »Okay, Devon. Gehen Sie nach Hause und erholen Sie sich. Ich sage dem Captain Bescheid, daß Sie bis zum Ende der Woche bezahlten Krankenurlaub haben. Und - kein Wort zu irgend jemandem, verstanden?«
Devon nickte, sprang auf und verließ beinahe fluchtartig die Zelle. Tornhill drückte die Tür wieder hinter ihm zu. »Und jetzt möchte ich den Rest der Geschichte hören«, sagte er an mich gewandt.
»Auch, wenn er noch verrückter ist als das, was Sie schon gehört haben?« fragte ich.
Tornhill lachte hart. »Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, daß ich prinzipiell nichts glaube, Craven«, sagte er. »Aber ich halte auch prinzipiell nichts für unmöglich, es sei denn, man beweist mir das Gegenteil. Was Devons Geschichte angeht - ich glaube nicht, daß es ein Gespenst war, das ihn überfallen hat. Aber ich weiß, daß er sich eine solche Geschichte nicht aus den Fingern saugen würde, um sich wichtig zu machen. Was ist wirklich passiert?«
»Das weiß ich so wenig wie Sie«, antwortete ich niedergeschlagen. »Und das ist die Wahrheit, Tornhill. Ich weiß nur, daß mich jemand verfolgt, jemand oder besser gesagt - etwas.«
»Und was ist dieses ... Etwas?« fragte er betont. »Sicher nicht der Geist Ihrer Großmutter, der keine Ruhe finden kann, oder?«
Ich starrte ihn an, preßte die Lippen zusammen und schwieg. Tornhills Miene verdüsterte sich, und ich spürte, daß er die Grenzen seiner Geduld erreicht und überschritten hatte.
Und dann tat ich etwas, was ich nie zuvor in meinem Leben getan hatte, etwas, von dem ich nicht einmal wußte, ob es mir gelingen würde.