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Rowlfs seidender Hausmantel färbte sich grau.

Es war ein unheimlicher, bizarrer Vorgang. So, wie sich Tinte in einem Stück Löschpapier ausbreitet, verblaßten die Farben von Rowlfs Hausmantel in einem lautlosen Fließen. Der Stoff alterte in Sekundenbruchteilen, verlor seine Farbe, wurde dünn und unansehnlich ...

Hinter mir erscholl ein spitzer Schrei. Irgend etwas fiel zu Boden und zerbrach klirrend. Howard erwachte aus seiner Erstarrung, warf sich nach vorne und schlug mit der geballten Faust auf die winzige Motte.

Das Tier wurde zermalmt; Rowlf kippte nach hinten und riß Howard dabei mit sich, und aus dem vermoderten Lumpenbündel, das einmal eine Reisetasche gewesen war, erhoben sich drei weitere graue Schatten und flogen mit trunkenen Schaukelbewegungen auf Howard und Rowlf zu ...

»Zurück!« brüllte ich. »Es sind die Motten!« Verzweifelt warf ich mich vor, versuchte Howard und Rowlf gleichzeitig auf die Füße zu zerren und schlug nach den winzigen Tierchen. Ich traf nicht, aber die hektische Bewegung verscheuchte die Tiere wenigstens für einen Moment.

Howard stemmte sich keuchend auf Hände und Knie hoch, starrte mich aus schreckgeweiteten Augen an und erhob sich vollends. Aber er machte keine Anstalten, zum Haus zurückzugehen.

»Verdammt, Howard - worauf wartest du?« keuchte ich. »Wir müssen -«

Ich verstummte, als mein Blick in die Richtung fiel, in die seine ausgestreckte Hand deutete. Die Motten, die ich verscheucht hatte, hatten sich ein Stück in die Luft erhoben und torkelten unsicher nach links, auf den Rhododendronbusch zu, der neben dem Weg wuchs.

Das Licht reichte nicht aus, um wirklich Einzelheiten zu erkennen, aber was ich sah, reichte, um mir den Magen umzudrehen.

Der Busch war einmal grün gewesen.

Jetzt war er grau. Ein unförmiger, aufgequollen wirkender Ball, in dem es ununterbrochen zuckte und bebte.

Motten!

Tausende, wenn nicht Zehntausende der winzigen, grauen Tiere bedeckten den Busch über und über.

Und fast, als hätten sie nur darauf gewartet, aus ihrer Ruhe aufgestört zu werden, lief plötzlich ein rasches, nervöses Zucken durch die Masse der winzigen Tiere. Der graue Ball zog sich zusammen, zuckte wie in einem Krampf - und platzte auseinander.

In einer lautlosen Wolke erhoben sich Tausende von Motten in die Luft und stürzten sich auf uns ...

Es war ein Wettlauf mit dem Tod.

Die wenigen Schritte zum Haus wurden zu einer Ewigkeit. Die Nacht war plötzlich voller grauer Schatten, und das Schwirren und Rascheln Zehntausender winziger Schwingen hallte wie boshaftes Hohngelächter in meinen Ohren.

Ich spürte eine Berührung, schlug in blinder Furcht um mich und stolperte die Stufen hinauf. Etwas hüpfte vor meinem Gesicht auf und ab, ich duckte mich, tauchte darunter hinweg und prallte gegen den Türrahmen. Eine Hand ergriff mich am Arm und zerrte mich ins Haus.

Jemand brüllte, und das Rascheln und Zirpen der Schmetterlingsflügel wurde lauter. Ich fiel, rollte mich instinktiv zur Seite und sah, wie sich Rowlf mit seinem ganzen Körpergewicht gegen die Tür warf und sie ins Schloß schmetterte.

Keine Sekunde zu früh.

Es klang, als werfe jemand Sand gegen die Tür. Das Rascheln und Knistern verstummte, aber dafür hörte ich ein hohes, wütendes Prasseln, rasch und schneller werdend und zornig. Grauer Staub quoll durch die Türritzen, als die Motten in blinder Wut gegen die Tür prallten. Etwas Winziges, Flatterndes schwang sich in die Höhe und verschwand unter der Decke.

»Sie sind hier!« brüllte Rowlf. »Ein paar sind reingekommen. Paßt auf!« Seine Stimme überschlug sich fast. Ich sah, wie er mit einem grotesken Hüpfen zur Seite sprang und den Kopf einzog, als einer der grauen Schemen wie ein angreifender Raubvogel auf ihn niederstieß, kam endlich selbst auf die Füße und blickte mich wild um.

