«Werden Sie eine Federboa tragen?»
«Ja, eine aus Straußenfedern.»
«Oh je, die muss aber schon sehr alt sein.»
«Das ist sie, aber ich habe sie sorgfältig gepflegt. Du wirst sehen, Charlotte wird es als das erkennen, was es ist. Sie wird denken, dass eine Angehörige einer der besten Familien Englands gezwungen ist, ihre alten Kleider aufzutragen, die sie jahrelang sorgfältig aufgehoben hat. Ich werde auch meinen Sealmantel tragen. Der ist auch ein wenig abgeschabt, war aber seinerzeit ein herrliches Stück.»
So gekleidet, machte sie sich auf den Weg. Amy begleitete sie als wohlgekleidete und zurückhaltend elegante Betreuerin.
Matilda Cleckheaton war vorbereitet auf das, was sie erwartete. Ein Wal, wie Stafford ihr berichtet hatte, ein sich wälzender Wal, eine abscheuliche alte Frau saß in einem Raum, umgeben von Gemälden von unschätzbarem Wert. Sie erhob sich mit Mühe von einem thronartigen Sessel, wie für die Bühne eines großen Fürstenpalastes aus jeder beliebigen Epoche vom Mittelalter an.
«Matilda!»
«Charlotte!»
«Ach! Nach all den Jahren. Wie seltsam das ist!»
Sie tauschten Worte der Begrüßung und Freude aus, sprachen halb deutsch, halb englisch. Lady Matildas Deutsch war etwas fehlerhaft. Charlotte sprach ausgezeichnet deutsch, auch ausgezeichnet englisch, aber mit einem stark gutturalen, manchmal auch amerikanischen Akzent. Sie war wirklich von herausragender Hässlichkeit, dachte Lady Matilda. Einen Augenblick lang verspürte sie fast eine Zuneigung, die aus der Vergangenheit kam. Obwohl – überlegte sie im nächsten Augenblick, Charlotte war ein furchtbar unleidliches Mädchen gewesen. Niemand hatte sie wirklich gemocht, und sie selbst hatte sie auch nicht leiden können. Aber es gab kein stärkeres Band als Erinnerungen an die vergangene Schulzeit. Da konnte man sagen, was man wollte. Ob Charlotte sie gemocht hatte, das wusste sie nicht. Aber sie erinnerte sich, Charlotte hatte sich – wie man damals sagte – bei ihr angebiedert. Sie hatte vielleicht die Vorstellung, auf ein Herzogschloss in England eingeladen zu werden. Lady Matildas Vater, obwohl untadeliger Abstammung, war einer der englischen Herzöge gewesen, die sich in größter Geldnot befanden. Seine Liegenschaften waren nur durch die reiche Frau zusammengehalten worden, die er geheiratet hatte. Er hatte sie stets mit größter Ritterlichkeit behandelt, doch sie hatte es genossen, ihn zu tyrannisieren, wann immer sie konnte. Lady Matilda hatte das Glück, seine Tochter aus zweiter Ehe zu sein. Ihre eigene Mutter war äußerst liebenswürdig und zudem eine sehr erfolgreiche Schauspielerin, die es viel besser verstand, wie eine Herzogin aufzutreten, als die echten Herzoginnen.
Sie tauschten Erinnerungen an die alten Tage aus. Die Quälereien, mit denen sie ihre Lehrer geplagt hatten, die glücklichen und unglücklichen Ehen, die einige ihrer Schulkameradinnen eingegangen waren. Matilda erwähnte einige dieser Verbindungen und Familien, die sie dem Gotha entnommen hatte – «Aber das muss ja eine furchtbare Ehe für Elsa gewesen sein. Eine Bourbon-Parma, oder? Ja, ja, man weiß ja, wo das hinführt. Sehr bedauerlich.»
Kaffee wurde serviert, köstlicher Kaffee, Teller mit Blätterteiggebäck und leckeren Cremetörtchen.
«Ich sollte nichts anrühren», rief Lady Matilda, «wirklich nicht! Mein Arzt ist sehr streng. Er hat mir gesagt, ich müsse mich während meines Aufenthalts strikt an den Kurplan halten. Aber heute ist ein Feiertag, oder nicht? Wir feiern die Wiederauferstehung unserer Jugend. – Übrigens – da gibt es etwas, was mich sehr interessiert. Mein Urgroßneffe, der dich vor einiger Zeit besucht hat – ich weiß nicht mehr, wer ihn mitgebracht hat, Gräfin – es fängt mit Z an, ich kann mich an ihren Namen nicht erinnern.»
