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Die letzten Wochen waren von Kummer und der Sorge um Gäste erfüllt gewesen; diese Zeit hatte dy Ferrej ebenso erschöpft wie Ista selbst. Er belästigte sie nicht mit weiteren Versuchen, ein Gespräch in Gang zu bringen, und der Reitknecht wagte nicht, sie anzusprechen. Sie saß auf dem Rücken ihres Pferdes, lauschte dem patschenden Hufschlag und beobachtete, wie die Straße unter ihr wieder aufgerollt wurde wie ein Teppich, dem die Verwendung versagt blieb. Wozu war sie noch nutze? Ista biss sich auf die Lippe und blickte starr über den auf und ab wippenden Kopf ihres Pferdes hinweg.

Einige Zeit später zuckte das Tier mit den Ohren und schnaubte. Ista blickte in die Richtung, auf die das Pferd seine Aufmerksamkeit gerichtet hatte, und entdeckte eine weitere Reiterschar, die auf einer Querstraße herankam. Es waren einige Dutzend Personen auf Pferden und Maultieren. Dy Ferrej richtete sich in den Steigbügeln auf und sah den Neuankömmlingen misstrauisch entgegen, ließ sich dann aber erleichtert zurück in den Sattel sinken. Vier Reiter in blauer Tunika und grauem Mantel ritten dem Zug als Vorhut voran — es waren Ritter vom Orden der Tochter, dessen wichtigste Aufgabe darin bestand, für die sichere Reise von Pilgern zu sorgen. Als die anderen Reiter näher herankamen, war zu erkennen, dass sowohl Männer wie auch Frauen zu der Reisegruppe zählten. Sie alle waren in die Farben ihrer jeweiligen Gottheit gehüllt, soweit ihre Möglichkeiten es zuließen; zusätzlich waren ihre Ärmel mit farbigen Bändern geschmückt, die dem angestrebten Wallfahrtsort entsprachen.

Beide Gruppen gelangten gleichzeitig an die Einmündung. Dy Ferrej und die Ordensritter nickten einander grüßend zu. Es waren ebenso unerschütterliche und gewissenhafte Burschen wie er selbst. Neugierig musterten die Pilger Ista und ihre dunkle, vornehme Kleidung. Eine füllige, rotwangige Frau in fortgeschrittenem Alter — sie ist gewiss nicht älter als ich — grüßte Ista mit einem fröhlichen Lächeln. Diese zögerte einen Moment; dann erwiderte sie das Lächeln und nickte der Frau zu. Dy Ferrej hielt sein Pferd zwischen Ista und den Pilgern, doch die stämmige Frau vereitelte seine Versuche, die beiden Gruppen voneinander abzuschirmen. Sie zügelte ihr Pferd und ließ es ein Stück zurückfallen, um dann in gemächlichem Trab an dy Ferrej vorbei zu Ista aufzuschließen.

»Mögen die Götter Euch segnen, edle Herrin«, stieß sie ein wenig atemlos hervor. Ihre feiste, bunt gescheckte Stute war überladen mit großen Satteltaschen; weitere Taschen waren notdürftig an dem Tier festgezurrt und hüpften bei jedem Schritt des Pferdes so bedenklich auf und nieder wie die Reiterin. Die Frau ließ ihr Pferd wieder in Schritt fallen, schöpfte Atem und richtete ihren Strohhut. Sie trug das Grün der Mutter, in dunklen Farbtönen, die nicht ganz zueinander passten, jedoch dem Stand einer Witwe entsprachen. An den Ärmeln allerdings waren die Farben aller fünf Götter in Form von geflochtenen Bändern versammelt: blau und weiß umwickelt, grün und gelb, rot und orange, schwarz und grau, weiß und cremefarben.

»Wir sind Pilger aus ganz Baocia«, verkündete die Frau in der offensichtlichen Absicht, ein Gespräch anzufangen. »Und wir sind unterwegs zum Schrein des wundersamen Todes des Kanzlers dy Jironal in Taryoon. Nun, von dem guten Ser dy Brauda da drüben mal abgesehen.« Sie wies mit einem Nicken zu einem älteren Mann, der gedämpfte Brauntöne trug und ein Band in Rot und Orange, was ihn als Anhänger des Herbstsohnes auswies. An seiner Seite ritt ein junger Mann, der wenig farbenfroher gewandet war. Dieser beugte sich nun ein Stück im Sattel nach vorn und warf der grün gekleideten Frau einen missbilligenden Blick zu, mit dem er versuchte, sie zum Schweigen zu bringen, wenn auch vergebens.

»Er hat seinen Sohn dabei«, sagte die Frau. »Da drüben — ein hübscher Bursche, nicht wahr?«

Der Junge zuckte zurück und blickte starr nach vorn. Dabei wurde er so rot, als wollte er es den Bändern an seinem Ärmel gleichtun. Sein Vater unterdrückte ein Grinsen, doch es gelang ihm nicht recht.

