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Der Abt sagte nichts.

»Inwiefern?« fragte Door.

»Nun ja, du wolltest deine Familie rächen. Das hast du getan. Und du hast alle, die etwas damit zu tun hatten, in irgendeine Ecke ganz weit weg im Nichts verfrachtet. Also, jetzt wird ja wohl niemand mehr versuchen, dich umzubringen, oder?«

»Im Moment nicht«, sagte Door ernst.

»Und Sie?« fragte Richard den Marquis. »Haben Sie erreicht, was Sie wollten?«

Der Marquis nickte. »Ich denke schon. Meine Schuld bei Lord Portico ist bezahlt, und Lady Door schuldet mir einen großen Gefallen.«

Richard blickte zu Door. Sie nickte.

»Und was ist mit mir?« fragte er.

»Na ja«, sagte Door. »Ohne dich hätten wir es nicht geschafft.«

»Das habe ich nicht gemeint. Wie komme ich jetzt wieder nach Hause?«

Der Marquis zog eine Augenbraue hoch. »Wofür halten Sie sie – den Zauberer von Oz? Wir können Sie nicht nach Hause schicken. Dies ist Ihr Zuhause.«

Door sagte: »Das hab’ ich dir doch schon zu erklären versucht, Richard.«

»Es muß doch eine Möglichkeit geben!« sagte Richard und schlug mit der linken Faust heftig auf den Tisch, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. Und dann sagte er: »Au«, denn es ist nicht besonders klug, mit der Hand auf einen Tisch zu schlagen, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, wenn man einen gebrochenen Finger hat.

»Werden Sie erwachsen«, sagte der Marquis.

Richard rieb sich die Hand. Seine Kampfeslust war verpufft.

»Wo ist der Schlüssel?« fragte der Abt.

Richard neigte den Kopf. »Door«, sagte er.

Sie schüttelte den Kopf. »Ich hab’ ihn nicht«, erklärte sie. »Ich habe ihn dir nach dem letzten Marktbesuch wieder in die Tasche gesteckt.«

Richard öffnete den Mund und schloß ihn dann wieder. Dann öffnete er ihn und sagte: »Du meinst, als ich Croup und Vandemar sagte, ich hätte ihn und sie könnten mich gern durchsuchen … da hatte ich ihn wirklich?«

Sie nickte. Ihm fiel der harte Gegenstand in seiner Gesäßtasche wieder ein, in der Down Street; ihm fiel ein, wie sie ihn umarmt hatte, als er auf dem Schiff mit dem Curry zurückgekommen war.

»Ach, du Scheiße«, sagte Richard.

Der Abt streckte die Hand aus. Seine faltigen braunen Finger nahmen eine kleine Glocke vom Tisch, und er läutete nach Bruder Fuliginous.

»Bring mir die Hose des Kriegers«, sagte er.

Fuliginous nickte und ging.

»Ich bin kein Krieger«, sagte Richard.

Der Abt lächelte sanft. »Du hast das Ungeheuer getötet. Du bist der Krieger.«

Richard verschränkte wütend die Arme. »Nach all dem kann ich zwar immer noch nicht wieder nach Hause, aber als Trostpreis bekomme ich eine Art archaischen unterirdischen Ehrentitel?«

Der Marquis schaute wenig mitfühlend drein. »Sie können nicht nach Ober-London zurückkehren. Ein paar Individuen gelingt es, eine Art Halbleben zu führen – Iliaster und Lear haben Sie ja kennengelernt. Aber auf mehr können Sie nicht hoffen.«

Door streckte die Hand aus und berührte Richard am Arm. »Es tut mir leid«, sagte sie ihm. »Denk doch daran, was du alles Gutes getan hast. Du hast uns den Schlüssel besorgt.«

»Tja«, fragte er, »und wozu? Du hast einfach einen neuen machen lassen – «

Bruder Fuliginous tauchte wieder auf, mit Richards Hose in der Hand; sie war voller Schlamm und getrocknetem Blut, und sie stank. Der Mönch reichte die Hose dem Abt, der anfing, ihre Taschen zu durchsuchen.

Door lächelte. »Ohne das Original hätte ich von Hammersmith keine Kopie machen lassen können.«

Der Abt räusperte sich. »Ihr seid alle sehr dumm«, erklärte er würdevoll, »und ihr habt einfach keine Ahnung.«

Er hielt den silbernen Schlüssel hoch. Er glitzerte im Licht des Feuers. »Richard hat die Bewährungsprobe bestanden. Er ist der Besitzer des Schlüssel, bis er ihn uns wieder anvertraut. Der Schlüssel hat Macht.«

»Es ist der Schlüssel zum Himmel … «, sagte Richard, der nicht wußte, worauf der Abt hinauswollte.

