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«Kann ich Ihnen vertrauen, Renata?»

«Das müssen Sie selbst entscheiden. Sie können vor mir weglaufen, wenn Sie wollen, oder Sie können bei mir bleiben und die Neue Welt sehen. Die Neue Welt, die sich im Aufbau befindet.»

«Die ist doch nur aus Pappe», sagte Sir Stafford heftig.

Sie sah ihn fragend an.

«Wie bei Alice im Wunderland. Die Karten, die Spielkarten aus Pappe, die alle in die Luft fliegen. Umherfliegen, Könige, Königinnen und Buben. Alle.»

«Wie meinen Sie das – was genau wollen Sie damit überhaupt sagen?»

«Ich meine, es ist nicht die Wirklichkeit. Es ist alles nur Fantasie. Das ganze verdammte Zeugs ist nur Schein.»

«In gewissem Sinne, ja.»

«Alle sind kostümiert und spielen eine Rolle, ziehen eine Show ab. Ich komme der Sache schon näher, nicht wahr, der wahren Bedeutung?»

«Auf eine Weise, ja, auf andere Weise, nein –»

«Eines möchte ich Sie noch fragen, denn es verwirrt mich. Die Große Charlotte hat Ihnen doch aufgetragen, mich zu ihr zu bringen – warum? Was wusste Sie überhaupt von mir? Was dachte sie denn, wie ich ihr nützlich sein könnte?»

«Ich weiß es nicht genau – möglicherweise als eine Art graue Eminenz – hinter einer Fassade. Das wäre doch sehr passend für Sie.»

«Aber sie weiß doch rein gar nichts über mich!»

«Ach das!» Renata brach plötzlich in heftiges Gelächter aus. «Es ist wirklich zu lächerlich, immer wieder derselbe alte Unsinn!»

«Ich verstehe Sie nicht, Renata.»

«Nein – weil es dermaßen simpel ist. Mr. Robinson würde es verstehen.»

«Würden Sie mir bitte erklären, wovon Sie überhaupt reden?»

«Es ist immer dieselbe alte Sache – ‹Nicht was man ist, sondern was man weiß, ist wichtig.› Ihre Großtante Matilda und die Große Charlotte waren auf derselben Schule.»

«Sie wollen wirklich damit sagen –»

«Sie haben ihre Kindheit zusammen verbracht.»

Er starrte sie an. Dann warf er den Kopf zurück und brüllte vor Lachen.

Kapitel 12

Der Hofnarr

Sie verließen das Schloss am Mittag, nachdem sie sich von ihrer Gastgeberin verabschiedet hatten. Sie fuhren die gewundene Straße hinunter, ließen das Schloss hoch oben hinter sich und kamen schließlich nach stundenlanger Fahrt zu einem Stützpunkt in den Dolomiten – ein Amphitheater in den Bergen, wo Versammlungen, Konzerte und Treffen der verschiedenen Jugendgruppen veranstaltet wurden.

Renata hatte ihn dort hingebracht, seine Führerin, und von seinem Platz auf dem nackten Fels hatte er verfolgt, was sich dort zutrug. Er verstand jetzt ein bisschen besser, wovon sie früher am Tag gesprochen hatte. Diese großartige Massenversammlung war mit Leben erfüllt gewesen, wie alle Massenveranstaltungen es sein können, ob sie nun von einem missionarischen Religionsführer im Madison Square Garden in New York einberufen waren oder ob sie im Schatten einer walisischen Kirche stattfanden, in einer Fußballmenge oder bei den Superdemonstrationen, die losmarschieren, um Botschaften, die Polizei, Universitäten und alles Übrige anzugreifen. Sie hatte ihn dort hingebracht, um ihm die Bedeutung des Begriffs ‹Jung-Siegfried› zu demonstrieren.

