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Herr Dimpfelmoser ließ eine Weile verstreichen, dann läutete er zum zweiten und später zum dritten Mal. War Frau Schlotterbeck nicht zu Hause?

„Ich werde es gegen Abend noch einmal versuchen ..."

Er wollte gerade gehen, da hörte er eine Tür kreischen und Frau Schlotterbeck kam durch den Garten geschlurft.

Eigentlich hätte sie Wabbelbeck heißen müssen, denn alles an ihr war rund und wabbelig, auch das Gesicht mit dem sechsfachen Doppelkinn und den mächtigen Hängebacken. Obwohl es bereits auf vier Uhr nachmittags ging, trug Frau Schlotterbeck einen geblümten Morgenrock, dazu Lockenwickel im Haar und ausgetretene Filzpantoffeln. Sie schnaufte und keuchte bei jedem Schritt wie eine überanstrengte Dampfmaschine.

„Ach, Sie sind's, Herr Oberwachtmeister!" Ihre Stimme klang tief und hohl, als spräche sie durch ein Ofenrohr. „Was verschafft mir die Ehre?"

„Ich hätte mit Ihnen zu reden, Frau Schlotterbeck. Darf ich eintreten?"

„Bitte sehr, kommen Sie nur herein!"

Während sie durch den verwilderten Garten gingen, bellte der Hund von neuem los wie nicht recht gescheit.

„Willst du wohl still sein, Wasti!" Frau Schlotterbeck blickte Herrn Dimpfelmoser verlegen an. „Sie müssen entschuldigen. Wasti regt sich bei jeder Kleinigkeit schrecklich auf."

In Frau Schlotterbecks Wohnstube herrschte geheimnisvolles Halbdunkel, da sie die Vorhänge tagsüber stets geschlossen hielt – nach dem Grundsatz: Zum Hellsehen muss es dunkel sein.

„Bitte, nehmen Sie Platz!"

Frau Schlotterbeck zündete eine Kerze an, die genau in der Mitte des Tisches stand, dessen Platte mit allerlei seltsamen Zeichen bedeckt war: mit Sternen von unterschiedlicher Größe und Form, mit Quadraten und Kreuzen, mit Ziffern und Kreisen und Buchstaben einer fremden Schrift, die Herr Dimpfelmoser nicht lesen konnte.

„Zigarre?"

Sie schob ihm ein flaches Kästchen hin.

„Danke – im Dienst bin ich Nichtraucher."

„Aber Sie haben doch hoffentlich nichts dagegen, wenn ich ..."

Damit entnahm sie dem Kästchen eine dicke schwarze Zigarre, schnupperte daran, biss ihr die Spitze ab, rauchte sie an und begann zu paffen.

„Sie hätten also mit mir zu reden?"

„So ist es."

Herr Dimpfelmoser wollte beginnen ihr auseinander zu setzen, worum es sich handelte, doch Frau Schlotterbeck schnitt ihm das Wort ab.

„Nicht nötig, mein Bester – schauen Sie mal hierher!"

Sie klemmte sich ein Monokel ins rechte Auge und deutete mit dem Finger auf dessen unteren Rand.

„Wozu kann ich schließlich Gedanken lesen? Aber nicht zwinkern, bitte!"

Herr Dimpfelmoser gehorchte, obgleich es ihm Unbehagen bereitete, dass ihm Frau Schlotterbeck sozusagen ins Hirn schaute. Zum Glück war die Sache bald ausgestanden.

„Ich weiß nun, wo Sie der Schuh drückt", sagte Frau Schlotterbeck. „Aber ich kann Sie beruhigen. Kommen Sie morgen früh um halb neun zu mir! Ihnen zuliebe werde ich ausnahmsweise den Wecker auf Viertel nach acht stellen."

„Und Sie meinen ..."

Frau Schlotterbeck stieß eine dicke Rauchwolke aus und nickte.

„Wir machen es mit der Kristallkugel", sagte sie. „Damit können wir jeden einzelnen Schritt Ihrer Freunde von hier aus beobachten, ohne dass Hotzenplotz das Geringste merkt. – Doch nun darf ich Sie bitten mich zu entschuldigen: Ich muss Wasti das Frühstück bringen. Hören Sie nur, wie er jault und winselt, der arme Hund!"

Die Kristallkugel

Am anderen Morgen um acht brachen Kasperl und Seppel auf. Wer sie mit ihrer Blechkanne losziehen sah, musste meinen, sie gingen zum Brombeerpflücken. Doch in der Kanne befand sich das Lösegeld. Es stimmte auf Heller und Pfennig, sie hatten es fünfmal nachgezählt. Herr Dimpfelmoser begleitete sie bis zur nächsten Straßenecke.

