Выбрать главу

»Ich ... verstehe kein Wort«, sagte ich stockend. »Wer ist dieser van der Groot überhaupt?«

»Was«, sagte Rowlf. »Die Frage muß lauten, was ist van der Groot, Robert. Die Geschichte ist nicht so einfach zu erklären. Und du mußt mir versprechen, Howard kein Wort davon zu verraten, daß ich hier war.«

»Sicher«, sagte ich. »Ich verrate nichts. Bisher habe ich ja auch nichts gehört, was ich verraten könnte.«

Rowlf grinste, stand auf und ging zum Teewagen, um sich ein neues Glas zu holen. »Dieser van der Groot«, begann er, »hat nicht aus eigenem Antrieb gehandelt. Er selbst ist ein ziemlich unwichtiger kleiner Handlanger, weißt du? Er kam hierher, um ... einen Auftrag auszuführen.«

»Ich weiß«, antwortete ich. »Er wollte das NECRONOMICON.«

Rowlf drehte sich herum, nippte an seinem Drink und sah mich über den Rand des Glases hinweg scharf an. »Nein«, sagte er schließlich.

»Nein?« Ich blinzelte verwirrt. »Aber was -«

»Er war schon sehr viel länger in der Stadt. Die Sache mit dem NECRONOMICON war eigentlich gar nicht geplant. Van der Groot und dieser Gray-Abklatsch konnten nur nicht widerstehen, als sie erfuhren, was sich in deinem Besitz befindet. Wahrscheinlich«, sagte er mit einer abfälligen Grimasse, »haben sie gedacht, sie würden als Helden gefeiert, wenn sie mit dem Buch als Beute zurückkommen. Aber in Wahrheit waren sie hinter Howard her. Seit Monaten.«

»Hinter ... Howard?« stotterte ich. »Aber was ... was wollen sie von ihm?«

»Seinen Kopf«, sagte Rowlf trocken. »Und nicht nur bildlich gesprochen. Sie und ihre ... Brüder verfolgen Howard seit Jahren.«

Das unmerkliche Zögern in seinen Worten entging mir keineswegs. »Brüder?« wiederholte ich. »Was meinst du damit, Rowlf?«

»Du weißt nicht viel über Howard, nicht?« fragte er anstelle einer Antwort. Ich schüttelte den Kopf, und Rowlf füllte sein Glas ein drittes Mal, ehe er antwortete. Ich hatte ihn selten zuvor so viel in so kurzer Zeit trinken sehen; ein deutlicher Beweis für seine Nervosität. »Sie haben ihn um die halbe Welt gejagt«, begann er, »in dem letzten Jahr, in dem du die Bücher deines Vaters studiert hast. Vielleicht hätten wir eine Weile Ruhe vor ihnen gehabt, wenn wir in Arkham geblieben wären.«

»Sie? Wer sind sie?« fragte ich.

»Die ... diese Männer«, antwortete Rowlf stockend. »Van der Groot und seine sogenannten Brüder. Es ist ... eine Art Organisation. Ein ... Bund wie ...«

»Eine Loge?« half ich aus.

Rowlf nickte. »Man könnte es so nennen. Ich weiß selbst nicht mehr darüber als ein paar Andeutungen, die Howard einmal entschlüpft sind. Ich habe ihn erst kennengelernt, als er bereits auf der Flucht vor ihnen war.«

»Aber warum?« fragte ich. »Wer sind diese Männer, und warum verfolgen sie Howard?«

»Weil er einmal zu ihnen gehört hat«, antwortete Rowlf. »Er war selbst Mitglied bei den ...« Wieder stockte er und starrte einen Moment in sein Glas, dann fuhr er fort: »Bei diesen Leuten eben. Ich kann dir nicht mehr darüber sagen, aber sie sind mächtig, Robert.«

»Wenn sie mächtig genug sind, selbst Howard Angst einzujagen, dann müssen sie sehr mächtig sein«, sagte ich halblaut.

