Ein zustimmender Seufzer kam Monsieur Poissonier von den Lippen.
«Es ist möglich», sagte er. «Ja, sie könnten ihn umbringen.»
«Das darf man natürlich nicht wünschen», sagte Monsieur Grosjean vorsichtig.
Doch es war genau das, was Monsieur Grosjean sich wünschte. Er hoffte es, doch sein tiefer Pessimismus sagte ihm, dass selten etwas geschah, was man sich wünschte. In Wirklichkeit hatte er eine viel schrecklichere Vision vor Augen. Es war sehr gut möglich, es lag in der Tradition der Vergangenheit des Marschalls, dass er irgendwie ein Pack aufgeputschter, blutrünstiger Studenten dazu verleiten konnte, auf ihn zu hören, seinen Versprechungen zu glauben und ihn wieder in seine einstige Machtposition zu versetzen. Das war schon ein- oder zweimal in der Laufbahn des Marschalls passiert. Seine persönliche Anziehungskraft war derartig, dass ihr die Politiker gerade dann erlegen waren, als sie es am wenigsten erwartet hatten.
«Wir müssen ihn aufhalten», rief er.
«Ja, ja», sagte Signor Vitelli, «er darf der Welt nicht verloren gehen.»
«Das ist zu befürchten», sagte Monsieur Poissonier. «Er hat zu viele Freunde in Deutschland, zu viele Kontakte, und Sie wissen, dass sie in Deutschland sehr schnell militärische Maßnahmen ergreifen. Die würden sich geradezu auf eine solche Gelegenheit stürzen.»
«Bon Dieu, Bon Dieu», sagte Monsieur Grosjean und wischte sich über die Stirn. «Was sollen wir tun? Was können wir überhaupt tun? Was ist das für ein Krach? Sind das etwa Gewehre?»
«Nein, nein», sagte Monsieur Poissonier beschwichtigend. «Das sind nur die Kaffeetabletts aus der Kantine.»
«Ich wüsste da ein Zitat», sagte Monsieur Grosjean, er liebte Theaterstücke. «Wenn es mir nur einfallen würde. Ein Shakespeare-Zitat. ‹Will keiner mich von diesem –›»
‹«… turbulenten Priester befreien›», ergänzte Monsieur Poissonier. «Aus einem Theaterstück von Beckett. Ein Verrückter wie der Marschall ist viel schlimmer als ein Priester. Zumindest sollte ein Priester harmlos sein, obwohl sogar seine Heiligkeit der Papst erst gestern eine Studentendelegation empfangen hat. Er hat sie sogar gesegnet. Er hat sie seine Kinder genannt.»
«Das ist doch eine christliche Geste», sagte Monsieur Coin entschuldigend.
«Auch christliche Gesten kann man zu weit treiben», erwiderte Monsieur Grosjean.
Kapitel 14
Konferenz in London
Mr. Cedric Lazenby, der Premierminister, saß oben am Tisch im Kabinettsaal in der Downing Street Nr. 10 und betrachtete sein versammeltes Kabinett ohne sichtbares Wohlgefallen. Sein Gesichtsausdruck war äußerst düster, was ihm eine gewisse Befriedigung verschaffte. Mittlerweile gestattete er es sich nur noch in der privaten Atmosphäre seiner Kabinettsitzungen, seinem Gesicht einen unglücklichen Ausdruck zu geben. Nur hier konnte er den Gesichtsausdruck des weisen, zufriedenen Optimisten aufgeben, den er gewöhnlich zur Schau trug und der ihm in den verschiedensten Krisen des politischen Lebens immer so gute Dienste geleistet hatte.
Er sah der Reihe nach erst Gordon Chetwynd an, der die Stirn runzelte, dann Sir Georg Packham, der wie immer offensichtlich besorgt, in Gedanken und unsicher war. Dann blickte er auf die militärische Unerschütterlichkeit von Oberst Munro und auf Luftmarschall Kenwood, einen verschwiegenen Mann, der aus seinem tiefsitzenden Argwohn gegen Politiker keinen Hehl machte. Da war dann auch noch Admiral Blunt, ein großer, beeindruckender Mann, der mit den Fingern auf den Tisch trommelte und darauf wartete, dass seine Zeit gekommen war.
«Es hört sich nicht besonders gut an», sagte der Luftmarschall. «Das muss man zugeben Vier unserer Flugzeuge wurden in der letzten Woche gekidnappt. Sie wurden nach Mailand geflogen. Sie haben die Passagiere rausgejagt und sind dann irgendwohin weitergeflogen. Nach Afrika. Sie hatten dort Piloten, die auf sie warteten. Schwarze.»
