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Pfannkuchen hatte bis jetzt noch niemanden angezapft, seine Hände steckten brav in den Hosentaschen, nur seine Augen und Ohren, die waren die ganze Zeit rührig – und die Beine, versteht sich. Kaum dass sich der Nebel ein wenig verdichtete, ging es wisch, wisch auf leisen Sohlen von einem zum anderen und hübsch ausgespickt, was das so alles für Leute waren und ob sie auch gut auf ihre Wertsachen Acht gaben.

So macht man das nämlich: als Erstes ganz in Ruhe alles ausbaldowern und dann, kurz bevor der Dampfer wieder anlegt, fein säuberlich reinen Tisch machen. Aber vor allem muss man einen guten Riecher für die Raben haben, denn von denen treiben sich bestimmt einige hier rum, die haben ja genauso ungeduldig auf die Saison gewartet. Ziemliche Grobiane, unter uns gesagt, ganz und gar nicht nach Pfannkuchens Geschmack. Davon abgesehen haben die Raben auf dem Dampfer eigentlich gar nichts zu tun, sie sind nur an Bord, um sich ihre »Gänse« auszugucken; gerupft werden sie später an Land.

Dagegen ist ja im Prinzip auch nichts einzuwenden, das würde uns nicht weiter stören. Das Dumme ist bloß, dass die Raben nicht mit dem Messer zwischen den Zähnen herumlaufen und man sie nicht so einfach erkennen kann. Wenn man da nicht aufpasst, kann man ganz schön auf die Nase fallen. Wassja Rybinski, zum Beispiel, ein durchaus erfahrener Rasin, hat mal einen Kommis um sein goldenes Chronometer erleichtert, aber dann war der Kommis gar kein Kommis, sondern einer von den Raben, von denen aus Kasan, und die haben sich dann den Rybinski geschnappt und ihm natürlich die Platte eingedetscht, obwohl der Wassja doch gar nichts dafür konnte! Das ist eben so Sitte bei den Raben, sie können es partout nicht verknusen, wenn man sie anzapft, und solange die Zeche nicht bezahlt ist, brauchst du dich bei denen gar nicht mehr blicken zu lassen.

***

Den Anfang machte Pfannkuchen mit den Passagieren auf dem Oberdeck. Das waren zwar größtenteils arme Schlucker, aber erstens macht Kleinvieh auch Mist, und zweitens war das nun mal so seine Art – er hob sich das Beste immer bis zum Schluss auf. Beim Essen machte er es genauso. Wenn es, sagen wir mal, Buchweizengrütze mit Grieben gab, fischte er mit dem Löffel erst mal die Grütze heraus und schob die Grieben für später fein säuberlich an den Rand. Gab es Kohlsuppe mit Markknochen, löffelte er als Erstes die Brühe, anschließend verputzte er den Kohl und die Möhren, dann nagte er sorgfältig das Fleisch vom Knochen ab, und ganz zum Schluss erst saugte er das weiche, leckere Mark heraus.

Dementsprechend wurde jetzt also das Oberdeck abgeklappert, ordentlich vom Achterdeck bis zum Vordeck und dann auf der Back. Pfannkuchen wusste besser als jeder Matrose, wie so ein Dampfer aussieht und wie alles heißt, weil, ein Matrose, der liebt sein Schiff nicht, der will bloß immer möglichst schnell an Land und in die nächste Kaschemme, sich einen auf die Lampe gießen; für einen Rasin aber ist alles, was zu einem Schiff gehört, nützlich und wissenswert.

Vorn am Bug saßen, zu einem Häuflein zusammengedrängt, die Wallfahrer zum Grabe des Herrn, wohl anderthalb Dutzend Männer und Weiber. Neben jedem von ihnen ragte stolz ein knorriger Knüttel, der Pilgerstab. Die Wallfahrer aßen Brot und Salz, spülten mit kochendem Wasser aus ihren Blechnäpfen nach und warfen den übrigen Reisenden herablassende Blicke zu.

Ihr braucht euch gar nicht so wichtig zu machen, dachte Pfannkuchen im Stillen. So heilig seid ihr auch wieder nicht. Es gibt nämlich sogar Pilger, die reisen gar nicht mit dem Schiff nach Palästina, die marschieren auf Schusters Rappen hin, den ganzen Weg. Und wenn sie dann im Heiligen Land ankommen, kriechen sie auf den Knien weiter. Das nenne ich richtig heilig.

Trotzdem ließ er die Gotteswanderer ungeschoren und ging weiter. Was gab es da schon zu holen? Von denen hatte vielleicht jeder, wenn’s hochkam, ganze fünf Rubelchen irgendwo am Leib versteckt. Die hätte er ihnen natürlich abknöpfen können, für Pfannkuchen höchstens eine mittelschwere Fingerübung, aber er hatte ja schließlich ein Gewissen. Gewissen braucht der Mensch, sogar im Diebsgewerbe. Da vielleicht sogar noch mehr als in jedem anderen Beruf, sonst verroht man am Ende noch ganz und gar.

