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Georg und Eliza lebten nun schon fünf Jahre in Freiheit. In dem Geschäft eines tüchtigen Maschinisten hatte Georg Beschäftigung gefunden, wodurch er genügend verdiente, um seine Familie angemessen zu ernähren, die sich inzwischen um eine kleine Tochter vergrößert hatte.

Der kleine Harry, ein prächtiger, aufgeweckter Junge, besuchte eine gute Schule, wo er tüchtige Fortschritte machte.

Der würdige Pastor von der Station in Amherstberg war so interessiert an Madame de Thoux' Enthüllungen, daß er sich von ihren Vorstellungen bewegen ließ und sie auf ihrer Suche nach Montreal begleitete.

Der Schauplatz wechselt nun zu einer kleinen, hübschen Wohnung am Stadtrande von Montreal; es ist Abend. Ein lustiges Feuer prasselt auf dem Herd, der Teetisch, bedeckt mit einem schneeweißen Tuch, ist zum Abendbrot gerichtet. In einer Zimmerecke steht ein Tisch mit einem grünen Tuch, auf dem sich ein offenes Schreibpult mit Federn und Papier befindet, darüber stehen auf einem Bücherbrett gute, ausgewählte Bücher.

Das war Georgs Studierstube. Dasselbe Bildungsstreben, das ihn schon in früher Jugend trotz Plackerei und Mißerfolgen dazu getrieben hatte, sich die vielbegehrten Künste des Lesens und Schreibens anzueignen, beseelte ihn noch immer, er widmete jede Mußestunde seiner Fortbildung.

Gegenwärtig sitzt er am Tisch und macht sich Notizen nach einem Band aus der Familienbibliothek.

»Nun komm, Georg«, sagte Eliza, »den ganzen Tag hast du geschafft. Jetzt leg das Buch einmal hin und laß uns ein bißchen plaudern, während ich das Essen richte — bitte.«

Und die kleine Eliza unterstützt ihre Aufforderung, indem sie zum Vater wackelt und versucht, ihm das Buch aus der Hand zu ziehen und sich statt dessen auf seinem Knie niederzulassen.

»Oh, du kleiner Racker«, sagt Georg nachgebend, wie es der Mann unter solchen Umständen immer tun muß.

»So ist es recht«, meint Eliza, während sie einen Laib Brot anschneidet; ein wenig älter sieht sie aus; ein wenig voller ist ihre Gestalt, ein wenig matronenhaft trägt sie jetzt ihr Haar, aber offensichtlich ist sie zufrieden und glücklich, wie Frauen das brauchen.

»Harry, mein Junge, wie ist es dir heute mit der Rechenaufgabe ergangen?« fragt Georg, während er seinem Sohn die Hand auf den Kopf legt.

Harry hat seine langen Locken eingebüßt, aber was er nicht einbüßen kann, sind seine Augen und Wimpern und die schöne, kühne Stirn, die sich jetzt vor Freude rötet, als er triumphierend antwortet: »Ich habe sie ganz allein gelöst, Vater, und niemand hat mir geholfen.«

»Das ist recht«, sagt sein Vater; »verlaß dich auf dich selbst, mein Sohn. Du hast bessere Chancen, als dein armer Vater hatte.«

In diesem Augenblick klopft es an die Tür, und Eliza geht und öffnet. Ihr erfreutes »Was — sind Sie das?« ruft ihren Gatten herbei, und beide heißen ihren guten Pastor aus Amherstberg willkommen. Zwei Frauen begleiten ihn, und Eliza bittet sie, Platz zu nehmen.

Nun hatte der ehrliche Pastor ein kleines Programm entworfen, wonach sich diese Angelegenheit entwickeln sollte; auf ihrem Wege hierher hatte einer den andern weise und bedachtsam ermahnt, nur ja nichts zu verraten und sich strikte an die Verabredung zu halten.

Wie groß war daher die Bestürzung des guten Mannes, nachdem er kaum die Damen zum Sitzen aufgefordert und sein Taschentuch hervorgezogen hatte, um sich den Mund abzuwischen, damit er seine Einleitungsrede in guter Ordnung vortragen könnte, als Madame de Thoux den ganzen Plan über den Haufen warf, indem sie Georgs Hals mit beiden Armen umschlang und alles mit den Worten verriet: »Oh, Georg! Erkennst du mich nicht? Ich bin deine Schwester Emily!«

Cassy hatte mit größerer Ruhe Platz genommen und würde ihre Rolle auch gut durchgeführt haben, wenn nicht die kleine Eliza plötzlich vor ihr aufgetaucht wäre, in genau derselben Gestalt, in jeder Linie und Ringellocke das genaue Ebenbild ihrer Tochter, wie Cassy sie zuletzt gesehen hatte. Das kleine Ding lugte ihr ins Gesicht, und Cassy fing sie in beiden Armen auf, preßte sie an ihre Brust und sagte, was sie im Moment auch wirklich glaubte: »Mein Liebling, ich bin deine Mutter!«

