«Ja. Es war bekannt, dass ich es mithatte. Wenn Sie mir nicht zu Hilfe gekommen wären, kein vergiftetes Bier getrunken und mir nicht Ihren Räuberumhang mit den leuchtenden Farben als Vermummung gegeben hätten, nun, manchmal gibt es Unfälle. Ich wäre niemals angekommen.»
«Was hatten Sie denn dabei, oder darf ich das nicht fragen? Gibt es Dinge, die ich niemals erfahren werde?»
«Es gibt eine Menge Dinge, die Sie nie erfahren werden. Es gibt eine Menge Dinge, über die Sie keine Fragen stellen dürfen. Aber diese Frage werde ich wohl beantworten. Die reine Wahrheit. Wenn mir das gestattet ist.»
Wieder sah sie Lord Altamount an.
«Ich vertraue Ihrem Urteil», sagte Lord Altamount. «Nur zu.»
«Geben Sie ihm den ganzen Geheimquatsch», sagte der respektlose James Kleek.
Mr. Horsham sagte: «Ich nehme an, das sollten Sie wissen. Ich würde es Ihnen nicht erzählen, aber ich bin auch von der Sicherheit. Nur zu, Mary Ann.»
«Einen Satz. Ich habe eine Geburtsurkunde mitgebracht. Das ist alles. Mehr sage ich Ihnen nicht, und es hat auch keinen Zweck, mir weitere Fragen zu stellen.»
Stafford Nye blickte in die Runde.
«In Ordnung. Ich mache mit. Ich fühle mich geschmeichelt, dass Sie mich eingeladen haben. Wie geht es weiter?»
«Sie und ich», sagte Renata, «reisen morgen von hier ab. Wir fahren auf den Kontinent, Sie haben vielleicht gelesen oder wissen es, dass in Bayern ein Musik-Festival stattfindet. Es ist ziemlich neu, erst in den letzten zwei Jahren entstanden. Es hat einen ziemlich großartigen deutschen Namen, es heißt ‹Die Kompanie Junger Sänger› und wird von den Regierungen mehrerer Länder unterstützt. Es steht in Opposition zu den traditionellen Festspielen und Produktionen von Bayreuth. Ein Großteil der aufgeführten Musik ist modern – neue, junge Komponisten erhalten die Chance, ihre Musik aufzuführen. Manche schätzen es sehr, von anderen wird es radikal abgelehnt und verachtet.»
«Ja», sagte Sir Stafford, «ich habe darüber gelesen. Werden wir dort hinfahren?»
«Wir haben Karten für zwei Vorstellungen gebucht.»
«Hat dieses Festival eine besondere Bedeutung für unsere Untersuchungen?»
«Nein», sagte Renata, «es ist mehr ein günstiges Ein- und Ausgangsportal. Wir besuchen es aus einem vorgeblich guten Grund, und wir verlassen es zu gegebener Zeit für unseren nächsten Schritt.»
Er sah sich um. «Irgendwelche Instruktionen? Bekomme ich einen Marschbefehl? Erhalte ich genaue Anweisungen?»
«Nicht so, wie Sie das auslegen. Sie begeben sich auf eine Sondierungsreise. Sie lernen auf dem Weg. Sie reisen als Sie selbst, nur mit den Kenntnissen, die sie jetzt haben. Sie gehen als Musikliebhaber, als leicht enttäuschter Diplomat, der sich vielleicht einen Posten im eigenen Land erhofft hatte, den er nicht bekommen hat. Sonst wissen Sie von gar nichts. Das ist sicherer.»
«Aber sind das zurzeit alle Aktivitäten? Deutschland, Bayern, Österreich, Tirol – dieser Teil der Welt?»
«Das ist ein Mittelpunkt von Interesse.»
«Nicht der einzige?»
«Nicht einmal der Hauptpunkt. Es gibt auf der Welt noch andere Orte von unterschiedlicher Bedeutung und unterschiedlichem Interesse. Wie bedeutsam das jeweilige ist, müssen wir herausfinden.»
«Und ich erfahre nichts über die anderen Zentren, und man wird mir auch nichts berichten?»
«Nur oberflächlich. Eines – wir halten es für das wichtigste – hat sein Hauptquartier in Südamerika, es gibt zwei weitere mit Hauptsitz in den Vereinigten Staaten, eins in Kalifornien, eins in Baltimore. Es gibt eins in Schweden, eins in Italien. Die Dinge haben sich gegen Ende der letzten Halbjahres schneller entwickelt. Portugal und Spanien haben ebenfalls kleinere Zentren. Paris, natürlich. Es gibt weitere interessante Orte, sozusagen noch ‹im Aufbaustadium› könnte man sagen. Aber noch nicht voll entwickelt.»
