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Der Hand eines alten, eines uralten Mannes ...

Rons Lippen öffneten sich. Ein würgender, ungläubiger Laut drang aus seiner Brust. »Helft ... mir!« keuchte er. »Ich ... ich sterbe ...«

Howard sprang vor, packte den Mann bei den Schultern und zerrte ihn vom Bett herunter. Der Mottenschwarm über ihm begann zu kochen. Dutzende der kleinen grauen Tiere fielen wie Staub auf das Bett herab, regneten rings um Howard und den Kutscher auf den Teppich oder ließen sich auf den Wänden und dem Boden nieder. Howard brüllte, zertrat eines der Insekten, das einen Fingerbreit vor ihm zu Boden gefallen war, warf sich herum und robbte, Ron mit sich zerrend, vom Bett fort.

»Das Licht!« schrie er. »Robert - das Licht!«

Ich reagierte beinahe zu spät. Bisher hatte wie durch ein Wunder keines der grauenhaften Wesen Howard oder den Kutscher berührt, aber die hektische Bewegung der beiden schien die Tiere zur Raserei zu bringen. Meine Hand zuckte zu dem kleinen, versteckt angebrachten Rädchen, das die Gaszufuhr regulierte, und warf es mit einem Ruck herum. Das Licht wurde blasser und erlosch.

Aber es wurde nicht vollkommen dunkel. Durch das zerborstene Fenster fiel ein blasser Lichtschimmer hinein und versilberte die Motten, die wie toll hin und her flatterten und das Zimmer in ein Chaos aus Bewegung und raschelnden, knisternden Geräuschen verwandelten, und das Kaminfeuer begann plötzlich höher zu brennen; winzige, kurzlebige Funken flammten auf und erloschen, und in das Rascheln der Mottenflügel mischte sich ein trockenes, widerliches Knacken.

Es war genau wie draußen in der Halle. Die Tiere wurden vom Licht des Feuers magisch angezogen und stürzten sich blindlings in die Flammen ...

Howard versetzte mir einen Stoß, der mich endgültig aus meiner Starre riß, bugsierte Ron hinter mir unsanft aus dem Raum und zog die Tür hinter sich ins Schloß. Das Knacken und Prasseln des Kaminfeuers wurde immer lauter, und für einen Moment bildete ich mir ein, ein flackerndes rotes Licht unter der Tür hervorscheinen zu sehen.

»Weiter!« keuchte Howard. »Zur Bibliothek, Robert! Um Gottes willen - schnell

Die Motten rannten noch immer gegen die Tür und die Fenster an, und ich wußte, daß es nur noch Sekunden dauern konnte, ehe sie ihrem Ansturm erliegen und zerbrechen mußten. Selbst das eigentlich unzerstörbare Bleiglas mußte alt und brüchig werden, wenn jede Sekunde ein Jahrzehnt bedeutete, und es würde irgendwann einfach unter seinem eigenen Gewicht zerfallen und zu Staub werden.

Aber der Schrecken vermochte die dumpfe Betäubung, die sich um meine Gedanken gelegt hatte, nicht zu durchbrechen.

»Beeil dich!« sagte Howard ungeduldig. »Wir müssen nach oben. In die ...«

Er sprach nicht weiter.

Vom oberen Ende der Treppe erscholl ein gellender, verzerrter Schrei: »Bleibt unten! Es ist eine Falle!«

Irgend etwas polterte, dann erklang ein Laut, als schlüge Stahl oder Stein auf Fleisch, und plötzlich torkelte Rowlfs hünenhafte Gestalt auf den Balkon hinaus. In einem grotesken Satz prallte er gegen das Treppengeländer, drehte sich herum und suchte nach Halt, aber seine Hände schienen nicht mehr die Kraft zu haben, seinen Körper zu stützen. Er wankte, glitt auf der obersten Stufe aus und prallte schwer gegen die Wand. Sein Mund öffnete sich, aber kein Laut drang über seine Lippen. Ich sah, wie er qualvoll nach Atem rang.

Dann trat eine zweite Gestalt auf den Balkon hinaus, langsamer als Rowlf und hoch aufgerichtet, mit gestrafften Schultern.

Es war ein Mann. Sein Gesicht war hinter einem schwarzen Tuch verborgen, das Nase und Mund bedeckte und an den Schläfen mit seinem Turban verbunden war. Wie seine ganze Kleidung war dieser Turban schwarz, ein Schwarz, das tiefer war als das der Nacht und das Licht aufzusaugen schien. Nur der halbmeterlange, rasiermesserscharf geschliffene Krummsäbel in seiner Hand reflektierte das Licht der flackernden Lampe.