»… die beiden sind unterwegs nach Cardegoss, wo der Junge ein Ritter des Sohnes werden soll. Wie früher sein Vater, möchte ich wetten. Der Großmeister des Ordens selbst, Prinzgemahl Bergon, wird die Zeremonie leiten. Den würde ich auch zu gern einmal sehen. Ein stattlicher Bursche, heißt es. Er kommt von der ibranischen Küste; da soll ja so mancher gut aussehende Mann heranwachsen. Na, vielleicht gönne ich meinen alten Augen diese Wohltat noch und lass mir einen Grund einfallen, meine Pilgerfahrt nach Cardegoss zu verlängern.«

»Was Ihr nicht sagt«, meinte Ista zu dieser schmeichelhaften, insgesamt aber zutreffenden Beschreibung ihres Schwiegersohnes.

»Ich bin Caria aus Palma. Dort war ich mit einem Sattler verheiratet, bis vor kurzem. Jetzt bin ich Witwe. Und was ist mit Euch, edle Dame? Ist der mürrische Bursche dort drüben Euer Ehemann?«

Der Majordomus verfolgte die Vertraulichkeiten mit größtem Missfallen. Nun zügelte er sein Pferd, um die lästige Person abzuwehren. Ista aber hob die Hand. »Nur die Ruhe, dy Ferrej.« Er runzelte die Stirn, zuckte dann aber die Schultern und schwieg.

Ista wandte sich an die Pilgerin: »Ich bin eine Witwe … aus Valenda.«

»Ach ja? Nun, das bin ich auch«, entgegnete die Frau munter. »Mein erster Mann kam aus Valenda. Obwohl ich drei Ehemänner verloren habe.« Sie sagte es so, als wäre es eine besondere Leistung. »Natürlich nicht alle auf einmal. Einen nach dem anderen.« Neugierig musterte sie Istas Kleider in den Farben der Hoftrauer. »Ist Euer Ehemann gerade erst verstorben, Herrin? Mein Beileid. Kein Wunder, dass Ihr so blass und traurig ausschaut. Das ist schon eine schwere Zeit. Vor allem beim ersten Mal. Zuerst möchte man am liebsten sterben — jedenfalls ist es mir so ergangen. Aber das ist nur die Angst vor der Zukunft. Irgendwann kommt alles wieder ins Lot, glaubt mir.«

Ista lächelte kurz und schüttelte leicht den Kopf, klärte den Irrtum aber nicht auf. Dy Ferrej juckte es sichtlich in den Fingern, den Dreistigkeit dieser Person ein Ende zu setzen und sie vielleicht sogar fortzuscheuchen, indem er Istas Stand und Rang verkündete — und damit auch seinen eigenen. Ista jedoch erkannte zu ihrer eigenen Überraschung, dass sie Carias Gegenwart unterhaltsam fand. Das Geplapper der Witwe störte sie keineswegs, im Gegenteiclass="underline" Sie wollte nicht, dass Caria verstummte.

Das stand anscheinend auch nicht zu befürchten. Als Nächstes stellte Caria aus Palma ihre Mitpilger vor und erklärte Ista in aller Ausführlichkeit deren Herkunft, den Reiseweg und die religiösen Ziele; wenn sie weit genug außer Hörweite waren, steuerte Caria auch noch ihre Meinung bei, was das Verhalten und die Sittlichkeit eines jeden betraf. Neben dem belustigten altgedienten Ordensritter und seinem schüchternen Sohn zählten vier Mitglieder einer Weberzunft zu der Gruppe. Sie waren unterwegs, um den Wintervater um den erfolgreichen Ausgang eines Rechtsstreits zu bitten. Ein Mann in den Farben der Sommermutter betete für die Gesundheit seiner Tochter, die kurz vor der Entbindung stand, und eine Frau mit den blauen und weißen Farben der Frühlingstochter betete darum, dass ihre Tochter überhaupt einen Ehemann fand. Eine dünne Person trug die Roben einer Akolythin der Kirche der Mutter, die von besonders edlem Zuschnitt waren; sie reiste in Begleitung einer persönlichen Zofe und zweier Diener. Wie sich herausstellte, war sie weder Hebamme noch Ärztin, sondern Revisorin. Außerdem reiste ein Weinhändler mit, um dem Wintervater für seine sichere Heimkehr zu danken und einen Eid zu erfüllen, den er im letzten Winter geleistet hatte, als sein Handelszug in den verschneiten Gebirgspässen nach Ibra beinahe verloren gegangen wäre.

Die Pilger waren offenbar schon mehrere Tage in Begleitung der redseligen Caria unterwegs, und einige rollten viel sagend mit den Augen, als die Witwe nun unablässig weiterplapperte. Nur ein korpulenter junger Mann ließ sich nicht davon beeindrucken. Er trug die weißen Gewänder eines Geistlichen des Bastards und ritt schweigend nebenher, wobei er ein aufgeschlagenes Buch auf dem wohlgerundeten Bauch balancierte. Er ließ die Zügel seines schmutzig-weißen Maultiers durchhängen, und nur wenn er zum Ende einer Seite kam, blickte er beim Umblättern kurz auf, blinzelte kurzsichtig und lächelte zerstreut.