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Meine Umgebung hatte sich abermals verändert, als ich aufsah. Vor mir lag ein von Menschen überquellendes Kirchenschiff. Ich schätzte, daß mindestens dreihundert Leute auf den harten Holzbänken Platz genommen hatten und nun voller Inbrunst fromme Lieder sangen; eine Umgebung von täuschender Friedfertigkeit, die mich eigentlich hätte beruhigen müssen. Und doch fröstelte ich beim Anblick des hochaufragenden, kahlen Domes. Selbst der schmucklose Altar mit dem einfachen Holzkreuz strömte etwas Kaltes, Fremdes aus, das ich als bedrohlich empfand.

Erst wollte ich das Gotteshaus auf dem schnellsten Weg verlassen, doch dann beschloß ich, durch das Seitenschiff nach vorn zu gehen, um in einer stillen Ecke den Gottesdienst abzuwarten, um nicht irgend jemandem aufzufallen. Denn als ich mich dem Hauptportal zuwandte, kam der Pastor mit wehendem Talar aus einer schmalen Pforte neben dem Altar. Er warf einen zufriedenen Blick auf die versammelte Menge und stieg dann die gemauerte Treppe zur Kanzel hoch. Die Gläubigen verstummten und wandten ihm ihre ganze Aufmerksamkeit zu.

Ich hatte kaum die erste Bankreihe erreicht, da sprangen die beiden Flügel des Hauptportals krachend auf. Zuerst konnte ich gegen die tiefstehende Sonne nur drei drohende, schwarze Schatten sehen. Dann erkannte ich meine Verfolger und wich hinter eine der schmucklosen Säulen neben den altersgrauen, aber leider fest verschlossenen Beichtstühlen zurück.

Die drei Kerle verharrten einige Augenblicke auf der Schwelle und schauten grimmig herein. Dann setzten sie sich in Bewegung und kamen mit hallenden Schritten näher. Seltsamerweise schienen sie weder dem Pastor noch den Gläubigen aufzufallen, denn sie setzten ihren Gottesdienst fort, ohne auch nur einmal aufzuschauen. Es war, als bemerkten sie die Männer gar nicht.

Sie kümmerten sich auch nicht um die Eindringlinge, als diese einen jungen Mann, der mir entfernt ähnlich sah, aus der Bank zerrten und auf ihn einzuschlagen begannen; selbst dann noch, als sie ihren Irrtum bemerkten, wenn auch jetzt wohl eher aus Wut. Schließlich stießen sie ihn zur Seite und holten den nächsten heraus. Dabei kamen sie mir näher und näher.

Ich wartete, bis die Aufmerksamkeit meiner Gegner wieder auf die Bankreihen gerichtet war. Dann huschte ich aus meinem Versteck und schlich gebückt zwischen zwei Reihen hindurch. Zu meinem Glück waren die Leute in der Kirche so in ihrem Gebet versunken, daß ich genausowenig Beachtung wie meine Verfolger fand.

Ohne entdeckt zu werden, erreichte ich den Altar und benutzte ihn als Deckung. Meine Feinde wurden mittlerweile immer ungeduldiger. Sie zwängten sich rüde durch die Bänke. Ich hoffte schon auf einen Aufruhr in der Kirche und darauf, daß sich die Gläubigen endlich zur Wehr setzen würden. Doch die Leute setzten sich so, als wenn nichts geschehen wäre, wieder auf ihre Plätze. Das waren doch keine Menschen! dachte ich entsetzt. Sie bewegten sich, redeten und atmeten und sangen, aber was immer ich vor mir hatte, sah nur aus wie eine Gemeinde lebender Menschen. Sie waren wie ... Puppen.

Verrückt, dachte ich und blickte auf die Pforte, durch die der Pastor vorhin das Kirchenschiff betreten hatte. Dann vergewisserte ich mich, daß keiner der Verfolger zu mir hersah, und raste wie von Furien gehetzt durch die Tür.

Oder durch das, was ich für eine Tür hielt.

Das Wasser einer breiten Gracht dämpfte meinen Fall. Ich tauchte bis auf den schlammigen Grund, und wollte dann mit einigen Schwimmstößen wieder an die Oberfläche. Doch meine Kleidung hatte sich mit Wasser vollgesogen. Sie hing wie ein schwerer Klotz an mir und hielt mich einfach unten fest.

Meine Lungen stachen vor Schmerz, und Sterne tanzten vor meinen Augen. Halberstickt mühte ich mich, meinen Mantel und meinen Überrock abzustreifen, und stieg dann endlich mit kraftlosen Schwimmbewegungen wieder hoch.

