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Eine Sekunde später glomm unter der Wasseroberfläche ein unheimliches, blaues Licht auf. Zuerst dachte ich, das Wasser würde brennen. Dann erkannte ich, daß das Licht von meinem Verfolger ausging. Er wurde immer heller, bis er nach wenigen Sekunden wie ein in der Tiefe der Gracht brennender Holzstoß aussah. Zwei Augenblicke später explodierte er mit einem dumpfen Knall.

Ich war so erschöpft, daß ich nicht einmal Erleichterung über das Ende meines Verfolgers empfand. Meine Hüfte schmerzte, als würde jemand mit einer glühenden Stange hineinstechen, und meine Oberarme waren von dem Griff meines Verfolgers taub. Dazu pochte mein verletzter rechter Daumen wie verrückt. Ich wickelte mein Taschentuch darum, um die Blutung zu stillen, und las dann die Scheide meines Stockdegens auf.

Meine Hände zitterten vor Schwäche, so daß ich kaum die Klinge in die Scheide einführen konnte. Danach war ich so erschöpft, daß ich mich hinsetzen und verschnaufen mußte.

Ich wäre am liebsten nicht mehr aufgestanden. Doch nach einigen Minuten wankte ich auf die Mauer zu und untersuchte sie. An einer Stelle war sie zwar nur fünf Meter hoch, aber praktisch fugenlos glatt. In meinem desolaten Zustand war es mir unmöglich, an ihr hochzuklettern.

So blieb mir nichts anderes übrig, als die geheime Tür zu suchen, die mein Verfolger erwähnt hatte. »Wenn es sie überhaupt gibt und der Kerl dich nicht zum Narren gehalten hat«, flüsterte mir ein Gedanke ein. Ich versuchte ihn zu ignorieren, aber nach einer halben Stunde erfolgloser Sucherei sah es so aus, als ob sich diese Befürchtung bewahrheiten würde. Ich hatte die Mauer von Ufer zu Ufer untersucht und nichts als glatten Stein gefunden.

Ich sank müde und enttäuscht zu Boden und blieb auf dem Rücken liegen. Meine Rippen stachen, und meine Zunge lag mir wie ein angeschwollener Schlauch im Mund. Wenn ich nicht bald etwas zu trinken bekam, würde ich in kurzer Zeit nicht mehr weiter können. Auch meldete sich jetzt mein Magen und rächte sich dafür, daß ich am Morgen in meiner Eile auf das Frühstück verzichtet hatte.

Das Wasser der Gracht schlug mit sanftem Klatschen gegen das Ufer, und ich konnte diesem Ruf nicht widerstehen. So rasch mich meine Beine trugen, eilte ich hin und tauchte beide Hände ins Wasser. Der Gestank, der dem Wasser entströmte, ließ die Übelkeit wieder in mir hochsteigen. Ich würgte, kämpfte erfolglos gegen den Brechreiz an und übergab mich.

Schließlich kam ich wieder so weit zu mir, daß ich mich auf die Beine quälen und zur Mauer zurückgehen konnte.

Doch ich hatte keine Hoffnung mehr, die geheime Tür noch zu finden. Meine Knie wurden weich; ich knickte ein und stützte mich mit einer Hand an der Mauer ab. Das heißt, ich wollte es tun. Ich spürte keinen Widerstand, sondern versank mit der Hand in der Mauer. Als ich meine Verblüffung endlich überwunden hatte, ertasteten meine Finger einen verborgenen Hebel, ergriffen ihn und legten ihn um.

Ein mannshohes Stück Mauer verschwand so spurlos, als hätte es sich in Luft aufgelöst. Helles Licht schien durch die Öffnung und blendete mich. Ich achtete nicht darauf, sondern taumelte innerlich aufatmend durch die Tür. Dann gewöhnten sich meine Augen an das Licht - und ich hielt unwillkürlich den Atem an.

Ich stand am Eingang eines langen Saales, der sich in unzähligen Abteilungen so weit erstreckte, wie ich schauen konnte. Das Licht stammte von Zigtausenden von Kerzen, die auf übermannshohen Kerzenständern aus massivem Silber brannten, oder auf bemalten Porzellanlüstern, die an der mit reichem Stuck verzierten Decke hingen.

Die Wände des Saales waren mit kitschigen Gemälden geschmückt, die irgendwelche Schlachten der Weltgeschichte darstellten. Dazu gab es noch große Gobelins mit höfischen Jagdszenen und Bildern aus den antiken Mythen sowie Marmorbrüsten französischer Könige.

