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»Es ist diese ... Loge«, fuhr ich fort. »Die Männer, zu denen du gehen willst. Nach Paris.«

Howard sah auf. Für einen ganz kurzen Moment blitzte Zorn in seinen dunklen Augen. »Rowlf hat mit dir geredet.«

»Das hat er«, gestand ich. »Aber es wäre nicht nötig gewesen. Es ist nicht sehr schwer, eins und eins zusammenzuzählen, weißt du! Ich werde nicht zulassen, daß du dorthin gehst, Howard.«

»So?« machte er spöttisch. »Wirst du nicht?«

Ich schüttelte entschieden den Kopf. »Nicht nach dem, was heute passiert ist. Diese Loge oder wer immer sie sind -«

»Es ist keine Loge«, unterbrach mich Howard zornig. Seine Hände preßten sich so fest um die Sessellehne, daß das Holz ächzte. »Wofür hältst du mich, Robert? Für einen Gecken, der seine Zeit mit spiritistischen Sitzungen oder Geheimtreffen vertut? Diese ... Loge, wie du sie nennst, ist eine Organisation, die ...«

»Eine Organisation von Magiern?«

Howard überging meine Frage. »Es ist ein Geheimbund«, sagte er. »Ein sehr mächtiger Geheimbund, Robert, vielleicht der mächtigste überhaupt. Ich habe gedacht, ich könnte seiner Macht trotzen, aber ich habe mich geirrt. Ich bin länger als zehn Jahre vor ihnen davongelaufen, aber es hat keinen Sinn mehr.« Plötzlich wurde seine Stimme bitter. »Du glaubst, dich träfe die Schuld an allem, was passiert ist?« Er lachte böse. »Ich bin es, dem du Vorwürfe machen müßtest, Robert, nicht dir selbst. Das alles wäre nicht geschehen, wenn ich nicht hiergewesen wäre. Aber in einem Punkt hast du recht - es hat schon genug Tote gegeben. Viel zu viele. Ich werde das tun, was ich schon vor Jahren hätte tun sollen. Ich stelle mich ihnen.«

»Dann werden sie dich töten«, sagte ich.

»Möglich.« Howard hatte sich jetzt wieder vollkommen in der Gewalt. Seine Stimme klang, als rede er über ein Kochrezept. »Ich werde versuchen, es zu verhindern.«

»Aber das ist Selbstmord!«

»Vielleicht«, gestand Howard ungerührt. »Aber wenigstens werden dann keine Unschuldigen mehr sterben, Robert.«

Ich fand in dieser Nacht keinen Schlaf. Howard war in sein Zimmer zurückgegangen, und auch ich hatte mich zurückgezogen und versucht, ein wenig Ruhe zu finden; natürlich vergebens. Rowlf hatte die zerbrochenen Fenster und die Tür repariert, so gut es ging, nachdem Charles und die beiden anderen das Haus verlassen hatten.

Wie konnte ich auch Schlaf finden? Was heute abend geschehen war, war mehr als ein Anschlag auf mein Leben. Wenn Howard recht hatte - und ich zweifelte keine Sekunde daran -, dann war hier eine neue, vielleicht noch gefährlichere, dritte Macht auf den Plan getreten, von deren Existenz ich bis vor wenigen Stunden nicht einmal eine Ahnung gehabt hatte.

Allmählich begann die Sache unübersichtlich zu werden.

Eine Stunde - die mir wie eine Ewigkeit vorkam - wälzte ich mich unruhig auf meinem Bett hin und her und versuchte den Schlaf herbeizuzwingen (womit ich natürlich das genaue Gegenteil erreichte), dann kapitulierte ich, stand auf und zog mich wieder an.

Ich verließ mein Zimmer, blieb einen Moment auf dem Korridor stehen und sah mich unschlüssig um. Ich wußte selbst nicht zu sagen, was ich eigentlich wollte; die Unruhe hatte mich einfach hochgetrieben.

Das Haus war seltsam still, und es schien etwas Dumpfes, Bedrückendes in dieser Stille zu liegen. Es war jene sonderbare, mit Worten nur sehr unzureichend zu beschreibende Stille, wie man sie manchmal in Mausoleen oder uralten Kellern antrifft, der dumpfe Geruch von Zeit.

Vielleicht war es die Berührung der anderen, den menschlichen Sinnen normalerweise verschlossenen Welt, die ich spürte. Vielleicht war ich ihr nahe, in diesem sonderbaren, magischen Haus.

Ich ging ein paar Schritte, blieb wieder stehen und sah mich im Dunkeln um. Was hatte Howard gesagt? Dieses Haus ist eine Festung.

