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Und nicht nur, weil er es seinem Vater schuldig war.

Länger als fünf Minuten stand er so reglos da, blickte das großformatige Ölgemälde an und schwieg. Dann seufzte er, senkte den Blick und wollte sich abwenden.

Als er die Drehung halb beendet hatte, sah er die Bewegung erneut. Und diesmal sah er auch, woher sie kam - nämlich direkt aus dem Bild Andaras!

Es war nicht mehr als ein rasches Verbiegen und Wogen der Wirklichkeit, ein Zucken, als betrachte er das gemalte Gesicht des Hexers für einen Moment durch klares, schnell fließendes Wasser hindurch. Aber es war da, deutlich und sichtbar.

Und dann hörte er die Stimme ...

Es war nur ein körperloses Flüstern, ein Wispern wie das Rascheln des Windes in den Baumwipfeln, aber es erklang direkt in seinen Gedanken, und es waren die Worte, die ihn erstarren ließen, nicht die Art, in der sie gesprochen wurden.

Howard, flüsterte die Geisterstimme, du mußt Robert helfen! Er ist in Gefahr! In großer Gefahr!

Howard erstarrte. Noch einmal zuckte und wogte die Wirklichkeit vor ihm, dann erlosch der bizarre Effekt, und das Bild erstarrte wieder zur Bewegungslosigkeit.

Aber der Ausdruck in den gemalten Augen Roderick Andaras hatte sich verändert und wirkte jetzt erschrocken, beinahe voller Angst.

Plötzlich hörte Howard die Stimme noch einmal, und diesmal schwang ein fast panischer Ton darin mit, ein Ton so voller Angst und Furcht, daß Howard ein rasches, eisiges Frösteln verspürte.

Hilf ihm, Howard! flehte die Stimme. Mein Sohn ist in Gefahr, aber ich bin nicht stark genug, ihn allein retten zu können. Ich flehe dich an, hilf ihm! HILF MEINEM SOHN!

Howard starrte das Bild noch eine halbe Sekunde lang an, dann fuhr er herum, riß die Tür auf und stürmte mit weit ausgreifenden Schritten aus dem Gebäude.

Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte ich Shannons Stimme zu hören, die irgend etwas schrie, dann traf eine unsichtbare Titanenfaust das Boot, hob es zehn, fünfzehn Fuß weit in die Höhe und zermalmte es.

Der Fluß schien zu explodieren. Ich fühlte mich hochgerissen und herumgewirbelt, fünf, zehn Meter weiter fast waagerecht durch die Luft geschleudert und dann mit mörderischer Kraft in den Fluß zurückgeworfen. Das Wasser verwandelte sich durch die schiere Wucht meines Sturzes in eine Glasscheibe, aber die gleiche Titanenfaust, die das Boot gepackt und mich davongeschleudert hatte, hämmerte mich jetzt hindurch und preßte mich tief unter Wasser. Ich bekam Wasser in die Luftröhre und begann zu würgen. Noch immer wurde ich herumgewirbelt, und noch immer preßte mich der Sog weiter unter Wasser. Rings um mich herum tanzte der Fluß, kochendes graues Wasser und sprudelnder Schaum, und vor meinen Augen begannen rote Ringe zu tanzen. Meine Lungen brannten, und eine unsichtbare Gewalt legte sich wie ein stählerner Reif um meine Brust und zog sich erbarmungslos zusammen.

Ich mußte mich konzentrieren, mußte dieses wirbelnde Chaos unter meine Kontrolle bekommen! Und ich mußte an die Oberfläche! Mit Armen und Beinen fing ich die irrsinnige Kreiselbewegung, in die mich der Sog gezwungen hatte, für einen Moment auf und sah die Wasseroberfläche wie einen tanzenden silbernen Himmel eine Armeslänge über mir.

Mit aller Kraft stieß ich mich ab, durchbrach den Fluß und schnappte nach Luft.

