Es vergingen nur wenige Augenblicke, bis die Tür hinter mir erneut aufgerissen wurde. Ich sah im Laufen über die Schulter zurück. Aber es waren nicht die Kinder, die mich verfolgten, sondern die beiden Schläger, die mich im Salon überfallen hatten. Der Anblick erleichterte mich fast.
Ich lief noch schneller, erreichte eine Gangbiegung und stürzte nach rechts, ohne zu denken. Eine verschlossene Tür versperrte mir den Weg. Ich suchte gar nicht erst nach einem Schlüssel, sondern rammte das morsche Holz mit der Schulter ein, taumelte in den dahinterliegenden Raum und fing meinen Sturz im letzten Moment mit wild rudernden Armen ab.
Sofort verdoppelten meine Verfolger ihre Anstrengungen, mich einzuholen. Gehetzt sah ich mich um, erkannte aber nichts als Dunkelheit und die verschwommenen grauen Schatten wehender Spinnweben, und hob kampfbereit die Klinge.
In diesem Augenblick erfüllte ein Fiepen und Pfeifen die Schwärze des Raumes um mich. Schwarze Schatten stürzten von oben auf mich zu und schlugen klatschend auf mich ein. Ich sah riesige gelbe Augen und lange weiße Fangzähne vor meinen Augen tanzen und spürte, wie ich wieder und wieder gebissen wurde.
Irgendwie gelang es mir, mein Gesicht mit einem Zipfel meines Mantels zu bedecken, um die Augen zu schützen. Dann ließ ich die Klinge wirbeln und hackte auf die schwirrende Wolke ein, so schnell ich konnte. Trotzdem brannte mein Gesicht nach drei, vier Atemzügen schon so, als wäre meine Haut versengt. Die Berührung der winzigen Krallen und Zähne schmerzte höllisch.
Der Spuk hörte ebenso schnell wieder auf, wie er gekommen war. Ich hörte noch sich rasch entfernendes Flügelrauschen, dann waren die schwarzen Schatten verschwunden.
Keine zehn Sekunden später erreichten meine Verfolger hinter mir die Tür und stürmten brüllend in den Raum. Da ich keine zweite Tür und kein Fenster sah, durch das ich fliehen konnte, rannte ich die Treppe hoch in den nächsten Stock und kletterte dann eine wacklige, halb verfaulte Leiter empor, die zum Dachboden führen mußte. Zum Teufel - wie groß war dieses Haus?
Die Falltür klemmte, doch ich stieß sie mit einem Ruck auf und zwängte mich rücksichtslos hindurch. Das Dach war halb eingebrochen. Zerbrochene Sparren und Balken hingen wie bleiche Knochen eines bizarren Riesengerippes herab, aber es gab wenigstens Licht; und ich konnte zum ersten Mal, seit ich die Van Dengsterstraat und dieses Häuserlabyrinth betreten hatte, wieder die Sonne sehen.
Schnell zog ich die Leiter zu mir herauf und schloß die Falltür wieder. Ein Schwall wilder Flüche drang durch das morsche Holz zu mir hoch, und durch die breiten Risse zwischen den halb vermoderten Dielen sah ich, wie meine Verfolger die Fäuste in hilfloser Wut schüttelten.
Für einen Moment hatte ich Luft.
Meine Lage war mehr als verzweifelt. Meine Verfolger kannten dieses Gebäude zweifellos wie ihre Westentaschen, und sie würden über kurz oder lang einen Weg finden, zu mir herauf zu gelangen. Einen Moment lang spielte ich ernsthaft mit dem Gedanken, auf das Dach hinaufzuklettern, um von dort auf ein Nachbarhaus zu springen, verwarf ihn aber rasch wieder. Selbst die Balken, die noch halbwegs fest aussahen, zerbröckelten mir unter den Händen; auf das Dach hinauszusteigen, wäre glatter Selbstmord gewesen.
Dann entdeckte ich auf der anderen Seite des Dachbodens eine Tür und balancierte vorsichtig darauf zu.
Ziegelschutt knirschte unter meinen Sohlen; die Bohlen knarrten gespenstisch. Schon nach wenigen Schritten trat ich durch ein verfaultes Brett. Ich konnte mit Mühe einen Sturz in die Tiefe vermeiden und blieb mit klopfenden Herzen stehen. Allmählich verging mir auch der letzte Rest von Galgenhumor. Diese Ruine war nicht nur eine Mördergrube, sondern das reinste Irrenhaus.