„Also macht's gut – und verlasst euch drauf, dass ich euch raushole, wenn was schief geht!"

„Wird schon nicht!", meinte Kasperl.

Nun trennten sich ihre Wege. Die beiden Freunde mussten zum alten Steinkreuz im Wald, Herr Dimpfelmoser begab sich zur Witwe Schlotterbeck. Wieder musste er einige Male klingeln und wieder brach Wasti in wildes Gekläff aus. Hatte Frau Schlotterbeck etwa verschlafen?

Endlich kam sie und öffnete: barfuß in Schlappen, ein gehäkeltes Betthäubchen auf dem Kopf, über dem Nachthemd ein Wolltuch mit langen Fransen.

„Kommen Sie nur, es ist alles vorbereitet!"

Auf dem Tisch in der abgedunkelten Wohnstube brannte bereits die Kerze. Daneben ruhte auf einem Kissen aus schwarzem Samt eine kokosnussgroße, bläulich schimmernde Kugel von Bergkristall.

„Nicht anfassen!", warnte Frau Schlotterbeck. „Bei der geringsten Erschütterung trübt sie sich und es kann Stunden, ja sogar Tage dauern, bis man sie wieder verwenden kann."

„Und wozu ist sie gut?", fragte Oberwachtmeister Dimpfelmoser.

„Sie können mit ihrer Hilfe alles beobachten, was sich an jedem beliebigen Ort im Umkreis von dreizehn Meilen ereignet – vorausgesetzt, es geschieht unter freiem Himmel."

Sie setzte sich an den Tisch und fasste das Kissen mit der Kristallkugel vorsichtig an zwei Ecken, dann fragte sie:

„Haben Sie eine Ahnung, wo Kasperl und Seppel jetzt ungefähr sein könnten?"

Herr Dimpfelmoser warf einen Blick auf die Taschenuhr.

Zehn vor neun ... Jetzt müssten sie unweit der Stelle sein, wo die Brücke über den Moosbach führt."

„Schön, das genügt mir – wir werden sie bald gefunden haben."

Mit spitzen Fingern drehte Frau Schlotterbeck Kissen und Kugel einige Male hin und her.

„Das Einstellen dauert immer am längsten", meinte sie. „Dafür geht es dann, wenn das Ziel gefunden ist, von allein weiter ... Aber wer sagt's denn! Da haben wir ja die Moosbachbrücke – und wenn mich nicht alles täuscht, tauchen dort hinten im Wald schon Kasperl und Seppel auf."

„Wirklich?", fragte Herr Dimpfelmoser.

Frau Schlotterbeck nickte und zog ihn am Ärmel zu sich heran.

„Kommen Sie hierher, an meinen Platz. Es wird besser sein, wenn Sie die beiden von jetzt an selber beobachten. Aber nicht an den Tisch stoßen, sonst ist alles verpatzt!"

Herr Dimpfelmoser gab höllisch Acht. So behutsam wie diesmal hatte er sich sein Lebtag an keinen Tisch gesetzt.

„Bravo!", sagte Frau Schlotterbeck. „Und nun blicken Sie fest in die Kugel – was sehen Sie?"

Zunächst sah Herr Dimpfelmoser bloß einen bläulichen Schimmer in der Kristallkugel, doch allmählich begann sich ein Bild darin abzuzeichnen, das rasch immer klarer wurde – und richtig, nun konnte er Kasperl und Seppel erkennen, wie sie gerade über die Brücke gingen. Auch hörte er ihre Schritte und wenn er die Ohren spitzte, verstand er sogar, was sie miteinander redeten.

„Nun, wie finden Sie das, mein Bester?", fragte Frau Schlotterbeck. „Habe ich Ihnen zu viel versprochen?"

Herr Dimpfelmoser war ehrlich begeistert.

„Ich finde es großartig!", rief er. „Hotzenplotz würde vor Wut aus der Haut fahren, wenn er wüsste, dass Kasperl und Seppel durch Ihre Kristallkugel polizeilich beobachtet werden!"

Vorwärts marsch!

Seit die Brücke über den Moosbach hinter ihnen lag, hatten Kasperl und Seppel das Gefühl, als ob ihre Füße mit jedem Schritt ein halbes Pfund schwerer würden. Am liebsten wären sie jetzt noch umgekehrt.