Das war es, aber es war auch noch mehr. Es war ein Ort unheimlicher und dunkler Geheimnisse, eine Stelle, an der der Vorhang zwischen der Welt der Menschen und der des Magischen dünn und zerschlissen war, und an der man den Atem dieses fremden, bizarren Universums wie einen eisigen Grabeshauch spürte.

Es machte mir Angst. Und die Tatsache, daß mir die Kräfte, die dieses Haus beherbergte, wohlgesinnt waren, änderte daran gar nichts.

Unschlüssig ging ich den Korridor hinab, zögerte einen Moment, und trat dann mit einem entschlossenen Schritt auf den Balkon hinaus, der die zwei Stockwerke hohe Empfangshalle in zehn Metern Höhe umlief. Das zerborstene Treppengeländer, durch das der vermeintliche Drachenkrieger gebrochen war, kam mir in der wattigen Dunkelheit wie ein hämisches Grinsen vor.

Mein Blick tastete über den Boden. Hier und da waren noch kleine Haufen flockigen grauen Staubes zu erkennen, und der geflieste Boden unten in der Halle kam mir wie mit grauem Ausschlag bedeckt vor. Aber die Kadaver der Killer-Motten begannen sich bereits aufzulösen.

Ich war nicht einmal sonderlich überrascht; im Gegenteil. Es hätte mich eher gewundert, wenn es nicht passiert wäre. Dieses Haus war ein Vampir, ein Moloch, der alles, was nicht zu ihm gehörte, verschlang. Ich war sicher, daß von dem ganzen Spuk keine Spur mehr zu sehen sein würde, wenn die Sonne am nächsten Morgen aufging.

Ein heller, langgestreckter Gegenstand am anderen Ende des Balkons erregte meine Aufmerksamkeit. Ich erinnerte mich, daß Rowlf und Charles den Leichnam des Drachenkriegers - besser gesagt des Mannes, der sich als solcher ausgegeben hatte - in ein Bettuch gewickelt und aus der Halle geschafft hatten. Es kam mir etwas geschmacklos vor, ihn wie einen Teppich in einer Ecke abgelegt zu sehen. Aber vermutlich war jetzt nicht der Zeitpunkt für Geschmacksfragen.

Zögernd bewegte ich mich auf ihn zu, ließ mich neben dem reglosen Körper auf die Knie sinken und streckte die Hand nach dem Tuch aus. Mein Herz schlug ein wenig schneller, als ich es auseinanderfaltete, um einen Blick auf sein Gesicht zu werfen; warum, wußte ich selbst nicht zu sagen.

Ich bin sicher kein Nekromane. Im Gegenteil. Aber vielleicht fand ich an seinem Leichnam irgend etwas, was Licht in das Durcheinander unbeantworteter Fragen und Geheimnisse bringen konnte.

Das Gesicht des Toten war starr, wie eingefroren in dem Augenblick, in dem das Leben aus ihm gewichen war. Ich hatte halbwegs erwartet, es vor Schrecken oder Entsetzen verzerrt zu sehen, aber alles, was ich gewahrte, war ein Ausdruck ungläubigen Staunens, als hätte er bis zum allerletzten Moment nicht begriffen, daß er versagt hatte.

Für einen Moment glaubte ich zu ahnen, was er in den letzten Sekundenbruchteilen seines Lebens gespürt haben mochte. Keine Angst; sicher nicht. Dazu war alles viel zu schnell gegangen. Er hatte auch gar keinen Grund gehabt, Angst zu empfinden, denn er war nicht gekommen, um zu töten oder gar getötet zu werden. Ich war es, der sich nicht an die Spielregeln gehalten hatte, der aus der Finte Ernst, aus einem Spiel einen Kampf auf Leben und Tod gemacht hatte.

Ich war sein Mörder.

Es kostete mich ungeheure Überwindung, das Gefühl abzuschütteln und wieder in die Wirklichkeit zurückzukehren. Mit einer heftigen Bewegung richtete ich mich auf, griff nach dem weißen Tuch und wollte es wieder über das Gesicht des Toten streifen, verhielt dann aber mitten in der Bewegung.

Das schwarze Drachenkrieger-Gewand des Toten hatte sich geöffnet, so daß ich seinen nackten Brustkorb erkennen konnte.

Direkt über seinem Herzen war eine Tätowierung. Das Licht reichte nicht aus, sie genau zu erkennen, und so ließ ich mich nach kurzem Zögern abermals auf die Knie sinken, zog ein Streichholz aus der Tasche und riß es an.

Das flackernde Licht der Flamme offenbarte mir ein winziges, kunstvoll mit blauvioletten Linien in seine Haut tätowiertes Bild. Es war kaum größer als mein Daumennagel, aber von einer Detailtreue, wie ich sie sonst nur auf kunstvoll angefertigten Miniaturen erblickt hatte.