Выбрать главу

Mit einiger Mühe kämpfte sich die Gestalt hinter dem Schreibtisch auf die Füße. Er ergriff die ausgestreckte Hand von Gräfin Zerkowski.

«Sie sind da», sagte er, «wunderbar.»

«Ja. Lassen Sie mich vorstellen, aber ich glaube, Sie kennen sich schon. Sir Stafford Nye, Mr. Robinson.»

Natürlich. In Sir Stafford Nyes Kopf klickte es wie in einer Kamera. Das passte auch zu einem anderen Namen. Pikeaway. Die Behauptung, er wisse alles über Mr. Robinson, entspräche nicht der Wahrheit. Er wusste all das über Mr. Robinson, was dieser zu wissen erlaubte. Sein Name war Robinson, soweit bekannt war, doch es hätte auch jeder andere Name ausländischen Ursprungs sein können. Aber nie hatte jemand etwas Derartiges angedeutet. Jetzt erinnerte er sich auch an sein Aussehen. Die hohe Stirn, die melancholischen dunklen Augen, der volle Mund und die eindrucksvollen weißen Zähne – falsche Zähne, wahrscheinlich, jedenfalls aber Zähne, von denen man wie bei Rotkäppchen sagen konnte: «Damit ich dich besser fressen kann.»

Er wusste auch, wofür Mr. Robinson stand. Ein einfaches Wort genügte. Mr. Robinson repräsentierte Geld, Kapital – mit einem sehr großen K. Kapital in jeder Hinsicht, internationales Kapital, weltweites Kapital, Haus-Finanzierungen, Bankgewerbe. Geld nicht in der Weise, wie der Normalbürger es betrachtete. Man dachte nicht an ihn als einen reichen Mann; zweifellos war er ein sehr reicher Mann, aber das war nicht das Ausschlaggebende. Er war einer der Kapital-Jongleure, einer aus dem Clan der Groß-Bankiers. Seine persönlichen Bedürfnisse waren vielleicht sogar bescheiden, doch Sir Stafford Nye bezweifelte das.

Ein hohes Maß an Komfort, ja Luxus entsprach wohl eher Mr. Robinsons Lebensstil. Aber nicht mehr als das. Also steckte hinter seinen mysteriösen Geschäften die Macht des Geldes.

«Ich habe gerade von Ihnen gehört, vor ein oder zwei Tagen», sagte Mr. Robinson, als er seine Hand schüttelte, «von unserem Freund Pikeaway.»

Das passt, dachte Sir Stafford Nye. Er erinnerte sich jetzt, dass bei dem einzigen Anlass, bei dem er Mr. Robinson begegnet war, auch Mr. Pikeaway anwesend war. Er erinnerte sich, dass Horsham von Robinson gesprochen hatte. So waren da nun Mary Ann (oder Gräfin Zerkowski?), Oberst Pikeaway in seinem rauchgeschwängerten Zimmer mit halb geschlossenen Augen, entweder gerade beim Einschlafen oder beim Aufwachen, und da war Mr. Robinson mit seinem großen, gelben Gesicht. Also ging es irgendwie um Geld. Sein Blick glitt zu den übrigen drei Personen im Raum. Er wollte sehen, ob er erraten könne, wer sie waren und was sie repräsentierten.

In zwei Fällen brauchte er nicht einmal zu raten. 3er Mann in dem hohen Porter-Sessel am Kamin, eine ältliche Gestalt, eingerahmt von dem Stuhl wie von einen Bilderrahmen, war früher in ganz England bekannt. Es war es immer noch, obwohl es in diesen Tagen nur selten zu sehen war. Ein kranker Mann, ein Invalide, der nur sehr kurze Auftritte hatte und die, so hörte man, nur unter großen körperlichen Beschwerden. Lord Altamount. Er hatte ein schmales, ausgemergeltes Gesicht mit hervorstechender Nase, grauem Haar, das nur wenig von der Stirn zurückwich und dann in einer dichten grauen Mähne nach hinten wallte; mit übergroßen Ohren, seinerzeit markant für die Karikaturisten, und einem tiefen durchdringenden Blick, eher forschend als beobachtend. Dieser Blick sondierte eingehend, was in sein Blickfeld geriet. Im Augenblick sah er Sir Stafford Nye an. Er streckte die Hand aus, als Stafford Nye auf ihn zutrat.

«Ich stehe nicht auf», sagte Lord Altamount. Seine Stimme war schwach, eine Altmännerstimme, weit weg. «Mein Rücken lässt das nicht zu. Sie sind gerade aus Malaysia zurückgekommen, Stafford Nye, nicht wahr?»

«Ja.»