Ich biß die Zähne zusammen und balancierte weiter auf die Tür zu. Hinter mir begann jemand mit einem harten Gegenstand gegen die Klappe zu hämmern. Holz knirschte, und plötzlich hörte ich einen unflätigen Fluch. Irgend etwas sauste an mir vorbei, so dicht, daß ich den Luftzug spürte, und löste eine wahre Holz- und Ziegellawine aus, als es in das Dach einschlug.
Ich spurtete los und spürte einen endlos langen Augenblick den Boden unter mir zittern, als die morschen Bretter vollends unter meinem Gewicht nachzugeben begannen. Ich stieß mich mit aller Macht ab, sprang, die Schulter voraus und mit zusammengebissenen Zähnen, gegen die geschlossene Tür - und spürte noch, wie hinter mir eine Art Falltür herunterschlug.
Die Luft roch modrig und so verbraucht, daß ich im ersten Moment das Gefühl hatte, ersticken zu müssen. Außerdem war es so dunkel, daß man die sprichwörtliche Hand vor Augen nicht mehr sehen konnte. Instinktiv drehte ich mich um und suchte nach der Tür, die hinter mir herabgefallen war, spürte aber nur kalte, feuchte Steine unter meinen Händen.
Da ich nichts sah, tastete ich mich vorsichtig an der Wand entlang. Doch nach wenigen Schritten versperrte mir etwas den Weg, eine Art flacher, langgestreckter Steinblock von der Größe eines Sarges. Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, daß es ein Sarg war.
Da sich meine Augen allmählich an die Dunkelheit gewöhnten, nahm ich jetzt auch den grünlich phosphoreszierenden Schimmer wahr, der von den Steinen ausging. Konturen schälten sich aus der Finsternis und formten sich zu einem niedrigen Gewölbe, das aus wuchtigen, grobbehauenen Quadern errichtet worden war.
Auf dem Boden standen sechs oder sieben Dutzend steinerne Sarkophage, in Reih und Glied ausgerichtet wie Soldaten. Mit einer für das spärliche Licht erschreckenden Dunkelheit nahm ich die bleichen Knochen wahr und die Totenschädel, die mich durch die zersprungenen und verschobenen Deckel der Särge angrinsten.
Eine Weile starrte ich auf die unerfreuliche Gesellschaft, in die ich nun geraten war, und versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen. Doch das seltsame Labyrinth und seine lebenden und toten Bewohner verwirrten mich so sehr, daß ich einfach selbst nicht mehr wußte, was ich suchte und wohin ich eigentlich wollte.
Ich versuchte erst gar nicht, einen Sinn hinter diesem ganzen Wahnwitz zu finden. Letztlich hatte ich mir mein Schicksal wohl selbst zuzuschreiben. Howard hatte mich oft genug vor dem Animal-Master der Tempelherren gewarnt, aber ich hatte ja nicht hören können, verdammter Narr, der ich war! DeVries hatte mich im Tode in eine Falle gelockt.
Ich unterdrückte das Grauen, das mir wie eine eisige Hand das Rückgrat entlang strich, ging langsam weiter und schaute mich so aufmerksam wie möglich um. Nach einigen Ewigkeiten entdeckte ich dann schließlich im dunkelsten Winkel des Gewölbes eine steile Treppe, die vor einer eisenbeschlagenen Tür endete.
Ich rannte hinauf und drückte die Klinke nieder. Doch nichts rührte sich. Ich verfluchte im stillen alle Türen dieses höllischen Labyrinths, warf mich gegen dieses Musterexemplar vor mir und rüttelte dann mit aller Kraft. Ich hätte ebensogut an den Steinen rechts und links neben mir rütteln können. Die Tür war nicht nur verschlossen; die Klinke bewegte sich nicht einmal.
Schließlich kehrte ich mit zusammengebissenen Zähnen in die Gruft zurück und durchsuchte sie nach einem zweiten Ausgang. Doch da gab es nichts außer Steinen, Knochen, Dreck und Moder.
Die schlechte Luft und das ekelhafte grünliche Licht zerrten in einer Art und Weise an meinen Nerven, daß ich nicht mehr klar denken konnte. Plötzlich packte mich die Angst, in dieser Gruft lebendig begraben zu sein. Und dann gingen mir meine Nerven durch. Verzweifelt rannte ich die Treppe hoch und hämmerte mit aller Macht gegen die Tür.
Ich weiß nicht, wie lange ich wie ein Irrsinniger gegen die Tür hämmerte und trat, Minuten vielleicht, aber mir kamen sie wie Stunden vor.
Dann, mit der Unberechenbarkeit, die dieser irrsinnigen Umgebung eigen war, gab die Tür unter meinen Faustschlägen nach; ich stolperte, verlor, vom Schwung meiner eigenen Bewegungen nach vorne gerissen, den Halt und fiel auf die Knie.