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Ich muss ganz sicher sein, dass ich erfahre, was sie sucht. Ich muss mein Bestes tun, sonst… sonst, das konnte er sich gut vorstellen, würde sie wahrscheinlich ihre fette, beringte Hand erheben und einem der großen muskulösen Diener befehlen: «Nehmen Sie ihn mit und werfen Sie ihn über die Brüstung.» Lächerlich, dachte Stafford Nye. So etwas passiert heute nicht mehr. Wo bin ich denn? An welcher Parade, Maskerade oder Theateraufführung nehme ich hier teil?

«Sie sind sehr pünktlich, mein Kind.»

Es war eine heisere, asthmatische Stimme, die einst einen Unterton von Stärke, vielleicht sogar Schönheit, besessen hatte. Das war jetzt vorbei. Renata trat vor und machte einen leichte Verbeugung. Sie nahm die fette Hand und drückte einen Höflichkeitskuss darauf.

«Erlauben Sie mir, Sir Stafford Nye vorzustellen. Gräfin Charlotte von Waldsausen.» Die fette Hand wurde ihm hingestreckt. Er beugte sich darüber, wie dort üblich. Dann sagte sie etwas, das ihn überraschte. «Ich kenne Ihre Großtante», sagte sie.

Er sah erstaunt auf und bemerkte sofort, dass sie das amüsierte, aber er sah auch, dass sie es erwartet hatte. Sie lachte, ein ziemlich verzerrtes, krächzendes Lachen. Nicht unbedingt anziehend.

«Sagen wir, ich habe sie einmal gekannt. Es ist viele, viele Jahre her, seit ich sie gesehen habe. Wir waren zusammen in der Schweiz, in Lausanne, als junge Mädchen. Matilda, Lady Matilda Baldwen-White.»

«Da kann ich ihr ja eine wundervolle Neuigkeit überbringen», sagte Stafford Nye.

«Sie ist älter als ich. Geht es ihr gut?»

«Für ihr Alter geht es ihr sehr gut. Sie lebt zurückgezogen auf dem Land. Sie hat Arthritis, Rheuma.»

«Ach ja, alle Alterskrankheiten. Sie sollte sich Prokainspritzen geben lassen. Das machen die Ärzte hier in dieser Höhenlage. Es tut sehr gut. Weiß sie, dass Sie mich besuchen?»

«Ich nehme an, sie hat nicht die leiseste Ahnung davon», sagte Sir Stafford Nye, «sie weiß nur, dass ich dieses Festival für Moderne Musik besuchen wollte.»

«Das Ihnen hoffentlich gefallen hat?»

«Oh ja, enorm. Ein schönes Festspielhaus, nicht wahr?»

«Eines der schönsten! Pah, es lässt das alte Festspielhaus in Bayreuth wie eine Volksschule aussehen. Haben Sie eine Ahnung, was es gekostet hat, dieses Festspielhaus zu bauen?»

Sie nannte eine Summe in Höhe von vielen Millionen D-Mark. Es nahm Stafford Nye förmlich den Atem, aber er musste das nicht einmal verbergen. Sie war erfreut über die Wirkung, die es auf ihn hatte.

«Mit Geld kann man», sagte sie, «wenn man intelligent genug ist, dann kann man mit Geld alles bewirken. Wunderbare Dinge bekommt man dafür.»

Sie sprach den letzten Satz mit großer Befriedigung aus, mit einem Schnalzen auf den Lippen, das er als sehr unangenehm und sogar etwas unheimlich empfand.

«Ich sehe das auch hier», sagte er und betrachtete die Wände ringsum.

«Sie sind Kunstliebhaber? Ja, das sehe ich. Da an der Ostwand hängt der beste Cézanne, den es heute auf der Welt gibt. Einige behaupten ja, dass der – ach, ich habe gerade den Namen vergessen, der im Metropolitan Museum in New York hängt – besser ist. Aber das stimmt nicht. Der beste Matisse, der beste Cézanne, das Beste aus allen Kunstrichtungen befindet sich hier. Hier in meinem Adlerhorst in den Bergen.»

«Es ist wundervoll», sagte Sir Stafford, «einfach wundervoll.»

Es wurden Getränke gereicht. Sir Stafford bemerkte, dass die Alte Frau vom Berge nichts trank. Möglicherweise hielt sie es für zu riskant für ihren Blutdruck bei solchem Übergewicht.

«Und wo haben Sie diese junge Dame hier getroffen?», fragte der gebirgsähnliche Drache.

