»Necro ... nomicon«, flüsterte er. »Die ALTEN. Amster ... dam ... Geht nach ... Amsterdam ... Keine Zeit zu ... verlieren. Es ... kommt näher und ...«Er bäumte sich auf, krümmte sich.
»Es ... stärker«, keuchte er. »Immer ... stärker ... das Buch ... müßt Amsterdam ... Van Dengsterstraat ... Geht zur ... Van Dengsterstraat.«
Dann starb er.
Lange, endlos lange blieb ich reglos sitzen und hielt seinen erschlafften Körper in den Händen, bis mich Rowlf schließlich an der Schulter berührte und mir mit Zeichen zu verstehen gab, daß wir gehen mußten.
Ich nickte, stand mühsam auf und ging zu Howard hinüber, der noch immer in unveränderter Haltung auf den Knien hockte und aus ungläubig aufgerissenen Augen auf den toten Magier starrte.
»Wir müssen gehen, Howard«, sagte ich. Er reagierte nicht, und so fügte ich hinzu: »Es ist vorbei, Howard.«
Er sah auf. Sein Gesicht wirkte wie eine Maske; starr und blaß. »Vorbei?« murmelte er. »O nein, Robert, es ist nicht vorbei.«
»DeVries ist tot.«
Er schluckte, schüttelte plötzlich den Kopf und schlug meine Hand zur Seite. »Es ist nicht vorbei, Robert«, wiederholte er. »Sie ... werden einen anderen DeVries schicken.«
Ich widersprach nicht, sondern zwang ihn mit sanfter Gewalt, sich zu erheben und zwischen mir und Rowlf zum Wagen zurückzugehen. Aber kurz bevor wir einstiegen, blieb er noch einmal stehen und blickte zu dem brennenden Haus zurück.
»Wir müssen fort«, murmelte er. »Du hast ... gehört, was er gesagt hat.«
Ich nickte. »Amsterdam. Was ist dort?«
Howard schien meine Frage gar nicht zu hören, und so fuhr ich nach einer Weile fort: »Du willst noch immer nach Paris?«
Howard nickte. »Ich muß, Robert. Jetzt erst recht. Sie werden nicht aufgeben.«
Ich widersprach nicht. DeVries war tot. Aber wenn das, was Rowlf mir gesagt hatte, auch nur zur Hälfte wahr war, dann konnten sie hundert DeVries’ schicken, um Howard zu vernichten. Nein - er mußte nach Paris. Jetzt erst recht.
Aber ich würde ihn nicht begleiten. Vielleicht noch ein kurzes Stück, vielleicht sogar noch auf dem Schiff, das uns zum Festland brachte, aber dann würden sich unsere Wege trennen.
Howard würde nach Paris gehen, um sich den Männern zu stellen, die ihm dieses Ungeheuer hinterhergeschickt hatten, und wenn es mir irgendwie möglich war, würde ich ihm folgen und versuchen, ihm in diesem ungleichen Kampf beizustehen.
Aber vorher mußte ich in eine andere Stadt. Zu einem Ort, von dem ich nicht wußte, ob es ihn überhaupt gab, und wenn, was mich dort erwarten mochte.
In eine ganz bestimmte Straße in Amsterdam ...
»Tut mir leid, Mijnheer - ich kann Ihnen nicht sagen, wo Sie die Van Dengsterstraat finden. Amsterdam ist groß, wissen Sie?« Der Portier lächelte Verzeihung heischend, reichte mir den Zettel, auf den ich die Adresse geschrieben hatte, über die Theke zurück und fuhr sich mit der Linken durch das schwarze, ölig glänzende Haar.
Enttäuscht faltete ich das Blatt wieder zusammen und wandte mich um; mit einer Mischung aus Resignation und langsam stärker werdendem Zorn. Trotz der frühen Stunde herrschte in der hohen, verschwenderisch ausgestatteten Hotelhalle bereits ein unablässiges Kommen und Gehen, und der Portier sprach bereits wieder mit einem der anderen Gäste; schnell und in unverständlichem holländischem oder belgischem Gebrabbel - für mich machte das keinen Unterschied; ich verstand beides nicht.
So wenig, wie ich diese Stadt verstand, genauer gesagt, die Leute, die sie bewohnten. Nach allem, was ich auf der Überfahrt und auch vorher schon über Amsterdam gehört hatte, hatte ich eine freundliche, vor Leben sprudelnde Stadt mit netten Menschen erwartet.
