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„Was sind das für Menschen?” wollte ich wissen.

„Die Cumanagotos sind der Nachbarstamm im Westen”, erläuterte Manauri. „Es sind wilde und blutdürstige Gesellen, die ständig Händel suchen und ihre Gegner, wenn sie ihrer habhaft werden, auffressen.”

„Ist so etwas möglich? Hier gibt es Menschenfresser?” rief ich entsetzt aus.

„So wahr ich lebe!” beteuerte der Häuptling. „Sie haben uns früher arg zugesetzt, es sind wahre Kariben.”

„So schlechte Menschen sind die Kariben?”

„Sie sind schlecht und wild. Es gibt viele karibische Stämme, aber alle rauben und plündern, weil sie keine Lust haben, Felder zu bebauen.”

„Und ihr? Ihr seid keine Kariben?” fragte ich mißtrauisch. Manauri, Arasybo und alle übrigen waren wie gelähmt bei dem Gedanken, daß jemand sie zu den Kariben zählen könnte.

„Nein!” schrie Manauri. „Ich sehe, du weißt es noch nicht: Wir,

die Arawaken, sind ein anderer Stamm, wir treiben Ackerbau und leben nicht nur im Wald.”

„Aha, das habe ich mir gleich so vorgestellt.” Mit diesen Worten trachtete ich sie wieder zu besänftigen.

In Gedanken zu Arasybos Bericht über die Spanier in La Soledad zurückkehrend, sagte ich mir, daß er sicher manches etwas ausgeschmückt und übertrieben habe, um größeren Eindruck zu machen.

Die Frauen hatten uns ein reichliches Frühstück zubereitet, es war die erste Stärkung auf dem Festland. Arasybo, der sich tatsächlich als kühner Krokodiljäger erwies, hatte das Fleisch eines Kaimans dazu geliefert. Ich gestehe, daß es mir ausgezeichnet mundete. Es erinnerte an Kalbfleisch, nur roch es ein wenig nach Schlamm.

Gleich nach dem Frühstück ließen wir uns im Schatten einer der Hütten nieder, um Beratung zu halten. Auch die Frauen nahmen daran teil.

Im wichtigsten Punkt, daß es nötig sei, diese Gegend so schnell wie möglich zu verlassen und dem Stamm nach Süden zu folgen, waren wir alle der gleichen Meinung. Bei der Frage, welchen Weg wir einschlagen sollten, ob auf dem Festland oder über das Meer, tauchten plötzlich verschiedene Ansichten auf. Ich bestand auf dem Seeweg. Einmal tat es mir leid, das von den Spaniern erbeutete schöne Schiff verlassen zu müssen, und zum andern glaubte ich, daß mir der Schoner später für die Fahrt vom Pomerun zu den englischen Inseln gute Dienste leisten könnte. Meine Gefährten dagegen waren anderer Anschauung. Sie fürchteten das Meer. Die gefährliche Begegnung mit der spanischen Brigantine am Tag vorher hatte einen großen Eindruck bei ihnen hinterlassen und sie gelehrt, vorsichtig zu sein. Nun bestanden sie hartnäckig darauf, den Landweg einzuschlagen.

„Ob mit Schoner oder ohne, wir werden dir immer helfen”, versicherte Manauri. „Verlaß dich auf uns, Jan. Du wirst zu deinen englischen Inseln zurückkehren.”

„Ich glaube euch und verlasse mich auf euch”, antwortete ich. „Wir haben aber so viel nützliches Gut, daß wir einfach nicht alles tragen können. Denkt nur an die mehr als dreißig Flinten, an die vielen Pistolen, an das Pulver und das Blei. Was fangen wir damit an? Können wir auf diese wertvollen Dinge verzichten? Wir müssen doch auch genügend Vorräte an Nahrungsmitteln mitnehmen.”

Was Arasybo über den Rancho La Soledad und Manauri über die Cumanagoto-Indianer erzählt hatten, gab mir einen Vorgeschmack von der Wildheit dieses Landes und von seinen Gefahren. Hier trat der Mensch als größter Feind des Menschen auf, und zwar in besonders räuberischer Gestalt. Für die Arawaken stellten die Feuerwaffen, die wir mit uns führten, einen mächtigen Bundesgenossen in ihrem Kampf ums Dasein dar. Wir durften sie unter keinen Umständen aufgeben. Wie aber sollten wir all diese Dinge über so große Entfernungen transportieren, zumal wir außer dem Proviant noch eine Menge anderer unentbehrlicher Sachen besaßen? Doch auch dafür hielt Manauri einen guten Vor-schlag bereit.