«Sie meinen Malaysia oder Vietnam?»
«Nein. Nein, das ist schon alles Vergangenheit. Das war ein passender Aufruf zur Sammlung, zur Gewalt, studentischer Unzufriedenheit und für andere Dinge. Zurzeit wird überall zunehmend die Organisierung der Jugend betrieben, die Auflehnung gegen ihre Regierungsform gefördert, gegen die Sitten ihrer Eltern, sehr oft gegen die Religion, in der sie erzogen wurden. Es gibt den heimtückischen Kult der Freizügigkeit, den wachsenden Kult der Gewalt. Gewalt nicht als Mittel, sich zu bereichern, sondern Gewalt um der Gewalt willen. Das wird besonders betont, und die Gründe dafür sind für die Betroffenen von größter Bedeutung.»
«Freizügigkeit, ist das wichtig?»
«Es ist eine Lebensweise, mehr nicht. Es verführt zu bestimmtem Missbrauch, mehr nicht.»
«Was ist mit Drogen?»
«Der Drogenkult wird absichtlich gefördert und angeheizt. Ungeheure Summen werden damit verdient, aber wir nehmen an, er wird nicht nur des Geldes wegen gefördert.»
Alle sahen Mr. Robinson an, der langsam den Kopf schüttelte.
«Nein», sagte er, «es sieht nur so aus. Leute werden zwar verhaftet und der Justiz überantwortet. Drogenhändler werden verfolgt. Aber es steckt mehr dahinter als nur die Drogenkartelle. Der Drogenhandel ist nur ein Mittel, und zwar ein übles Mittel, um Geld zu machen. Aber es steckt mehr dahinter.»
«Aber wer –»Stafford Nye zögerte.
«Wer und was und wo und warum? Die vier Ws. Das ist Ihre Mission, Sir Stafford», sagte Mr. Robinson. «Das müssen Sie herausfinden. Sie und Mary Ann. Es wird nicht leicht sein, und vergessen Sie nicht, eine der schwierigsten Aufgaben der Welt ist, Geheimnisse zu bewahren.»
Stafford Nye blickte mit Interesse auf Mr. Robinsons fettes gelbes Gesicht. Vielleicht war das gerade das Geheimnis von Mr. Robinsons Herrschaft über die Finanzwelt. Sein Geheimnis war, dass er seine Geheimnisse bewahrte. Mr. Robinsons Lippen zeigten wieder ihr Lächeln. Die großen Zähne strahlten.
«Wenn man etwas weiß», sagte er, «ist die Versuchung, es mitzuteilen immer groß; mit anderen Worten, darüber zu reden. Das heißt nicht, dass man Informationen preisgeben will, es heißt nicht, dass man Ihnen Bezahlung dafür angeboten hat. Sie wollen nur zeigen, wie wichtig Sie sind. So einfach ist das. In Wirklichkeit», sagte Mr. Robinson und schloss dabei halb die Augen, «ist alles auf der Welt so extrem einfach. Die Leute verstehen das nur nicht.»
Die Gräfin stand auf und Stafford Nye folgte ihrem Beispiel.
«Ich hoffe, Sie werden gut schlafen und sich wohlfühlen», sagte Mr. Robinson, «ich denke, dieses Haus ist hinreichend komfortabel.»
Stafford Nye murmelte, er sei sich dessen sicher, und dieser Punkt wurde bald darauf bestätigt. Er ließ den Kopf auf das Kissen sinken und schlief sofort ein.
2. Buch.
Die Siegfried-Reise
Kapitel 10
Die Frau vom Schloss
Sie traten aus dem Jugend-Festival-Theater in die erfrischende Abendluft. Unter ihnen lag in einer Senke ein erleuchtetes Restaurant. Am Abhang des Hügels gab es noch ein anderes. Die Restaurants unterschieden sich geringfügig im Preis, doch keines war preiswert. Renata trug ein Abendkleid aus schwarzem Samt, Sir Stafford war in Frack und weißer Fliege.
«Ein sehr erlauchtes Publikum», murmelte Stafford seiner Begleiterin zu. «Da war viel Geld versammelt. Im Ganzen ein junges Publikum. Man glaubt kaum, dass sie sich das leisten können.»
«Oh, das kann man arrangieren. Das wird arrangiert.»
«Eine Unterstützung der jungen Elite? So etwas?»
«Ja.»
Sie wanderten zu dem Restaurant auf dem hohen Hügelabhang.
«Wir haben eine Stunde zur Verfügung für das Essen, oder?»