«Gräfin Renata Zerkowski – »
«Ach ja, das war ihr Name. Eine sehr charmante junge Dame, glaube ich. Sie hat ihn hergebracht, um dich zu besuchen. Das war sehr freundlich von dir. Er war stark beeindruckt. Auch sehr beeindruckt von deinem wundervollen Besitz. Deiner Lebensart, besonders aber von den großartigen Dingen, die er über dich gehört hat. Dass du eine ganze Bewegung unterstützt von – ach, ich weiß nicht, wie der Begriff lautet. Ganze Jugendwelten. Eine goldene, schöne Jugend. Sie scharen sich um dich. Sie beten dich an. Was für ein wunderbares Leben du führen musst. Nicht, dass ich so ein Leben führen könnte. Ich muss sehr zurückgezogen leben. Ich habe rheumatische Arthritis. Und finanzielle Schwierigkeiten. Schwierigkeiten, den Familienbesitz zu erhalten. Nun, du weißt, was das für uns in England bedeutet – unsere Steuerprobleme.»
«Ich erinnere mich an deinen Neffen. Ein reizender junger Mensch, sehr angenehm. Er ist im diplomatischen Dienst, nicht wahr?»
«Ja, aber es ist – nun, ich glaube, seine Talente werden nicht zur Genüge gewürdigt. Er beschwert sich nicht, aber er fühlt sich – nun, er fühlt sich nicht in dem Maße anerkannt, wie es sein sollte. Die Mächte, die heute am Ruder sind, wie sind die schon?»
«Kanaille, gewöhnliche Leute!», sagte die Große Charlotte.
«Intellektuelle ohne Stil. Vor fünfzig Jahren wäre das anders gewesen», sagte Lady Matilda. «Aber heutzutage kommt seine Beförderung nicht richtig voran. Ich sage dir, im Vertrauen natürlich, dass man ihm sogar misstraut. Sie verdächtigen ihn, er neige zu – wie soll ich sagen? – aufrührerischen, revolutionären Tendenzen. Man muss sich nur einmal vorstellen, wie vielversprechend die Zukunft für einen Mann sein könnte, der fortschrittlichere Ideen hat.»
«Glaubst du, er ist nicht einverstanden – wie sagt man in England – mit dem sogenannten Establishment?»
«Still, so darf man nicht reden. Jedenfalls ich nicht», sagte Lady Matilda.
«Das interessiert mich», fuhr Charlotte fort.
Matilda Cleckheaton seufzte.
«Schreib es der Zuneigung einer alten Verwandten zu, wenn du willst. Staffy war immer mein Liebling. Er hat Witz und Charme. Ich glaube, er hat auch eigene Vorstellungen. Er blickt in die Zukunft, eine Zukunft, die sich erheblich von dem unterscheidet, was wir im Augenblick haben. Unser Land ist leider politisch in einem sehr schlechten Zustand. Stafford ist offenbar sehr beeindruckt von den Dingen, die du ihm gesagt oder gezeigt hast. Du hast so viel für die Musik getan, höre ich. Was wir brauchen, ist meiner Ansicht nach das Ideal der Superrasse.»
«Es könnte und müsste eine Superrasse geben. Adolf Hitler hatte die richtige Idee», sagte Charlotte. «Er selbst war ein nichtssagender Mann, hatte aber künstlerische Züge. Und zweifellos besaß er die Kraft, die Fähigkeit, ein Führer zu sein.»
«Oh ja. Führerschaft. Das ist es, was wir brauchen.»
Charlotte sagte: «Ihr habt im letzten Krieg die falschen Alliierten gehabt, meine Liebe. Wenn England und Deutschland Seite an Seite gegangen wären, zwei arische Nationen mit den gleichen Idealen, wenn sie dieselben Vorstellungen von Jugend und Stärke vertreten hätten, kannst du ermessen, wo unsere beiden Länder heute stehen würden? Vielleicht ist das sogar noch zu eng gesehen. Auf eine Weise haben der Kommunismus und die anderen uns eine Lektion erteilt. Arbeiter aller Länder, vereinigt euch? Das heißt, die Messlatte zu tief zu hängen. Arbeiter sind nur das Material. Es muss heißen: ‹Anführer aller Länder, vereinigt euch!› Junge Menschen mit der Gabe der Führungskraft, mit gutem Blut. Wir müssen mit ihnen beginnen, nicht mit Männern mittleren Alters mit eingefahrenen Ansichten, die sich wiederholen wie eine Grammofonplatte mit einem Sprung. Wie müssen uns unter den Studenten umsehen, den jungen, beherzten Männern mit großen Ideen, die bereit sind, auf die Straße zu gehen, bereit, getötet zu werden, aber auch selbst zu töten. Ohne Bedenken zu töten – weil ohne Aggression, ohne Gewalt, ohne Angriffslust der Sieg nicht errungen werden kann. Ich muss Dir etwas zeigen –»