Выбрать главу

Stafford Nye ging zu seinem Wagen und fuhr nach Hause. Dort angekommen, legte er das Programmheft aus der Festival Hall auf seinen Schreibtisch und untersuchte es eingehend, nachdem er einen Kaffee aufgesetzt hatte.

Das Programmheft war eine echte Enttäuschung. Es schien keinerlei Botschaft zu enthalten. Nur auf einer Seite über der Auflistung der Stücke befanden sich die Bleistiftmarkierungen, die er vage gesehen hatte. Aber es waren keine Wörter, Buchstaben oder Zahlen. Es schien nur eine musikalische Notiz zu sein. Es war, wie wenn jemand ein musikalisches Motiv mit einem etwas unzulänglichen Bleistift in Noten aufgezeichnet hätte. Einen Augenblick lang glaubte Stafford Nye, die Notiz enthalte eine geheime Botschaft, die er mittels Hitzebehandlung hervorbringen könnte. Sehr vorsichtig und etwas beschämt über seine melodramatische Fantasie hielt er sie an die Elektroheizung, aber das führte zu keinem Ergebnis. Mit einem Seufzer warf er das Programmheft zurück auf den Tisch. Er fühlte sich zu Recht verärgert. All dieser Zirkus, ein Rendezvous auf einer windigen und regnerischen Brücke über den Fluss! Ein Konzert neben einer Frau, der er sehnlichst zumindest ein Dutzend Fragen stellen wollte – und am Ende? Nichts! Kein Weiterkommen. Immerhin, sie hatte sich mit ihm getroffen. Aber warum? Wenn sie nicht mit ihm sprechen wollte, keine weiteren Verabredungen mit ihm treffen wollte, warum war sie dann überhaupt gekommen?

Sein Blick wanderte gleichgültig durch den Raum zu seinem Bücherregal, in dem sich Thriller, Detektivromane und einige Science-Fiction-Romane befanden; er schüttelte den Kopf. Romane waren der Wirklichkeit unendlich überlegen. Leichen, geheimnisvolle Anrufe, schöne ausländische Spioninnen in Mengen! Aber diese besondere, nur schwer greifbare junge Dame war vielleicht noch nicht fertig mit ihm. Nächstes Mal, dachte er, würde er seine eigenen Vorkehrungen treffen. Er konnte das Spiel genauso spielen wie sie.

Er trank noch eine Tasse Kaffee und ging zum Fenster, das Programmheft hielt er fest in der Hand. Als er auf die Straße hinaussah, fiel sein Blick wieder auf das aufgeschlagene Programmheft in seiner Hand und er summte fast unbewusst etwas vor sich hin. Er hatte ein feines Ohr für Musik und konnte ganz leicht die Noten summen, die dort hingekritzelt waren. Wie er sie so summte, klangen sie vage bekannt. Er erhob die Stimme ein wenig. Was war das nur? Tarn, tarn, tarn tarn ti-tam. Ja, definitiv bekannt.

Er begann, seine Briefe zu öffnen.

Die meisten waren uninteressant. Zwei Einladungen, eine von der Amerikanischen Botschaft, eine von Lady Athelhampton. Eine Wohltätigkeitsveranstaltung, die auch Mitglieder des Königshauses besuchen würden, und es wurde angedeutet, dass fünf Guineen keine exorbitante Gebühr für eine Platzkarte seien. Er legte sie beiseite. Er bezweifelte stark, dass er auch nur eine der Einladungen annehmen würde. Er beschloss, sich aufzumachen und wie versprochen seine Tante Matilda zu besuchen. Er mochte Tante Matilda, auch wenn er sie nicht sehr oft besuchte. Sie lebte in einer großzügigen Wohnung in einem Flügel eines Georgianischen Herrenhauses auf dem Lande, das sie von seinem Großvater geerbt hatte. Die Wohnung bestand aus einem großen, wohlproportionierten Wohnzimmer, einem kleinen ovalen Esszimmer, einer neuen Küche in der ehemaligen Dienstbotenkammer, zwei Gästeschlafzimmern, einem großen komfortablen Schlafzimmer für sich selbst mit dazugehörigem Badezimmer sowie einer passenden Unterkunft für eine geduldige Freundin, die das tägliche Leben mit ihr teilte. Die Reste der treuen Dienerschaft waren gut versorgt und untergebracht. Der Rest des Hauses verblieb unter Tüchern und wurde von Zeit zu Zeit gereinigt. Stafford Nye hing sehr an diesem Haus, er hatte als Junge dort seine Ferien verbracht.