Rowlf nickte. »Das sind sie. Und sie haben Howard zum Tode verurteilt, schon vor Jahren. Van der Groot und sein Spießgeselle waren nichts als Henker.«

»Van der Groot sitzt im Gefängnis«, sagte ich. »Und der andere ist tot.«

»Und?« Rowlf machte eine wegwerfende Geste. »Sie werden andere schicken.«

»Ist das der Grund, aus dem Howard packt?« fragte ich. »Weil er Angst hat, daß sie ihn -«

»Angst?« keuchte Rowlf. »Bist du bescheuert, Kleiner? Howard und Angst?« Er schnaubte, stellte sein Glas mit einem Ruck auf den Tisch und trat erregt einen Schritt auf mich zu. »Verdammt, wenn er Angst hätte, dann wäre ich jetzt nicht hier. Ich wäre froh, wenn es so wäre! Glaubst du, es würde mir etwas ausmachen, wieder vor ihnen davonzulaufen? Wir haben zehn Jahre Verstecken mit diesen Hunden gespielt. Nein, Howard hat keine Angst. Im Gegenteil.«

»Aber was ... was willst du dann von mir?« fragte ich verwirrt.

»Howard hat sich entschlossen, nicht länger vor ihnen davonzulaufen«, sagte Rowlf düster. »Das ist das Problem, verstehst du? Er will zu ihnen.«

»Er will -«

»Nach Paris«, bestätigte Rowlf. »Er hat gesagt, daß es keinen Sinn mehr hätte, davonzulaufen. Er will sich ihnen stellen. Und sie werden ihn umbringen.« Plötzlich klang seine Stimme erregt, beinahe beschwörend. »Sprich du mit ihm, Robert. Auf mich hört er nicht mehr, aber vielleicht auf dich! Du mußt ihm diesen Wahnsinnsplan ausreden! Er glaubt, er könnte mit ihnen sprechen, aber ich weiß, daß sie ihn nicht einmal anhören werden!«

»Aber wie soll ich -?«

Der Rest meiner Worte ging in einem markerschütternden Schrei unter, der aus dem Garten heraufscholl.

Rowlf erstarrte. »Was war das?« keuchte er. »Wer hat da -?«

Wieder erscholl dieser gräßliche, gellende Schrei von unten, dann hörten wir ein dumpfes Poltern.

Rowlf fuhr herum und stürmte aus dem Raum, und auch ich sprang auf und lief hinter ihm her, so schnell ich konnte.

Das Haus war voller huschender Lichter und Schritte, als wir die Halle erreichten. Die Tür zu Howards Zimmer stand halb offen, und als ich die letzten drei Stufen mit einem Satz überwand, tauchte Charles in der Halle auf, eine qualmende Petroleumlampe schwenkend.

Die Schreie hatten aufgehört, als wir die Haustür erreichten. Ich erkannte Howard, der auf ein Knie herabgesunken war und sich über einen dunklen, unförmigen Körper beugte.

Rowlf und ich erreichten ihn gleichzeitig.

»Was ist passiert?« fragte ich erregt. »Wer hat da geschrien?«

Howard sah auf, gebot mir mit einer hastigen Geste, zurückzubleiben, und deutete mit der anderen Hand auf den verkrümmt daliegenden Körper vor sich. Etwas Graues, Winziges erhob sich von dem dunklen Bündel und flatterte davon.

»Wer ist das?« murmelte ich.

Howard zuckte mit den Achseln. »Ich weiß nicht«, murmelte er. »Eine Frau. Aber ...«Er stockte und sah mich prüfend an. »Kennst du sie?«

Neugierig beugte ich mich vor.

Der Anblick war unheimlich. Es war eine Frau, aber selbst das konnte ich nur noch anhand ihrer Kleider und des langen, bis weit über die Schulter fallenden grauweißen Haares erkennen. Ihre gebrochenen Augen standen weit offen und waren trübe geworden, und in ihrem erstarrten Blick hatte sich ein Ausdruck so tiefen Entsetzens festgesetzt, daß ich unwillkürlich ein Stück zurückschrak.

Das Gesicht der Toten war eine Kraterlandschaft aus Runzeln und Falten. Graue, pergamenttrockene Haut spannte sich um einen zahnlosen Mund, der vor Jahrzehnten einmal sehr schön gewesen sein mußte. Häßliche schwarze Flecken verunstalteten das Gesicht, und über der rechten Schläfe war die Haut gerissen und begann sich abzuschälen. Es war alt, dieses Gesicht. Unglaublich alt.

So alt wie ihre Kleider, dachte ich schaudernd. Das einteilige, hochgeschlossene Kleid mußte vor einem Jahrhundert einmal farbenfroh gewesen sein; jetzt war es ein Fetzen, vermodert, grau, dünn und zerschlissen, so daß an unzähligen Stellen der Stoff durchsichtig geworden war. Es sah aus wie von Motten zerfressen.

»Sie ... muß mindestens hundert sein«, murmelte Howard verstört. »Aber wie ist das möglich? Wer ist diese Frau, und wie kommt sie hierher?«