Der erste Atemzug füllte meine Lungen mit köstlichem, süßem Sauerstoff und sprengte die tödliche Klammer, die sich um meine Rippen gelegt hatte.

Der zweite spülte brackiges Wasser in meinen Mund.

Erneut wurde ich unter Wasser gedrückt, kämpfte mich wieder hoch und spie Wasser aus. Eine neue Welle spülte schäumend heran, aber diesmal registrierte ich die Gefahr rechtzeitig und duckte mich unter der heranrollenden Woge weg. Keuchend und wasserspuckend kam ich wieder an die Oberfläche und öffnete die Augen.

Der Anblick ließ mich aufstöhnen.

Das Boot war verschwunden, und etwa drei Fuß rings um mich herum schien der Miscatonic zu kochen wie ein sprudelnder Höllenpfuhl. Eine unablässige Folge lautloser Explosionen ließ seine Oberfläche immer und immer wieder aufbrechen, schleuderte zehn, zwanzig Meter hohe Geysire aus schäumendem Wasser in die Luft und riß Löcher in die Flußoberfläche, brüllende Strudel, die sich mit irrsinniger Geschwindigkeit drehten, bis sie nach Sekunden von den zusammenschlagenden Wassermassen geschlossen wurden. Da und dort barsten faustgroße Blasen im Fluß, und der Wind trug einen warmen stickigen Hauch mit sich, der mir bewies, daß der Miscatonic, nicht nur scheinbar kochte.

Der bizarre Effekt war auf einen relativ kleinen Bereich beschränkt - ein grob kreisförmiges Gebiet von vielleicht fünfzig Metern Durchmesser, an dessen äußerer Peripherie ich mich befand. Das war wahrscheinlich der einzige Grund, aus dem ich noch lebte. Im Zentrum dieses sprudelnden Höllenpfuhls kochte das Wasser und spie grauen Dampf aus, und selbst in meiner unmittelbaren Nähe wurde der Miscatonic bereits merklich wärmer.

Ich warf mich auf den Rücken, schwamm mit ein paar hastigen Stößen aus der unmittelbaren Gefahrenzone und hielt nach Shannon Ausschau. Alles war so unglaublich schnell gegangen, daß ich bisher nicht einmal Zeit gefunden hatte, auch nur an ihn zu denken.

Aber von dem Jungen war keine Spur zu entdecken.

Die Strömung begann sich allmählich stärker bemerkbar zu machen und schob mich wie eine sanfte, aber kraftvolle Hand wieder auf den kreisförmigen Bereich sprudelnden Wassers zurück. Ich stemmte mich dagegen und versuchte verzweifelt, irgendein Lebenszeichen meines Retters zu gewahren. Da und dort tanzten zerborstene Planken und Holzsplitter auf den Wellen - alles, was von unserem Boot geblieben war -, aber Shannon schien von den Fluten des Miscatonic verschlungen worden zu sein.

Und dann sah ich Shannon!

Er war keine dreißig Meter von mir entfernt, aber er hätte genausogut auf dem Mond sein können.

Denn er befand sich genau im Zentrum der schäumenden Wassermassen, dort, wo der Fluß noch immer tobte und das Wasser zischend zu Dampf und Nebel verkochte!

Er lebte, warf sich verzweifelt hin und her und schlug mit den Armen um sich, als kämpfe er gegen unsichtbare Fesseln an, aber ich zweifelte nicht daran, daß ich seinem Todeskampf zusah. Die Temperatur des Miscatonic mußte da, wo er sich befand, weit über dem Siedepunkt liegen, und ich sah, daß sich sein Körper immer wieder wie in Krämpfen wand.

Und dann hörte ich seine Stimme!

Er schrie, gellend und in höchster Todesangst, stieß unmodulierte, fürchterliche Töne und Laute aus - und brüllte dazwischen immer und immer wieder meinen Namen!

»Jeff!« schrie er. »Hilf mir! So hilf mir doch!«