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Ich dachte, er würde gegen Morgen zu mir ins Hotel kommen, vielleicht ein wenig verlegen und wieder zur Vernunft gekommen, und dann hätten wir zusammen über diesen dummen Hahn gelacht.

Ich habe die ganze vergangene Nacht nicht geschlafen. Immer wieder kicherte ich und freute mich im Voraus, wie ich mich über ihn lustig machen würde. Und ich überlegte, was ich ihn fragen würde, wenn er zurückkäme.

Aber natürlich kam er nicht zurück.

O Gott, was habe ich nur angerichtet!

Und wenn auf einmal alles wahr ist?

Dann ist er – ER, dann wird man IHN ergreifen, man wird ihn geißeln und ihm die Dornenkrone aufsetzen, man wird ihn ans Kreuz schlagen!

Und ich habe ihn gehen lassen!

Aber hätte ich ihn denn zurückhalten können? Er ist zwar sanft und gütig, und auch ein wenig linkisch, aber ihn aufhalten, das ist unmöglich. Der weise »Prokurator« hat das nur zu gut verstanden.

Gestern Nacht ist Immanuel mit dem roten Hahn in die Höhle gegangen und nicht mehr zurückgekehrt.

Heute ist Samstag.

Zuerst habe ich auf ihn gewartet, aber dann wusste ich: er kommt nicht mehr. Ich habe mich hingesetzt, um diesen Brief zu schreiben. Nur einmal habe ich diese Arbeit unterbrochen – ich bin auf den Markt gegangen und habe einen roten Hahn gekauft.

Ich habe ja jetzt schon Erfahrung damit. Der neue Hahn ist ein fügsamer Geselle und noch röter als der gestrige. Da sitzt er und schielt mich mit seinem runden Auge an und pickt Hirse von einer Untertasse.

Den Brief hinterlege ich in der Mission, obwohl ich überzeugt davon bin, dass ich ihn morgen früh dort wieder abholen werde.

Alles Geld, das mir noch übrig geblieben ist, schicke ich an Salach. Der Arme hat in jener Nacht bestimmt auf mich gewartet, und ich bin nicht zurückgekommen. Wahrscheinlich denkt er, ich hätte mich heimlich davongestohlen, ohne mich bei ihm zu bedanken und ohne zu zahlen.

Sollten Sie jedoch diesen Brief trotzdem lesen, halten Sie mich bitte nicht für eine entlaufene Nonne, die ihr Gelübde gebrochen hat. Ich bin und bleibe eine Braut Christi, wem sollte ich folgen, wenn nicht ihm?

Ich werde einen Tag nach IHM dort ankommen. Und wenn Er schon gekreuzigt wurde, werde ich seinen Leib mit meinen Tränen waschen und ihn mit Myrrhe und Aloe salben.

Runzeln Sie nicht die Stirn! Ich habe nicht den Verstand verloren, ich habe höchstens nach dieser schlaflosen Nacht und aufgrund der inneren Anspannung einen gewissen Hang zur Exaltiertheit.

Denn ich verstehe jetzt alles sehr gut. Ich weiß, was tatsächlich geschehen ist.

Vor drei Jahren kroch ein Vagabund, ein sonderbarer Kauz, in den Bergen des Urals in eine Höhle, um dort die Nacht zu verbringen. Diese Höhle war aber eine eigenartige, ungeheure Höhle, die Menschen, die dort hineingingen, hatten seltsame Visionen, und auch dem Vagabunden muss so etwas wie eine Vision erschienen sein, wodurch seine Sprache und sein Gedächtnis verwirrt wurden, und danach glaubte er, er sei Jesus Christus. Zweifellos war er in eine Art geistige Verwirrung gefallen, aber sein Zustand war nicht bösartig, sondern gut, so wie bei den Gottesnarren.

Sie verstehen, ja?

Und das Erstaunlichste an dieser Geschichte ist, dass man nichts nachprüfen und nichts beweisen kann, so wie es bei Glaubensfragen immer ist. Die ganze Welt ist auf Ungereimtheiten aufgebaut, wie ein Schriftsteller mal gesagt hat, ohne sie kann die Erde nicht sein. Wenn man an Wunder glauben kann und will – dann soll man es tun; will man nicht daran glauben oder kann es nicht, dann muss man sich eben eine rationale Erklärung suchen. Und dass es auf der Erde viele Erscheinungen und Phänomene gibt, die uns zunächst wie etwas Übernatürliches erscheinen und erst viel später eine wissenschaftliche Erklärungfinden, das ist längst bekannt und erwiesen, und dazu, kann jeder von uns seine eigenen Erfahrungen beisteuern. Erinnern Sie sich, zum Beispiel, noch an den schwarzen Mönch?

Und was gestern Nacht geschah, auch das weiß ich.

Immanuel-Manuila hat mich ausgetrickst. Er wollte mich anhängliches Weib loswerden, weil er lieber alleine über du Erde wandelt. Er wollte nicht einfach sagen: Geh fort von min Frau – dafür ist er zu gutmütig. Nein, er hinterließ mir zun Andenken die Möglichkeit eines Wunders und ging fort, un weiter durch die Lande zu ziehen.

Natürlich wird nichts mit mir geschehen. Es wird keine Versetzung in Zeit und Raum stattfinden. Das ist nichts als Quatsch und Unsinn.

Trotzdem werde ich heute Nacht in die Höhle gehen, und unter meinem Arm werde ich einen roten Hahn tragen.