Rowlf hatte die Tür im letzten Augenblick geschlossen. Der Mottenschwarm prasselte noch immer wie Sand gegen die Tür, aber die Hauptmasse der Tiere war ausgesperrt.

Trotzdem war eine Handvoll von ihnen ins Haus gelangt ...

Rowlf drehte sich plötzlich zur Seite und schlug nach etwas, das vor ihm hin und her torkelte.

»Faß sie nicht an!« schrie Howard entsetzt. »Nicht berühren, Rowlf!«

Wenn Rowlf seine Worte überhaupt hörte, so reagierte er nicht darauf. Gleich drei der winzigen grauen Killer-Insekten attackierten ihn. Er sprang in lächerlich aussehenden Bewegungen hin und her, versuchte den Motten auszuweichen und schlug immer wieder mit den Händen nach ihnen, traf aber nicht.

»Das Licht!« brüllte Howard. »Löscht das Licht!«

Seine Worte gingen fast in dem hellen Prasseln unter, das plötzlich von außen hereindrang. Entsetzt wandte ich den Kopf und sah, wie die beiden Fenster rechts und links der Tür grau wurden.

Die Motten hatten aufgehört, gegen die Tür anzurennen - aber dafür warfen sie sich jetzt wie in stummer Raserei gegen die Scheiben! Hunderte von ihnen zerschmetterten am Glas, aber aus der Dunkelheit tauchten immer neue auf, flogen mit wild schlagenden Schwingen gegen das unsichtbare Hindernis und starben. Die Scheiben waren binnen Sekunden mit einer dicken, schmierigen, grauen Schicht bedeckt - aber es kamen immer neue.

»Löscht endlich das Licht!« brüllte Howard. »Es macht sie rasend!«

Irgend jemand schrie eine Antwort, dann flackerte der große, gasbetriebene Kronleuchter unter der Decke der Halle - und erlosch.

Dunkelheit senkte sich wie ein schwarzer Schleier über den Raum. Ich erstarrte. Meine überreizten Nerven gaukelten mir noch immer huschende Bewegung und das Schwirren kleiner Flügel vor, aber alles, was ich wirklich hörte, waren Rowlfs keuchende Atemzüge und - irgendwo weit im Hintergrund - das gedämpfte Weinen einer Frau. Die prasselnden Laute waren verstummt. Die Motten hatten aufgehört, gegen die Fensterscheiben zu fliegen; im gleichen Moment, in dem das Licht erloschen war.

Howards Stimme kam irgendwo aus der Dunkelheit links von mir. »Niemand rührt sich von der Stelle«, sagte er. »Sie greifen nur an, wenn ihr euch bewegt. Charles - sind Sie da?«

Es dauerte einen Moment, bis der Majordomus antwortete, und als er es tat, war seine Stimme vor Furcht und Erregung so verzerrt, daß ich sie kaum erkannte.

»Ich bin ... hier«, stammelte er. »Bei der Treppe.«

»Gut«, flüsterte Howard. »Haben Sie die Lampe noch?«

»Sicher. Ich ... habe sie gelöscht.«

»Dann stellen Sie sie vorsichtig auf die Treppe«, befahl Howard. »Soweit weg, wie Sie können.«

Irgendwo in der Dunkelheit klirrte und klimperte etwas, dann schabte Metall über harten Marmor. »In ... Ordnung, Sir«, sagte Charles stockend.

»Jetzt nehmen Sie den Kolben herunter. Vorsichtig.«

Wieder klirrte Glas. »Fertig?« fragte Howard.

»F ... fertig, Sir«, stammelte Charles. »Was soll ich jetzt tun?«

Howard zögerte einen Moment. »Drehen Sie den Docht so weit heraus, wie es geht«, sagte er. »Nehmen Sie ein Streichholz und zünden ihn an. Und dann laufen sie, so schnell Sie können.«

Im stillen bewunderte ich Howards Kaltblütigkeit. Er tat das einzige, was in diesem Moment Sinn ergab - nämlich den Motten, die trotz allem ihre angeborenen Verhaltensweisen nicht vergessen zu haben schienen, eine Falle zu stellen.

Es war die einzige Möglichkeit, die wir überhaupt hatten. Selbst wenn nur ein Dutzend der winzigen Tierchen ins Haus eingedrungen waren, konnten wir sie im Dunkeln nicht aufspüren und töten, ohne daß es zu einem Desaster gekommen wäre. Und das Licht wieder einschalten, käme einem Todesurteil für die meisten von uns gleich.

»Ich ... bin soweit, Sir«, drang Charles’ Stimme aus der Dunkelheit in meine Gedanken. »Aber ich ... ich habe Angst.«