Damals war es ein fröhliches Haus gewesen. Sein ältester Onkel lebte dort mit seiner Frau und zwei Kindern. Ja es war schön dort seinerzeit. Es gab genug Geld und ausreichend Personal, um den Haushalt zu führen. In jenen Tagen hatte er die Porträts und Bilder an den Wänden kaum beachtet. Es gab großflächige Exemplare viktorianischer Kunst, die die besten Plätze beanspruchten und die meisten Wände füllten, aber es gab auch andere Meister älteren Ursprungs. Ja, es hatte ein paar gute Porträts gegeben. Einen Raeburn, zwei Lawrence-Bilder, einen Gainsborough, einen Lely, zwei ziemlich dubiose van Dycks. Auch zwei Turners. Einige mussten allerdings verkauft werden, da die Familie Geld brauchte. Es erfreute ihn immer noch, umherzuwandern und die Familienporträts zu studieren, wenn er dort zu Besuch war.

Seine Tante Matilda war eine rechte Plaudertasche, und sie freute sich immer über seinen Besuch. Er konnte nicht erklären, warum, aber er hatte sie gern, dennoch war er sich nicht ganz darüber im Klaren, warum er sie ausgerechnet jetzt besuchen wollte. Und was hatte ihn nur auf die Familienporträts gebracht? Ging es darum, dass es dort ein Porträt seiner Schwester Pamela von vor zwanzig Jahren gab, das ein bedeutender Künstler gefertigt hatte? Er wollte dies Porträt von Pamela sehen und genauer betrachten. Sehen, wie stark die Ähnlichkeit war zwischen der Fremden, die sein Leben auf diese wirklich empörende Art durcheinandergebracht hatte, und seiner Schwester.

Er nahm das Festival-Hall-Programmheft leicht verärgert wieder zur Hand und begann die aufgezeichneten Noten zu summen. Tam, tam, ti tam – da ging es ihm plötzlich auf, und er wusste, was es war. Das Siegfried-Motiv. Das war, was die Frau am Abend zuvor gesagt hatte. Nicht direkt zu ihm, zu niemandem. Aber das war die Botschaft, die niemand sonst hätte deuten können, da sie sich auf die Musik zu beziehen schien, die gerade gespielt wurde. Und das Motiv war in sein Programmheft geschrieben worden, auch musikalisch formuliert. Jung-Siegfried. Das musste etwas bedeuten. Nun, vielleicht gab es weitere Aufklärung. Jung-Siegfried. Was zur Hölle sollte das wirklich heißen? Warum und wie und wann und was? Lächerlich! All diese Fragen.

Er griff zum Telefon und wählte Tante Matildas Nummer.

«Aber sicher, lieber Staffy, ich freue mich darauf, dich hier zu haben. Nimm den Zug um vier Uhr dreißig. Der fährt immer noch, weißt du, aber er kommt hier anderthalb Stunden später an. Und er fährt später von Paddington ab – fünf Uhr fünfzehn. Ich nehme an, das halten sie wohl für die Erneuerung der Bahn. Hält auf dem Weg an einigen höchst lächerlichen Stationen. Nun gut. Horace holt dich in King’s Marston ab.»

«Er ist also immer noch da?»

«Natürlich ist er noch da.»

«Das hatte ich auch erwartet», sagte Sir Stafford Nye.

Horace, einst Pferdeknecht, dann Kutscher, war ihr Chauffeur geworden und lebte offensichtlich immer noch.

«Er muss mindestens achtzig sein», sagte Sir Stafford und lächelte in sich hinein.

Kapitel 6

Porträt einer Dame

«Du siehst sehr nett und braun gebrannt aus», sagte Tante Matilda und inspizierte ihn anerkennend. «Das liegt an Malaysia, nehme ich an. Wenn es Malaysia ist, wo du warst? Oder war es Siam oder Thailand? Sie ändern die Namen all dieser Orte ständig und das macht es wirklich nicht leicht. Auf jeden Fall war es nicht Vietnam, oder? Weißt du, ich mag den Klang von Vietnam überhaupt nicht. Das ist alles so verwirrend. Nordvietnam und Südvietnam und die Vietcong und die Viet – was immer die anderen sind, und alle wollen sich bekriegen und keiner will aufhören. Sie wollen nicht nach Paris gehen oder sonst wo hin und nicht am runden Tisch sitzen und vernünftig miteinander reden. Glaubst du nicht, mein Lieber – ich habe darüber nachgedacht und ich denke, es wäre eine gute Lösung –, man könnte einfach eine Menge Fußballfelder errichten. Dort könnten sie alle hingehen und sich bekämpfen, aber nicht mit diesen tödlichen Waffen. Nicht dieses grässliche palmenentblätternde Zeugs. Nur aufeinander einschlagen und boxen und so. Es würde allen gefallen, man könnte Eintritt verlangen, und die Leute würden hingehen und zuschauen. Ich glaube wirklich, wir verstehen es nicht, den Leuten die Dinge zu geben, die sie wirklich haben möchten.»