Der Anblick ließ mich erstarren. Ich vergaß Rowlf, der sich zu Füßen des Fremden auf den Stufen krümmte. Ich vergaß Howard, der irgend etwas stammelte, was ich nicht verstand, und ich vergaß den Kutscher, der vollends zwischen uns zusammengebrochen war. Ich sah nur noch den Fremden.

Den Drachenkrieger, den Necron geschickt hatte, um zu vollenden, was ihm nicht gelungen war.

Hinter uns zerbarst die Haustür mit einem ungeheuren Dröhnen; beinahe gleichzeitig zersprangen die Fenster wie unter einem Fausthieb. Durch die Öffnung quoll eine kochende Wolke winziger grauer Motten ...

Howards gellender Schrei verklang in meinen Ohren. Ich hörte, wie die Fensterscheiben vollends zerbarsten und die Luft über uns plötzlich vom seidigen Schlagen Millionen und Abermillionen winziger Flügel war, und ich hörte, wie Ron neben uns hysterisch zu kreischen begann, aber all dies registrierte ich nur mit einem winzigen Teil meines Bewußtseins, einer winzigen, halbwegs klar gebliebenen Insel in dem Chaos tobender Emotionen, das meine Gedanken erfüllte. Dieser Mann war ein Drachenkrieger.

Ein Drachenkrieger. Immer und immer wieder hämmerten meine Gedanken dieses einzelne Wort, und mit jedem Male wurde der Wille, die Treppe hinaufzustürzen und ihm die Hände um die Kehle zu drücken, unbezwingbarer. Er war ein Drachenkrieger, einer jener Bestien, die Necron begleitet hatten, als er gekommen war, um Priscylla zu entführen.

Howard erwachte plötzlich neben mir zu hektischer Bewegung, riß den hilflos dahockenden Kutscher auf die Füße und schrie irgend etwas, aber ich achtete nicht auf ihn. Von irgendwoher drang ein tiefer dröhnender Laut wie ein machtvoller Glockenschlag an mein Ohr, aber auch das registrierte ich kaum.

Der klar gebliebene Teil meines Bewußtseins sagte mir, daß ich mich in Lebensgefahr befand, daß nur noch Sekunden vergehen konnten, bis die Motten über uns waren und uns töteten, aber ich war unfähig, auf diese Stimme der Vernunft zu hören.

Mit einem gellenden Schrei stürzte ich los, sprang, immer drei, vier Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauf und über Rowlf hinweg. Howard brüllte eine Warnung, aber sie prallte von der unsichtbaren Wand, die plötzlich um mein Bewußtsein war, ab.

Der Drachenkrieger erwartete mich gelassen. Er trat einen halben Schritt zurück, als ich heranstürmte, wie um mir Gelegenheit zu geben, den Balkon zu erreichen und mich zum Kampf zu stellen, bewegte den Säbel und hob gleichzeitig die Linke, als wolle er mir zuwinken. Seine Gestalt spannte sich.

Ich versuchte erst gar nicht, ihn abzulenken, wie es normal gewesen wäre, wenn man mit leeren Händen einem Mann mit einem Säbel gegenübersteht, sondern stürmte ungebremst auf ihn los und drehte erst im allerletzten Moment den Oberkörper zur Seite.

Seine Säbelspitze schnitt mit einem reißenden Laut durch meine Jacke und schrammte schmerzhaft über meine Rippen, aber im gleichen Moment prallte ich gegen ihn, brachte ihn allein mit der ungestümen Wucht meines Angriffs aus dem Gleichgewicht und riß ihn zu Boden.

Ein überraschtes Keuchen entrang sich den Lippen des Drachenkriegers, als wir aneinandergeklammert zu Boden fielen und mein Knie seine Rippen traf.

Ich kämpfte wie ein Rasender. Unter normalen Umständen hätte ich keine Chancen gegen diesen Mann gehabt, aber meine Wut gab mir übermenschliche Kräfte, und ich war nicht mehr in der Verfassung, Rücksicht auf mich selbst zu nehmen. Mit der bloßen Hand schlug ich seinen Säbel beiseite, als er den Arm hochriß, um mir die Klinge in die Seite zu rammen, warf mich nach vorne und drang mit wütenden Schlägen auf ihn ein.

Diesmal schrie er vor Schmerz, aber ich tobte weiter, riß ihn hoch und herum und schmetterte ihn gegen die Wand. Der Säbel entglitt seinen Händen und polterte zu Boden. Irgendwoher nahm ich die Geistesgegenwart, die Waffe mit dem Fuß zur Seite zu stoßen, wirbelte blitzartig wieder zu dem Drachenkrieger herum und zielte auf seinen ungeschützten Hals.