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Die Zweite war klein und rundlich, und angezogen war sie – zum Totlachen: auf dem Kopf eine weiße Stoffkappe mit schmalem Rand und statt eines Rockes kurze grüne Hosen, sc dass man ihre ganzen Beine sah. Dazu an den Füßen kurze weiße Wickelstrümpfe und schauderhafte Latschen mit Lederriemchen.

Pfannkuchen machte Kulleraugen. Unglaublich, man konnte wirklich alles sehen, die Knöchel und die dicken Waden, die von der Kälte voller Gänsehaut waren.

Aber die Beine interessierten ihn nur am Rande. Viel interessanter war die Frage, was das überhaupt für Leute waren und wo sie hinfuhren und warum? Und was war ein Rabberboll?

Dieses komische Wort hatte der mit dem Bart benutzt. Der andere, der das Gedicht vorgelesen hatte, lachte jetzt und fing an, mit einer Hand Knautschbewegungen zu machen. Pfannkuchen kniff die Augen zusammen: Der Bursche hatte einen komischen schwarzen Ball zwischen den Fingern, den drückte und presste er wie ein Irrer. Wozu sollte das denn wieder gut sein?

»Ist dir kalt, Malke?«, sagte der mit dem Bart zu dem Pummelchen. Er hatte wohl auch ihre Gänsehaut gesehen. »Na, macht nichts, diese Reise wird dir noch mal Vorkommen wie das Paradies. Es ist kühl, und du hast Wasser, so viel du willst. Wozu habe ich wohl in Nischni Nowgorod extra eine Versammlung angesetzt? Damit wir uns von Russland verabschieden. Schaut euch noch mal um, sag ich, atmet tief durch, bald ist es damit vorbei. Ihr wisst nicht, was wirkliche Hitze ist. Aber ich weiß es. Einmal lagen wir in Port Said, die Außenhaut von unserem Kahn musste geflickt werden. Da habe ich mir vom Käpt’n eine Woche freigeben lassen, ich wollte mich mal ein bisschen in der Wüste umschauen.«

»Und hast du dich umgeschaut?«, fragte das zarte Fräulein.

»O ja, Rahel, das hab ich allerdings«, grinste der mit dem Bart. »Und obwohl ich nicht so eine feine weiße Haut habe wie du, war mein Gesicht am Abend eine einzige Brandblase. Meine Lippen waren aufgesprungen und bluteten, meine Kehle brannte, als hätte mir jemand eine Feile durchgezogen. Aber man darf kein Wasser trinken, man muss Salz lecken.«

»Warum denn Salz, Magellan?«, fragte einer der Jungen verwundert.

»Wenn du schwitzt, verliert der Körper Salz, und das ist schlimmer als Wasserverlust, davon kannst du verrecken. Also: Ich schwitze, lecke Salz und reite weiter. Ich hatte mir fest vorgenommen: Du machst die zweihundert Werst bis Gaza, bleibst einen Tag dort, und dann zurück.« Magellan stieß einen dicken Schwall Rauch aus. »Aber ich bin nicht bis Gaza gekommen, weil ich mich verlaufen habe. Ich hatte keinen Kompass mitgenommen und mich auf die Sonne verlassen, ich elender Trottel. Am dritten Tag fing die Wüste an zu schwanken und zu schlingern wie ein Schiff auf hoher See, immer rechts, links, rechts, links. Und dann sah ich in der Ferne erst ein Birkenwäldchen und dann einen See. Oha, dachte ich, jetzt hast du dir schon eine Fata Morgana ausgeschwitzt. Und am Abend, als die Wanderdünen ganz lange Schatten warfen, kam plötzlich über den Kamm von so einer Düne eine Horde Beduinen herangestürmt. Zuerst dachte ich, das ist schon wieder eine Fata Morgana. Stellt euch vor, da kommen so dreieckige Schatten mit überirdischer Geschwindigkeit auf mich zugerast und werden immer größer und größer. Auf ihren Kamelen, wisst ihr, im Galopp. Dabei war alles vollkommen still, nicht ein Geräusch, nur der Sand rieselte ganz, ganz leise. Man hatte mich ja vor Räubern gewarnt, und ich hatte auch eine Winchester dabei und einen Revolver. Aber ich Hornochse sitze wie versteinert im Sattel und gucke zu, wie der Tod auf mich zugerast kommt. Ein prachtvoller Anblick, wirklich, man kann sich gar nicht davon losreißen. Wisst ihr, was in der Wüste am gefährlichsten ist? Die Hitze und die Sonne lassen den Selbsterhaltungstrieb erlahmen, das ist das Gefährlichste.«

Alle hörten mit angehaltenem Atem zu. Auch Pfannkuchen fand es sehr interessant, aber schließlich durfte man darüber seine Arbeit nicht vergessen. Bei Malke – der mit dem dicken Hintern – lugte das Portemonnaie aus der Tasche ihrer ulkigen Hose heraus. Sehr verlockend. Pfannkuchen hatte es schon halb herausgezuppelt, aber dann schob er es wieder zurück. Das dumme Ding tat ihm Leid.