War das eine Falle? Er wusste es nicht, aber er musste eine Entscheidung treffen.

«In der Amerikanischen Botschaft in London.»

«Ach ja, ich hörte davon. Und wie geht es – ich habe schon wieder den Namen vergessen – Millie Jean, unserer Südstaatenerbin? Sie ist attraktiv, nicht wahr?»

«Und äußerst charmant. Sie ist ein echter Star in London.»

«Und der arme, langweilige Sam Cortman, der Botschafter der Vereinigten Staaten?»

«Er ist ein sehr vernünftiger Mann, da bin ich mir sicher», sagte Stafford Nye höflich.

Sie lachte in sich hinein.

«Aha, Sie sind sehr taktvoll, nicht wahr? Ach ja, er macht seine Sache ganz ordentlich. Er tut das, was man ihm sagt, wie jeder gute Politiker es tun sollte. Und es ist bestimmt angenehm, amerikanischer Botschafter in London zu sein. Das hat er Millie Jean zu verdanken. Ach, sie könnte ihm überall auf der Welt eine Botschaft besorgen, mit ihrer wohlgefüllten Geldbörse. Ihrem Vater gehört die Hälfte des Öls in Texas, er besitzt Ländereien, Goldfelder, einfach alles. Er ist ein grober, extrem hässlicher Mann – und wie sieht sie aus? Wie eine sanfte kleine Aristokratin. Nicht aufdringlich, nicht angeberisch. Sehr klug von ihr, nicht wahr?»

«Manchmal hat man es so am einfachsten», sagte Sir Stafford Nye.

«Und Sie? Sind Sie nicht reich?»

«Ich wollte, ich wäre es.»

«Das Außenministerium ist heutzutage – nun sagen wir – nicht sehr einträglich?»

«Nun, so würde ich es nicht ausdrücken… immerhin, man reist umher, trifft amüsante Leute, kommt herum in der Welt, erfährt manches von dem, was passiert.»

«Manches, ja. Aber nicht alles.»

«Das wäre auch sehr schwierig.»

«Wollten sie jemals wissen, was – wie soll ich es ausdrücken – so hinter den Kulissen geschieht?»

«Manchmal bekommt man so eine Ahnung.» Seine Stimme klang unverbindlich.

«Ich habe über Sie gehört, dass Sie manchmal gewisse Eingebungen haben. Nicht unbedingt konventionelle Ideen.»

«Bei manchen Anlässen hat man mir das Gefühl vermittelt, dass ich der Taugenichts der Familie bin», sagte Sir Stafford Nye und lachte.

Die alte Charlotte gluckste.

«Es macht Ihnen nichts aus, ab und an mal etwas zuzugeben, nicht wahr?»

«Warum sollte ich mich verstellen? Die Leute merken immer, wenn man etwas verbirgt.»

Sie sah ihn an.

«Was erwarten Sie vom Leben, junger Mann?»

Er zuckte mit den Schultern. Hier musste er wieder nach dem Gefühl entscheiden.

«Nichts», sagte er.

«Soll ich Ihnen das wirklich glauben?»

«Ja, das können Sie mir glauben. Ich besitze keinerlei Ehrgeiz. Sehe ich etwa ehrgeizig aus?»

«Nein, das muss ich zugeben.»

«Ich möchte nur meinen Spaß haben, ein angenehmes Leben, in Maßen essen und trinken, amüsante Freunde haben.»

Die alte Frau beugte sich vor. Ihre Augen klappten drei- oder viermal auf und zu. Dann sprach sie plötzlich mit völlig veränderter Stimme, mit einer eher pfeifenden Note.

«Können Sie hassen? Sind Sie fähig zum Hass?»

«Hass ist reine Zeitverschwendung.»

«Ich verstehe. Ihr Gesicht zeigt keinerlei Spur von Unzufriedenheit. Das ist sicher wahr. Und doch glaube ich, sind Sie bereit einen bestimmten Weg zu verfolgen, der Sie an ein bestimmtes Ziel führt. Und Sie werden ihn lächelnd gehen, als ob es Ihnen gleichgültig wäre. Und doch könnten Sie am Ende, wenn Sie die richtigen Berater, die richtigen Helfer finden, bekommen, was sie sich ersehnen – wenn Sie denn fähig sind, etwas zu ersehnen.»

«Was das angeht», sagte Stafford Nye, «wer ist dazu nicht fähig?»

Er schüttelte leicht den Kopf. «Sie sehen zu viel», sagte er. «Viel zu viel.»

Diener öffneten eine Tür.

«Es ist serviert.»