Franz Joseph, wenn das denn sein wirklicher Name war, hatte zur Menge gesprochen. Seine Stimme hob und senkte sich, auf merkwürdig erregende Weise. Ihre emotionale Anziehungskraft hatte diese stöhnende, fast jammernde Menge junger Frauen und Männer in Bann gehalten. Jedes Wort, das er äußerte, schien bedeutungsschwer und hatte eine unglaubliche Überzeugungskraft. Die Menge hatte reagiert wie ein Orchester. Seine Stimme war der Dirigentenstab. Und doch, was hatte der Junge eigentlich gesagt? Was war Jung-Siegfrieds Botschaft? Als es zu Ende war, konnte Stafford Nye sich an kein Wort erinnern. Aber er wusste, dass der Redner sehr bewegt gewesen war, Dinge versprochen hatte, in enthusiastische Erregung geraten war. Nun war es vorüber. Die Menge war auf dem Felsplateau umhergewankt, rufend, schreiend. Einige Mädchen schrieen vor Begeisterung. Andere waren in Ohnmacht gefallen. Was war das für eine Welt heutzutage?, dachte er. Alles war nur darauf angelegt, Emotionen zu erwecken. Disziplin? Zurückhaltung? Keines dieser Dinge zählte mehr auch nur das geringste. Nichts war wichtig, außer zu fühlen.

Welche Welt konnte man damit erschaffen?

Seine Führerin berührte ihn am Arm, und sie lösten sich aus der Menge. Sie fanden ihren Wagen, und der Fahrer brachte sie auf ihm offensichtlich wohlbekannten Wegen in eine Stadt, zu einem Gasthaus am Berghang, wo Zimmer für sie reserviert waren.

Später verließen sie das Gasthaus und spazierten auf einem ausgetrampelten Pfad den Berghang hinauf bis zu einer Bank. Dort sagte Stafford wieder: «Alles aus Pappe.»

Für etwa fünf Minuten saßen sie da und schauten ins Tal hinunter, dann fragte Renata: «Nun?»

«Was fragen sie mich denn?»

«Was Sie von dem, was ich Ihnen bisher gezeigt habe, halten.»

«Ich bin nicht überzeugt», sagte Stafford Nye. Sie gab einen Seufzer von sich, einen unerwartet tiefen Seufzer.

«Ich hatte gehofft, dass Sie das sagen würden.»

«Nichts davon ist wahr, oder? Es ist alles eine gigantische Show, von einem Regisseur veranstaltet – einer ganzen Gruppe von Regisseuren womöglich.»

«Diese monströse Frau engagiert den Regisseur, sie bezahlt ihn. Wir haben den Regisseur nicht zu Gesicht bekommen. Heute haben wir nur den Star-Schauspieler gesehen. Was halten Sie von ihm?»

«Auch er ist nicht real», sagte Stafford Nye. «Er ist nur ein Schauspieler, ein erstklassiger Schauspieler, hervorragend inszeniert.»

Renata lachte überraschend. Sie stand von ihrem Sitzplatz auf. Plötzlich sah sie aufgeregt aus und sagte leicht ironisch: «Ich habe gewusst, dass Sie es merken würden. Ich wusste, dass Sie mit beiden Beinen auf der Erde bleiben. Sie waren sich immer sicher, bei allem, was Ihnen im Leben begegnet ist. Sie haben den Schwindel durchschaut, haben immer alles und jeden als das erkannt, was sie wirklich waren.

Nicht nötig, nach Stratford zu fahren und sich Shakespeare anzusehen, um zu wissen, für welche Rolle Sie zu besetzen sind – Könige und große Herren müssen einen Narren haben – einen Hofnarren, der dem König die Wahrheit sagt und Klartext mit ihm redet, sich über all die Dinge lustig macht, von denen andere sich blenden lassen.»

«Das bin ich also, ein Hofnarr?»

«Empfinden Sie das nicht selbst so? Genau das wollen wir. Das ist es, was wir brauchen. ‹Pappe› haben Sie gesagt. Eine riesige, wohlinszenierte, wunderbare Show. Und wie recht Sie haben! Aber die Menschen lassen sich übertölpeln. Sie glauben, es ist etwas Wundervolles, oder sie halten es für teuflisch, oder sie glauben, es ist unheimlich wichtig. Natürlich ist es das nicht – man muss nur herausfinden, wie man es den Leuten beibringt, dass die ganze Sache einfach nur albern ist, nur verdammt albern. Das werden Sie und ich tun.»

«Ist das Ihre Idee, dass wir das Ganze am Ende entlarven?»

«Ich gebe zu, es scheint nicht im Entferntesten möglich, aber wenn die Menschen erst einmal erkennen, dass etwas nicht wahr ist, dass es nur ein einziger riesengroßer Schabernack ist – nun…»

«Wollen Sie eine Predigt über die Vernunft halten?», fragte er.

«Natürlich nicht», sagte Renata, «niemand würde zuhören, oder?»

«Im Augenblick wohl nicht.»

«Nein, wir müssen ihnen Beweise vorlegen – Tatsachen – Wahrheiten –»