„Wir nehmen nur das mit, was wir ohne Schwierigkeiten fortbringen”, verkündete er. „Das andere vergraben wir hier. Wenn wir unser Ziel erreicht haben, wird der Stamm Krieger entsenden, die alles abholen.”

„Und was soll mit dem Schoner geschehen?” warf ich ein.

„Den wirst du nicht mehr brauchen, und auch wir benötigen ihn nicht. Auf alle Fälle aber werden wir ihn verbergen. In den Felseinschnitten der Lagune finden wir leicht ein Versteck. Solltest du später doch einmal ein Schiff brauchen, so schaffen wir den Schoner entlang der Küste in die Mündung des Pomerun. Du siehst, nichts wird verlorengehen.”

„Nein, wir werden nichts verlieren.” Mit diesen Worten billigten die Indianer den Vorschlag ihres Häuptlings.

Da die Ausführungen des Häuptlings eine gewisse Berechtigung besaßen, wurde beschlossen, daß wir am folgenden Tag auf-

brechen sollten. Vorher wollten wir unser ganzes bewegliches Gut ans Ufer bringen und an einer geeigneten Stelle vergraben, wo es vor Feuchtigkeit geschützt war.

Als die Beratung ihrem Ende zuging, bemerkte ich eine leichte Erregung unter den Versammelten. Sie flüsterten lebhaft miteinander und sahen immer wieder zu den etwas abseits liegenden Hütten hinüber. Endlich erblickte auch ich den Grund ihrer Unruhe. Es war Arasybo, der hinkend auf uns zukam und ein Paar spanischer Stiefel — die Ursache unserer nächtlichen Aufregung

— in den Händen hielt. Er hatte eine feierliche Miene aufgesetzt wie ein Priester, der das Allerheiligste vor sich her trägt. Als er uns erreicht hatte, schritt er auf mich zu, ohne den Ausdruck seines Gesichts zu verändern. Die Indianer bewahrten tiefes Schweigen und starrten Arasybo an, als wohnten sie einer wundertätigen Zeremonie bei.

Wagura, immer zu Späßen aufgelegt, durchbrach mit halblautem Lachen die Stille und raunte mir ins Ohr: „Die Stiefel sind hinter dir her, diesmal entkommst du ihnen nicht.”

Inzwischen war Arasybo bei mir angelangt und legte die Stiefel mit salbungsvoller Gebärde zu meinen Füßen nieder. Und was für Stiefel! Schwer, unheimlich groß, hart wie Folterwerkzeuge und mit Schäften bis an die Knie. Wenn die Sonne schien, mußte man in ihnen schwitzen wie im Fegefeuer.

„Das ist Kanaima!” rief ich scherzend und deutete auf die Stiefel. Dazu machte ich ein gequältes Gesicht, als ob es mir Schmerzen bereite, den Namen des rachsüchtigen Geistes auszusprechen, der die Indianer verfolgt.

Arnak und Lasana lachten laut, Manauri aber wahrte auch jetzt seine Würde und zuckte mit keiner Wimper. Einige andere runzelten bei der bloßen Erwähnung des schrecklichen Dämons bereits wieder die Stirn.

„Wir wollen nicht, daß du aus Leichtsinn ums Leben kommst”, ergriff der Häuptling das Wort und sah mich an. „Du bist unser Bruder, ein sehr wertvoller Bruder, und hier wimmelt es von

Schlangen. Stimmt es, daß hier giftige Schlangen sind?” fragte er die Versammelten und blickte in die Runde.

„Natürlich gibt es hier Schlangen, sogar sehr viele!” Alle bejahten eifrig die Frage Manauris. Der fuhr unnachgiebig fort: „Unsere Häuptlinge erkennen wir am Federschmuck des Kopfes, dich werden wir am Schmuck deiner Beine erkennen, an den Stiefeln.” „Sie sind doch so unbequem, man schwitzt sich in ihnen zu Tode, außerdem sind sie viel zu schwer!” Ich setzte mich zur Wehr, so gut ich konnte.

„Manche Last im Leben ist schwer zu tragen, und doch muß es sein”, belehrte mich Manauri mit mahnender Stimme. „In diesen Stiefeln wirst du stattlich aussehen und sicher einherschreiten, du wirst geehrt werden und unüberwindlich sein.”

„Aber gequält und traurig”, seufzte ich und rang die Hände. „Laßt mich doch endlich mit den Stiefeln in Ruhe!”

Manauri jedoch war nicht im entferntesten geneigt, mich in Ruhe zu lassen. Er dachte gar nicht daran nachzugeben. Höflich, aber mit unbeweglichem Gesichtsausdruck und einem harten Glanz in den Augen sagte er: „Ich bitte dich, Jan, zieh diese Stiefel an! Sie werden das Zeichen deiner Würde sein.”