«Black Power», sagte Oberst Munro nachdenklich.
«Oder Red Power?», warf Lazenby ein. «Ich habe das Gefühl, dass alle unsere Probleme von russischer Indoktrinierung herrühren. Wenn man nur mit den Russen Kontakt aufnehmen könnte – ich bin überzeugt, ein persönlicher Besuch auf höchster Ebene –»
«Bleiben Sie da, wo Sie sind, Premierminister», sagte Admiral Blunt, «Fangen Sie bloß nicht wieder an, den Russkis in den Hintern zu kriechen. Die wollen sich im Augenblick nur aus diesem Chaos heraushalten. Die hatten nicht so viele Probleme mit den Studenten wie die meisten von uns hier. Sie sind nur damit beschäftigt, ein Auge auf die Chinesen zu haben, um zu sehen, was die als Nächstes im Schilde führen.»
«Ich glaube doch, dass der persönliche Einfluss –»
«Sie bleiben schön hier und kümmern sich um Ihr eigenes Land», sagte Admiral Blunt geradeheraus, wie es seine Art war.
«Sollten wir uns nicht lieber – einen Bericht über die tatsächlichen Ereignisse anhören?» Gordon Chetwynd sah Oberst Munro an.
«Wollen Sie Fakten? Gut. Sie sind alle ziemlich unverdaulich. Ich nehme an, Sie wollen weniger Einzelheiten über die Ereignisse, sondern über die allgemeine Weltlage?», fragte Oberst Munro.
«Ganz recht.»
«Nun, in Frankreich liegt der Marschall noch im Krankenhaus. Er hat zwei Kugeln im Arm. In politischen Kreisen ist die Hölle los. Große Teile des Landes sind von den Truppen der sogenannten Jugend-Macht besetzt.»
«Wollen Sie damit sagen, sie haben Waffen?»
«In großer Zahl», sagte der Oberst. «Ich weiß wirklich nicht, woher sie sich die beschafft haben. Man hat nur so eine Ahnung. Eine große Sendung ist von Schweden nach Westafrika gegangen.»
«Was hat das denn damit zu tun?», fragte Mr. Lazenby. «Wen interessiert das? Lasst die in Westafrika doch so viele Waffen haben, wie sie wollen. Da können sie sich gegenseitig erschießen.»
«Nun, unseren Geheimdienstberichten zufolge ist das alles etwas merkwürdig. Hier ist eine Liste des Kriegsgeräts, das nach Westafrika verschifft wurde. Interessanterweise wurde es zwar dorthin verschifft, dann aber weitergeleitet. Es wurde entgegengenommen, die Lieferung wurde bestätigt, eine Zahlung erfolgte – oder auch nicht, aber es wurde bereits nach weniger als fünf Tagen wieder außer Landes geschafft, auf neuen Wegen, anderswohin.»
«Aber mit welcher Absicht?»
«Wahrscheinlich waren die Waffen von vornherein nicht für Westafrika bestimmt. Sie wurden bezahlt und dann anderswohin versandt. Möglicherweise von Afrika in den Nahen Osten. An den Persischen Golf, nach Griechenland und in die Türkei. Auch nach Ägypten wurde eine Sendung Flugzeuge geschickt. Von Ägypten gingen sie nach Indien und von dort nach Russland.»
«Ich dachte, sie wären aus Russland geschickt worden.»
«Und von Russland gingen sie nach Prag. Die ganze Sache ist ziemlich verrückt.»
«Ich verstehe nicht», sagte Sir George, «ich frage mich –»
«Irgendwo scheint es eine Zentralorganisation zu geben, die diesen Material- und Güterstrom lenkt. Flugzeuge, Waffen, Sprengbomben und Bomben für bakteriologische Kriegführung. All diese Sendungen bewegen sich in völlig unvermutete Richtungen. Sie werden auf unterschiedlichen Überlandwegen zu bestimmten Unruheherden gebracht und von den Anführern und Regimentern – wenn man sie so nennen wilclass="underline" der Jugend-Macht – eingesetzt. Sie gehen meist an die Führer junger Guerillabewegungen, erklärte Anarchisten, die Anarchie propagieren und gleichzeitig die modernsten Waffen, die neuesten Modelle, nutzen – und ich wage zu bezweifeln, dass sie jemals dafür zahlen.»
«Wollen Sie damit sagen, dass wir vor einem Krieg von weltweitem Ausmaß stehen?» Cedric Lazenby war schockiert.