Endlich kam ich mit dem Kopf über die Wasseroberfläche und rang gierig nach Atem. Da beugte sich ein dunkler Schatten über das Ufer, packte mich am Genick und zog mich wie eine nasse Katze heraus.

Vor mir stand der Mann, dem ich in dem Elendsquartier mit knapper Mühe entkommen war, und musterte mich mit einem diabolischen Grinsen. In der kurzen Zeit zwischen unserer letzten Begegnung und jetzt hatte er sich entsetzlich verändert.

Er glich nun einer mumifizierten Wasserleiche. Ein leichtes, widerlich schwammiges Platschen begleitete seine Bewegungen, und von dem Gestank, der von ihm ausging, wurde mir beinahe übel.

Seine Hände schlossen sich um meine Oberarme, und er hob mich wie ein kleines Kind in die Höhe. Mit einem heftigen Ruck prellte er mir den Stockdegen aus der Hand. Ich trat mit beiden Beinen zu, doch er schüttelte nur lachend den Kopf. Meine Gegenwehr schien ihn zu amüsieren.

»Deine Zeit ist um, Robert Craven. Mir ist noch nie jemand entkommen!« grinste er und verstärkte seinen Griff. Seine Augen glühten vor Haß. Verzweifelt versuchte ich mich aus seinen Pranken zu winden, doch ich hätte ebensogut versuchen können, zolldicke Eisenfesseln aufzubrechen.

Stöhnend gab ich meinen Widerstand auf und ließ meine Arme hängen. Dabei berührte ich mit meiner Rechten die Hosentasche und fühlte etwas Hartes unter meinen Fingern. Es war ein Taschenmesser, das Rowlf mir bei irgendeiner Gelegenheit geschenkt hatte und das ich seither mit mir herumtrug.

Wenn es mir gelang, diese Waffe zu ziehen, hatte ich vielleicht eine Chance. Zwar hielt der Unheimliche meine beiden Oberarme umklammert und schleppte mich wie eine Puppe mit sich, aber ich konnte zumindest meine Ellbogen frei bewegen und die rechte Hand in die Hosentasche zwängen. Beim dritten Zugreifen hatte ich das Messer in der Hand und versuchte es aufzuklappen.

Der erste Versuch mißlang, doch dann brachte ich die Klinge ein Stück aus dem Griff und stemmte den Daumen zwischen Schneide und Griff.

Um den Kerl zu täuschen, stieß ich mit dem Kopf in sein Gesicht. Er geriet aus dem Gleichgewicht und ließ mich für einen Augenblick los. In dem Moment zuckte mein Messer hoch und bohrte sich in seine Wange.

Schmerz schien das Monstrum noch empfinden zu können, denn es heulte auf und drehte sich um seine eigene Achse. So schnell mich meine schmerzenden Beine trugen, stolperte ich zu der Stelle, an der mein Stockdegen lag, und nahm die Waffe aufatmend an mich.

Als ich wieder in das Gesicht des Unheimlichen blickte, erstarrte ich.

Die Wunde, die ich ihm zugefügt hatte, war nicht mehr als ein lächerlicher Schnitt, sicherlich schmerzhaft, aber ganz und gar ungefährlich. Aber sein Körper begann sich aufzulösen ...

Verwirrt prallte ich zurück, starrte das zerlaufende Gesicht des Unheimlichen an und blickte dann auf das Messer herab. Und plötzlich begriff ich. Die Klinge des Taschenmessers war aus Silber - einem Metall, dessen Berührung auf ein untotes Wesen wie ihn tödlich wirkte! Guter Rowlf.

Aber wenn er auch blind war, war mein Feind doch keineswegs ungefährlich. Sein Körper begann zu zerfallen, als der unselige Zauber, der ihn über so lange Zeit auf widernatürliche Weise am Leben gehalten hatte, erlosch, aber noch war er in der Lage, sich zu bewegen. Er schien jede Bewegung, die ich machte, im voraus zu ahnen, denn er war mit einem Schlag still und drehte lauernd seinen Kopf hin und her. Dann begann er plötzlich laut zu schnüffeln und stampfte mit ausgebreiteten Armen auf mich zu.

Ich tauchte unter seinen zugreifenden Pranken hindurch und hoffte, daß er weitergehen und ins Wasser stürzen würde.

Doch er blieb genau an der Uferkante stehen und sog prüfend die Luft ein. Dann drehte er sich langsam herum.

Ich sprang ihn mit dem Mut der Verzweiflung an und traf ihn mit der Fußspitze über dem Knie. Er verlor das Gleichgewicht und ruderte mit den Armen in der Luft.

Dann kippte er nach hinten und fiel rücklings ins Wasser. Einen kurzen Moment lang konnte er sich noch an der Oberfläche halten. Dann ging er unter und versank in der Tiefe.