Es war in der Tat eine schwierige Aufgabe, nun alles wieder ins richtige Gleis zu bringen, aber schließlich gelang es dem guten Pastor, die allgemeine Ruhe herzustellen und die Rede zu halten, mit welcher die Sache eingeleitet werden sollte. Aber noch jetzt war sein Erfolg so groß, daß seine Zuhörer allesamt in Schluchzen ausbrachen. Damit hätte jeder Redner vollauf befriedigt sein können.

Sie knieten zusammen nieder, und der gute Mann betete; dann erhob sich die neugefundene Familie und umarmte einander, voll neuen Vertrauen zu Gott, der sie aus Unbill und Gefahren auf so ungewöhnlichen Wegen zusammengeführt hatte.

Nach ein, zwei Tagen erzählte Madame de Thoux ihrem Bruder die Einzelheiten ihrer Verhältnisse. Der Tod ihres Mannes hatte sie in den Besitz eines ansehnlichen Vermögens gesetzt, das sie der Familie großzügig zur Verfügung stellte. Als sie Georg fragte, auf welche Weise sie es am besten für ihn anlegen sollte, antwortete er: »Schenk mir ein Studium, Emily; das ist immer mein Herzenswunsch gewesen.«

Nach reiflicher Überlegung kam man überein, daß die ganze Familie sich für einige Jahre nach Frankreich begeben solle, wohin sie sich alsbald einschifften und Emmeline mit sich nahmen. Das hübsche Äußere des jungen Mädchens gewann ihr die Neigung des ersten Steuermannes auf dem Dampfer, und kurz nachdem sie im ersten Hafen eingelaufen waren, wurde sie sein Weib.

Georg studierte vier Jahre an einer französischen Universität, durch seinen unverdrossenen Eifer erwarb er sich eine sehr gediegene akademische Bildung.

Als in Frankreich politische Unruhen ausbrachen, suchte die Familie wieder Zuflucht in Kanada.

Von unseren anderen Freunden ist nicht viel Besonderes zu berichten, ausgenommen noch ein Wort über Miß Ophelia und Top–sy und ein Abschiedskapitel, das wir Georg Shelby widmen wollen.

Miß Ophelia nahm Topsy mit sich nach Vermont, sehr zur Überraschung des würdigen Familienrates, den ein Neu–Engländer gern mit dem Ausdruck >unsere Sippe< belegt. >Unsere Sippe< fand anfangs, das Negerkind sei eine merkwürdige und unnötige Neuerwerbung ihres wohlgepflegten Hausstandes; aber Miß Ophelia war in ihrem gewissenhaften Bemühen, an ihrem Schützling ihre Christenpflicht zu erfüllen, so tüchtig und erfolgreich, daß Topsy sich rasch die Gunst der Sippe und der Nachbarschaft erwarb. Als sie das Jungfrauenalter erreichte, wurde sie auf ihren eigenen Wunsch getauft und Mitglied der dortigen christlichen Kirche. Dabei zeigte sie soviel Klugheit, Tatkraft und Eifer und soviel Bestreben, Gutes in der Welt zu tun, daß sie schließlich als Missionarin bestätigt und nach Afrika empfohlen wurde. Und wir haben uns sagen lassen, daß der Tatendrang und die Erfindungsgabe des Kindes, das in seiner Entwicklung so unruhig und vielseitig gewesen, sich jetzt sicherer und besser betätigte in der Erziehung der Kinder ihres eigenen Landes.

Nachschrift: Es mag einigen Müttern eine Befriedigung sein, wenn wir noch ergänzend berichten, daß die Nachforschungen, die auf Madame de Thoux' Betreiben angestellt wurden, kürzlich zur Entdeckung von Cassys Sohn geführt haben. Als energischer junger Mann war er schon einige Jahre vor seiner Mutter entflohen. Freunde der Unterdrückten im Norden hatten ihn aufgenommen und erziehen lassen. Er wird seiner Familie bald nach Afrika folgen.

43. Kapitel

Der Befreier

Georg Shelby hatte seiner Mutter nur in einer Zeile den Tag seiner wahrscheinlichen Rückkehr mitgeteilt. Er brachte es nicht übers Herz, von der Sterbeszene seines alten Freundes zu schreiben. Ein paarmal hatte er angesetzt und war jedesmal beinah an seinen Tränen erstickt, so daß er schließlich den Briefbogen zerriß, sich die Augen wischte und fortstürzte, um ruhig zu werden.