Erst allmählich erkannte ich, daß sich die Bilder in jeder der scheinbaren Abteilungen des Saales wiederholten und begriff, daß ich ein Opfer meiner überreizten Sinne geworden war. Für die scheinbare Unendlichkeit des Saales sorgten zwei riesige Wandspiegel, die sich genau gegenüberstanden und sich auf diese Weise tausendfach widerspiegelten. Es war der gleiche Trick, der im Spiegelsaal von Versailles für den Effekt der Unendlichkeit des Raumes sorgte.

Da auch die Tische und Stühle über und über mit Bourbonen-lilien bestickt waren, hätte ich durchaus in Versailles sein können. Aber ich wußte genau, daß ich mich in der Van Dengsterstraat von Amsterdam befand. Außerdem glaubte ich gewisse Unterschiede zum Versailler Spiegelsaal zu sehen und schätzte, daß ich mich in einer Kopie dieses Saales befand, den sich irgendein abendländischer Potentat in Amsterdam hatte erbauen lassen.

Ich riß mich von dem Anblick los und entdeckte auf einem kleinen Tischchen ein Silbertablett, auf dem eine volle Kristallkaraffe und ein leeres Glas standen.

Müde, wie ich war, holte ich mir einen Stuhl und ergriff die Karaffe. Sie schien mit genau der Sorte erstklassigen Burgunders gefüllt zu sein, den ich am liebsten trank. Zuerst war ich verblüfft und schaute mich suchend um. Da ich aber nur mein eigenes Spiegelbild sehen konnte, beruhigte ich mich wieder und füllte das Glas bis zum Rand.

Dann lehnte ich mich gemütlich zurück und trank mit Genuß den ersten Schluck.

»Du mußt ja ein verdammt harter Bursche sein, Craven«, sagte eine Stimme hinter mir.

Ich verschluckte mich vor Schrecken, ließ das Glas fallen - und erstarrte mitten in der Bewegung, als ich den Druck einer Messerklinge am Nacken spürte. Langsam, um den Mann hinter mir nicht durch eine unbedachte Bewegung zu provozieren, wandte ich mich um. Ich war nicht einmal sonderlich überrascht, in die Gesichter der beiden übriggebliebenen Verfolger zu sehen.

»Du mußt wirklich etwas ganz Außergewöhnliches sein«, sagte der, der mir das Messer nun gegen die Kehle drückte, noch einmal, »wenn du sogar mit Croff fertig geworden bist. Aber denk jetzt bitte nicht, du hättest das Glück gepachtet.« Er lächelte kalt und drehte mir die Arme auf den Rücken.

Die beiden machten sich wenig Umstände mit mir. Unsanft rissen sie mich vollends vom Stuhl hoch, fesselten mich und stießen mich in eine Ecke.

Der, den der andere Yaccur genannt hatte, holte sich einen zweiten Stuhl und setzte sich mit dem Gesicht zur Lehne darauf. Sein Kumpel schenkte den Burgunder in zwei Gläser und reichte Yaccur eines davon.

Ich zerrte wütend an meinen Fesseln, doch der einzige Erfolg war, daß die Stricke in meine Handgelenke einschnitten. Schließlich gab ich es auf und fragte: »Was habt ihr mit mir vor?«

»Ich muß schon sagen, du bist verdammt neugierig, Craven! Warte doch ab, dann wirst du schon erleben, was das Labyrinth aus dir macht!« kicherte Yaccur. »Du wirst es sehen. Nur keine Ungeduld.«

Als die Karaffe leer war, trat Yaccur zu mir her und beugte sich über mich. »Komm, Sidos, hilf mir, den Kerl rauszubringen«, rief er seinem Spießgesellen zu. Doch dieser winkte nur ab.

»Ach komm, Yaccur, warum sollen wir Craven von hier fortschleppen? Es ist doch weitaus besser, wenn wir hier warten, bis der Meister kommt!«

»Aber wir müssen ihn doch ins Zentrum bringen«, brummte der andere widerstrebend.

»Bist du so blöd, oder willst du es bloß nicht begreifen? Dieser Kerl ist kein so harmloser Spinner wie die anderen Idioten, die bis zum Stehkragen voll von magischen Kräften waren und dann vor Angst vor unseren Keulen in die Hosen machten. Der hier hat immerhin Croff umgelegt! Ich bin froh, daß wir ihn endlich erwischt haben, und habe keine Lust, auch nur das Geringste zu riskieren, bevor der Meister hier ist.«

»Du bist ein Feigling, Sidos. Auf meine Knoten ist Verlaß!«

»Willst du etwa damit sagen, daß ich schlechtere Knoten binde als du?« fuhr Sidos auf und stemmte sich von dem Stuhl hoch. Yaccur warf einen verächtlichen Blick auf die geballten Fäuste seines Kumpans und ließ mich wie eine Strohgarbe zurück auf den Boden fallen. Dann grinste er Sidos anzüglich an: »Ich habe gedacht, du willst nichts riskieren? Warum bist du dann so scharf auf Prügel?«