Nun - was die Stadt anging, waren meine Erwartungen fast übertroffen worden; was die Menschen anging, nicht. Ich war seit drei Tagen in Amsterdam. Den ersten Tag hatte ich zusammen mit Howard damit verbracht, unser weiteres Vorgehen zu besprechen (und mich von ihm zu verabschieden, was den allergrößten Teil der darauffolgenden Nacht und vier Flaschen Genever in Anspruch genommen hatte), die beiden anderen damit, die Van Dengsterstraat zu suchen.
Bisher allerdings vergeblich. Ich hatte am Hauptbahnhof einen Stadtplan erstanden, aber die Straße, die uns der sterbende Templer genannt hatte, war nicht darauf eingetragen - was kein Wunder war, denn Amsterdam wuchs in den letzten Jahren schneller, als die Kartenzeichner und Verlage mithalten konnten.
Danach hatte ich angefangen, auf andere Weise nach der Van Dengsterstraat zu suchen; zuerst auf dem üblichen Wege, in dem ich mich bei Droschkenfahrern und Kutschern erkundigte, später beim Hotelportier - nicht dem, der jetzt Dienst tat, sondern seinen Vorgängern - dann bei der Polizei, im Rathaus, schließlich sogar bei einer Spedition.
Und alles war vergeblich gewesen. Es war nicht so, daß es die Van Dengsterstraat nicht gab - auch diese Möglichkeit hatte ich nach meinen ersten enttäuschenden Erlebnissen in Betracht gezogen -, sondern vielmehr, daß man mir nicht sagen wollte, wo sie war. Ich spürte ganz deutlich, wie die Männer und Frauen, die ich nach dem Weg fragte, innerlich zusammenfuhren, wenn sie den Namen auch nur hörten. Und ich hätte nicht unbedingt ein Magier sein müssen, um zu erkennen, daß ihr Kannitverstan oder Weiß-ich-Nicht gelogen war.
Und mir blieben noch genau zwei Tage, um die Van Dengsterstraat zu finden und herauszubekommen, wovor uns DeVries im Augenblick seines Todes hatte warnen wollen, wenn ich pünktlich in Paris ankommen wollte, um mich mit Howard zu treffen.
Nein - ich hatte bisher bewußt darauf verzichtet, eines meiner besonderen Talente in die Waagschale zu werfen; aber es sah ganz so aus, als bliebe mir jetzt keine andere Wahl mehr, wollte ich die Mauer des Schweigens, gegen die ich bisher angerannt war, brechen.
Plötzlich hatte ich es sehr eilig. Rasch durchquerte ich die Halle und verließ das Hotel, ohne meine Zeit mit dem ausgiebigen holländischen Frühstück zu vergeuden. Es war ohnehin erst neun Uhr vormittags. Zu so nächtlicher Stunde hätte ich sowieso nicht mehr als eine Tasse Kaffee und ein Marmeladebrötchen vertragen.
Ich lief auf die Straße und winkte einen Kutscher herbei. Der Wagen hielt schwerfällig, und der Mann auf dem Bock beugte sich herab. »Wohin kann ich Sie hinbringen, Mijnheer?« fragte er höflich.
Ich zögerte einen Moment, dann zauberte ich den unschuldigsten Ausdruck der Welt auf mein Gesicht, nannte ihm in perfekt geschauspielertem, geistesabwesendem Ton die Van Dengsterstraat und wollte einsteigen.
Aber ich wollte es nur.
Der Kutscher beugte sich mit einer blitzschnellen Bewegung vor, fauchte irgend etwas auf Holländisch und stieß mir ziemlich grob den Peitschenstiel vor die Brust. Seine Wangenmuskeln zitterten so stark, daß er kaum sprechen konnte.
»Tut mir leid, Mijnheer«, sagte er. »Aber dort fahre ich Sie nicht hin!«
»Doch«, antwortete ich, so ruhig ich konnte. »Das werden Sie, mein Freund. Ich bin ganz sicher.«
Ich hatte ganz leise gesprochen, aber es waren auch nicht meine Worte, auf die es ankam. Im gleichen Moment, in dem mich der Kutscher ansah, bannte ich seinen Blick, brach seinen geistigen Widerstand und befahl ihm mit aller suggestiven Macht, meinen Befehlen zu gehorchen.
Der Droschkenlenker erstarrte mitten in der Bewegung. Sein Unterkiefer klappte herunter, und seine Gesichtsmuskeln erschlafften, als hätte er plötzlich nicht mehr die Kraft, sie unter Kontrolle zu halten. Mit einem Male war sein Blick leer.
»Haben Sie mich verstanden?« fragte ich.
Er nickte, sehr langsam und so steif, als koste ihn selbst diese kleine Bewegung unendliche Mühe.