«Hat es sich überhaupt gelohnt, dort hinzufahren? Ich nehme an, Sie denken eher nicht. Immerhin, wir brauchen diese gelegentlich ausufernden Veranstaltungen als notwendige ornamentale Garnierung für die feinere Art diplomatischer Lügen. Ich freue mich, dass Sie heute Abend kommen konnten oder hergebracht wurden. Von Mary Ann, nicht wahr?»

«So nennt er sie also, und dafür hält er sie», dachte Stafford Nye. So hatte Horsham sie genannt. Sie gehörte also zu ihrem Verein, ohne Zweifel. Was Altamount betraf, so stand er für – wofür stand er eigentlich heute? Stafford Nye dachte sich, er stehe für England. Er stand immer noch für England, bis er in Westminster Abbey begraben wurde oder in einem Mausoleum auf dem Lande, was immer ihm gefiel. Er war England und kannte die Bedeutung jedes einzelnen Politikers und Regierungsbeamten in England ziemlich genau, selbst wenn er nie mit ihnen gesprochen hatte.

Lord Altamount sagte:

«Dies ist unser Kollege Sir James Kleek.»

Stafford Nye kannte Kleek nicht. Er hatte wohl auch noch nie von ihm gehört. Es war ein unruhiger, zappliger Typ. Mit scharfen, misstrauischen Augen, die nie lange irgendwo verweilten. Er hatte die verhaltene Anspannung eines Jagdhundes, der auf einen Befehl wartete. Bereit, auf einen Blick seines Herrn loszulegen. Aber wer war sein Herr? Altamount oder Robinson? Staffords Blick richtete sich auf den vierten Mann. Er hatte sich von dem Stuhl erhoben, auf dem er nahe der Tür gesessen hatte. Er trug einen buschigen Schnurrbart, hatte hochgezogene Brauen, war wachsam, zurückhaltend und brachte es irgendwie fertig, vertraut, aber völlig unauffällig zu wirken.

«Sie sind das also», sagte Sir Stafford Nye, «wie geht es Ihnen, Horsham?»

«Ich freue mich sehr, Sie zu hier zu sehen, Sir Stafford.»

Eine ziemlich repräsentative Versammlung, dachte Stafford Nye mit einem schnellen Blick in die Runde.

Sie hatten einen Stuhl für Renata hingestellt, nicht weit vom Feuer und von Lord Altamount.

Sie streckte eine Hand aus – die Linke, bemerkt er – und Lord Altamount hatte sie zwischen seine beiden Hände genommen, für einen Augenblick festgehalten und dann losgelassen. Er sagte:

«Sie sind ein Risiko eingegangen, mein Kind, Sie gehen zu viele Risiken ein.»

Sie sah ihn an und sagte: «Sie waren es, der mich das gelehrt hat, und das ist der einzige Weg im Leben.»

Lord Altamount wendete sich in die Richtung von Sir Stafford Nye.

«Ich habe Ihnen aber nicht beigebracht, sich den Richtigen auszusuchen, dafür haben Sie ein angeborenes Talent.» Er sah Stafford Nye an und sagte: «Ich kenne Ihre Großtante, oder ist sie Ihre Urgroßtante?»

«Großtante Matilda», sagte Stafford sofort.

«Ja, die meine ich. Einer dieser viktorianischen Wirbelwinde aus den Neunzigerjahren. Sie muss jetzt selbst fast neunzig sein.»

Er fuhr fort:

«Ich sehe sie nicht oft. Vielleicht ein- bis zweimal im Jahr. Aber ich bin jedes Mal beeindruckt – diese unverfälschte Vitalität, die ihre körperlichen Kräfte überlebt. Diese unbezähmbaren Gestalten aus der viktorianischen und auch noch aus der nachfolgenden Epoche kennen das Geheimnis.»

Sir James Kleek sagte: «Darf ich Ihnen einen Drink besorgen, Nye? Was möchten sie?»

«Einen Gin Tonic, wenn es geht.»

Die Gräfin lehnte mit einem leichten Kopfschütteln ab.

James Kleek brachte Nye seinen Drink und stellte ihn auf den Tisch neben Mr. Robinson. Stafford Nye wollte nicht als Erster sprechen. Die dunklen Augen hinter dem Schreibtisch verloren für einen Augenblick ihre Melancholie. Plötzlich saß der Schalk darin.

«Irgendwelche Fragen?», sagte er.

«Zu viele», erwiderte Sir Stafford Nye. «Wäre es nicht besser, erst ein paar Erklärungen abzugeben, und anschließend kommen die Fragen?»

«Wäre Ihnen das lieber?»

«Es würde die Sache vereinfachen.»

«Nun, beginnen wir mit ein paar einfachen Tatsachen. Vielleicht wurden Sie, oder auch nicht, eingeladen, hierherzukommen. Wenn nicht, wurmt Sie das vielleicht etwas.»

«Er zieht es immer vor, gefragt zu werden», sagte die Gräfin. «Er hat etwas in der Art zu mir gesagt.»