Die Stimme des alten Mannes war tief und melodiös. »Es ist der Schlüssel zu jeder Art von Realität. Wenn Richard nach Ober-London zurückkehren möchte, dann wird der Schlüssel ihn nach Ober-London bringen.«

»So einfach ist das?« fragte Richard.

Der alte Mann nickte unter dem Schatten seiner Kapuze mit seinem blinden Kopf.

»Wann können wir?« fragte Richard.

»Sobald du bereit bist«, sagte der Abt.

Die Mönche hatten seine Sachen gewaschen und geflickt und sie ihm zurückgegeben. Bruder Fuliginous führte ihn durch das Kloster und eine schwindelerregende Folge von Leitern und Treppen hinauf bis in den Glockenturm. In der Spitze des Glockenturms befand sich eine Bodenklappe, und durch die preßten sie sich hindurch und landeten in einem schmalen Tunnel, in dessen Wand auf einer Seite Metallstufen eingelassen waren. Sie kletterten die Wand hoch und kamen auf einem dunklen U-Bahnsteig wieder heraus.

NIGHTINGALE LANE stand auf den alten Schildern an der Wand. Bruder Fuliginous wünschte Richard alles Gute und wies ihn an, dort zu warten, bis er abgeholt würde. Richard saß zwanzig Minuten lang auf dem Bahnsteig und fragte sich, warum sich der Marquis nicht von ihm verabschiedet hatte.

Als er Door diese Frage gestellt hatte, hatte sie erklärt, sie wisse es nicht, aber vielleicht sei Abschiednehmen ebenso wie das Trösten von Menschen etwas, worin der Marquis nicht sehr gut sei.

Dann sagte sie ihm, sie habe etwas im Auge, und sie gab ihm einen Zettel mit Anweisungen und ging fort.

Etwas winkte aus der Finsternis. Etwas Weißes. Es war ein Taschentuch an einem Stock.

»Hallo?« rief Richard.

Old Bailey trat in Federn gehüllt und rundlich aus der Dunkelheit. Er wirkte unsicher und befangen. Er winkte mit Richards Taschentuch.

»Das ist meine kleine Flagge«, sagte er.

»Freut mich, daß Sie es so gut gebrauchen können.«

Old Bailey grinste beklommen. »Gut. Wollte nur sagen. Hab’ was für dich. Hier.«

Er steckte die Hand in eine Manteltasche und zog eine lange schwarze Feder mit einem blau-lila-grünen Schimmer hervor. Ein roter Faden war um das Kielende der Feder gewickelt.

»Ähm. Ja, danke«, sagte Richard, der nicht genau wußte, was er damit anfangen sollte.

»Das ist eine Feder«, erklärte Old Bailey. »Und zwar eine gute. Erinnerung. Souvenir. Andenken. Und sie ist umsonst. Ein Geschenk. Von mir an dich. Eine Art Dankeschön.«

»Ja. Also. Sehr freundlich.« Er steckte sie in die Tasche. Ein warmer Wind blies durch den Tunnel. Ein Zug näherte sich.

»Das ist dein Zug«, sagte Old Bailey. »Ich selber fahre nicht mit dem Zug. Ich bevorzuge Dächer.«

Er schüttelte Richard die Hand und ergriff die Flucht.

Der Zug fuhr ein. Alle Waggons waren dunkel, und keine Tür öffnete sich. Richard klopfte an die Tür vor seiner Nase, in der Hoffnung, daß es die richtige war.

Die Tür ging auf, und die verlassene Haltestelle wurde von einem warmen gelben Licht überflutet. Zwei ältere Herren mit langen Signalhörnern in der Hand stiegen aus. Richard erkannte sie: Dagvard und Halvard, vom Earl’s Court; konnte sich allerdings nicht mehr erinnern, wer wer war. Sie setzten die Hörner an die Lippen und bliesen falsch, aber ehrlich eine Fanfare.

Richard stieg in den Zug, und sie folgten ihm.

Der Earl saß am Ende des Waggons und tätschelte seinen Wolfshund. Der Hofnarr – Tooley, dachte Richard, das war sein Name – stand neben ihm. Abgesehen von ihnen und den zwei Rittern war der Waggon menschenleer.

»Wer ist da?« fragte der Earl.

»Er ist es, Sire«, sagte sein Narr. »Richard Mayhew. Der, der das Ungeheuer getötet hat.«

»Der Krieger?« Der Earl kratzte seinen rotgrauen Bart. »Bringt ihn her.«

Richard ging zu dem Sessel des Earl. Der Earl musterte ihn nachdenklich von Kopf bis Fuß, und nichts deutete darauf hin, daß er sich daran erinnerte, Richard schon einmal begegnet zu sein.