Pfannkuchen hatte sich schon seit langem seine ganz persönliche Moral zusammengezimmert, mit der er seinen Seelenfrieden pflegte: Wenn einer aussieht wie ein guter Mensch, oder vielleicht irgendwie unglücklich, dann wird er nicht gerupft, und wenn ihm die Geldbörse ganz von selber aus der Tasche lugt und einem zuzwinkert – kommt nicht in Frage, da bin ich hart. Weil, du bist dann zwar um dreißig Silberrubel reicher, meinetwegen auch um dreihundert, egal, aber dafür fühlst du dich wie der reinste Lump, und die ganze Selbstachtung ist flöten. Pfannkuchen hatte so manchen erlebt, der seine Seele für ein paar zerknitterte Rubelscheine verhökert hatte. Schäbige Halunken waren das, weiter nichts! Ist das etwa der Preis für die Menschenwürde, dreihundert Rubel? Nein, mein Lieber, da hast du dich aber geschnitten! Mit allem Geld der Welt kann man die nicht bezahlen.

Die deutschen Kolonisten wurden gründlichst beschnuppert. Die wollten sicher nach Argentinien, das war grade Mode bei den Deutschen. Da wird denen Land zugeschanzt, mehr als du brauchen kannst, und zum Kommiss müssen sie auch nicht. Der Deutsche ist in dieser Hinsicht genau wie der Jude, er will unserem Zaren nicht dienen.

Guck an, Deckbilletts haben sie genommen, diese Geizknöppe. Dabei haben sie Pinke lang, die Weißwurstfresser, aber sie sitzen mit ihrem Hintern drauf.

Pfannkuchen hockte sich unter ein Rettungsboot und hörte den Deutschen eine Weile zu. Aber das brachte ihn bloß in Rage. Die reden, als wären sie nicht ganz dicht im Oberstübchen: Kuckmadiida.

Einer, mit knallrotem Kopf, hatte seine Pfeife zu Ende geraucht und legte sie neben sich auf die Planken. Tja, das war natürlich zu dreist, Pfannkuchen brachte das gute Stück gleich mal ins Warme. So was muss man sofort erledigen, solange der Nebel da ist, wie’s später wird, weiß man nicht.

Er unterzog das Pfeifchen einer kurzen, kundigen Begutachtung (Porzellan mit kleinen Figürchen drauf – ganz famos!) und ließ es in seinem Beutesack verschwinden, einem leichten Leinensack an einer Kordel, den man unter der Achsel tragen konnte.

Auf geht’s, die Jagd ist eröffnet!

Ein Stück weiter weg saßen die Krieger des Heiligen Geistes und lasen laut aus einem heiligen Buch. Pfannkuchen ließ sie in Frieden. Die fuhren nach Kanada, soviel er wusste. Ruhige Leute, die niemandem was Böses taten. Sie litten für die Wahrheit. Graf Tolstoi, der Schriftsteller, hielt seine Hand über sie. Von dem hatte Pfannkuchen sogar mal ein Buch gelesen, das hieß »Wie viel Erde braucht der Mensch«. Das war ulkig gewesen, es ging darum, was die Bauerntrampel für Tölpel sind.

Na gut, Krieger des Heiligen Geistes, fahrt mit Gottes Segen.

Vom Vordeck bis zum Heck war alles voller Juden; aber die hielten sich nicht etwa zusammen, sondern bildeten lauter kleine Grüppchen. Pfannkuchen wunderte sich darüber gar nicht mehr, er wusste ja: Dieses Volk ist nun mal so, es liegt sich unentwegt in den Haaren.

Bei den Juden ist es wie bei unseren Leuten auch, es genießen die das höchste Ansehen, die nach Palästina fahren. Pfannkuchen blieb stehen und hörte zu, wie ein »palästinensischer« Jude sich vor einem »amerikanischen« in die Brust warf. »Ohne euch zu nahe treten zu wollen«, verkündete er gerade, »aber unser Antrieb ist die Seele, eurer der Bauch!« Der »Amerikaner« steckte den Schlag ein, ohne zu mucken. Bloß den Kopf ließ er ein wenig hängen.

Pfannkuchen erleichterte den »Palästinenser« um einen zusammenklappbaren Meterstab, ein Schneidermaß. Nicht gerade reiche Beute, aber er konnte das Ding ja der Witwe Glascha schenken, die nähte und würde sich drüber freuen. Dem »Amerikaner« stibitzte er die Uhr, ein ziemlich schäbiges Exemplar aus billigem Kupfer, grad mal einen Rubel wert, höchstens anderthalb.

Er verstaute die Beute in seinem Sack und mischte sich unter die schläfenlockigen jungen Männer, die gerade angefangen hatten, ein Riesengeschrei zu veranstalten – manche in ihrer eigenen komischen Sprache, die meisten aber auf Russisch. Sie waren allesamt dünn, hatten vorspringende Adamsäpfel und fiepsige Stimmen.