»So doch nicht! Ich hab es dir doch gezeigt!«, unterbrach Magellan gerade seine Erzählung. »Du musst das Handgelenk stillhalten! Mit den Fingern sollst du arbeiten, nur mit den Fingern! Gib her!«

Er nahm dem bebrillten Kolosseum den Ball weg und quetschte selber daran herum.

»Immer im Rhythmus, verstehst du, im Rhythmus! Und das mindestens tausend Mal, besser zehntausend Mal! Wie willst du denn mit solchen Spinnenfingern ein Arabervollblut am Zügel halten? Streng dich an, tu was.«

Er warf den Ball zurück, aber diese Pfeife von Verseschmied ließ ihn fallen.

Der Ball traf auf den Decksplanken auf und sprang mit einem Wuppdich wieder in die Höhe. Dabei machte er so ein sattes, helles Geräusch, irgendwie übermütig, das gefiel Pfannkuchen sehr.

Dann kullerte und trudelte und sprang der Ball über die Planken, und im selben Augenblick senkte sich der Nebel wieder wie ein dichtes Laken herab und ersäufte die ganze wackere Truppe in suppiger, weißer Dickmilch.

»Du Schlafmütze!«, tönte Magellans Stimme. »Na schön, den holst du dir später.«

Aber Pfannkuchen hatte den Wunderball schon im Visier. Was für ein vergnügliches Ding. Das konnte er vielleicht Parchomka, dem Zeitungsjungen, schenken, der Kleine sollte auch mal seinen Spaß haben.

Wenn es nur nicht über Bord gefluppt ist. Pfannkuchen sputete sich.

Von ferne gesehen war das bestimmt ein komischer Anblick: zwei rollende Kugeln, eine kleine und eine große.

Halt, du entkommst mir nicht!

Der kleine Ball prallte gegen etwas Dunkles, blieb liegen – und wurde sofort geschnappt. Um ein Haar hätte Pfannkuchen in seinem Jagdeifer einen Mann angerempelt, der dort auf den Decksplanken saß (gegen den war nämlich auch der flinke Rubberball geprallt).

»Pardon«, entschuldigte sich Pfannkuchen artig. »Der gehört mir.«

»Wenn er Ihnen gehört, dann nehmen Sie ihn«, antwortete der Sitzende sanft. Und damit wandte er sich wieder seinen Gesprächspartnern zu (neben ihm saßen noch zwei) und setzte die Unterhaltung fort. Pfannkuchen blieb der Mund offen stehen. Das waren ja noch ulkigere Gestalten als die von vorhin.

Zwei Männer und ein Weib, aber alle drei gleich gekleidet: weiße fersenlange Kittel mit einem blauen Streifen um die Mitte, nur, dass er bei dem Weibsbild aufgenäht war, während die Männer ihn mehr schlecht als recht mit Farbe draufgepinselt hatten.

Pfannkuchen ging ein Licht auf: Das mussten die »Findelkinder« sein, über die sich die Juden so aufgeregt hatten. Er hatte zwar noch nie welche gesehen, aber schon mal in der Zeitung über sie gelesen, über diese Konvertiten und ihren Propheten Manuila. In der Zeitung kann man ja über alles lesen, was es so in der weiten Welt gibt.

Die »Findelkinder«, das waren zwar Russen, aber sie hatten sich vom Christentum losgesagt und den jüdischen Glauben angenommen. Was sie damit anfangen wollten, mit dem jüdischen Glauben, und warum sie »Findelkinder« hießen, das war ihm entfallen, aber er erinnerte sich noch, dass diese Abtrünnigen in der Zeitung ordentlich ihr Fett abgekriegt hatten, und über diesen Manuila hatte auch nur das Schlechteste dringestanden. Der hatte nämlich einen Haufen Menschen betrogen und vom orthodoxen Glauben abgebracht, und das mag natürlich niemand, ganz klar!

Pfannkuchen waren die drei auch gleich unsympathisch, und er überlegte, was er ihnen wohl klauen könnte – nicht wegen der Beute, sondern damit sie mal merkten, was es heißt, Christus zu verraten.

Er bezog ein paar Schritte weiter weg Stellung hinter einer Kiste und legte sich auf die Lauer.

Der, gegen den der Ball geprallt war, war ein älterer Mann mit zerknittertem Gesicht. Dem Aussehen nach konnte er ein versoffener Kanzleibeamter sein. Jetzt war er aber nüchtern. Er hatte so eine butterweiche, betuliche Art zu reden.