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»Wahrlich, ich sage euch: Er ist der Messias. Nicht Christus ist der wahre Messias, sondern er. Böse Menschen haben versucht, ihn zu kreuzigen, aber es ist ihnen nicht gelungen, denn Manuila ist unsterblich, Gott hält seine schützende Hand über ihn. Wie ihr ja wisst, hat man ihn schon einmal getötet, doch er ist wieder auferstanden. Aber er ist nicht in den Himmel aufgefahren, sondern unter den Menschen geblieben, denn er ist für ewig gekommen.«

»Ich trage Bedenken, Jehuda, was die Beschneidung angeht«, sagte ein riesiger Mann mit Bassstimme. Pfannkuchen erkannte an seinen Händen und an den schwarzen Pünktchen in seiner Visage, dass es sich um einen Schmied handelte. »Wie weit muss man schneiden? Einen Daumen breit? Oder einen halben?«

»Das, Jesekija, kann ich dir auch nicht sagen, darüber bin ich selbst im Ungewissen. In Moskau wurde mir zugetragen, ein Schuhmacher habe sich eigenhändig mit der Schere einen zu großen Zipfel abgeschnitten und soll fast hopsgegangen sein. Ich, zum Beispiel, werde vorerst noch Abstand davon nehmen, denke ich. Sind wir erst mal im Gelobten Land angekommen, dann werden wir schon weitersehen. Manuila jedenfalls, sagt man, hat die Beschneidung nicht vorgeschrieben. Er hat den ›Findelkindern‹ seinen Segen dafür nicht erteilt, glaube ich.«

»Das stimmt nicht«, sagte der Schmied und seufzte. »Man muss beschnitten sein, Jehuda, unbedingt. Ein richtiger Jude ist immer beschnitten. Wie soll man denn sonst im Gelobten Land in die Banja gehen, da müsste man sich ja vor allen schämen. Man wird uns auslachen.«

»Da hast du allerdings Recht, Jesekija«, stimmte Jehuda zu. »Auch wenn es einem nicht geheuer ist, machen muss man es wohl.«

Da erhob das Weib seine Stimme. Die Stimme klang dumpf und näselnd, was auch kein Wunder war, denn in dem Gesicht von diesem Weib war von einer Nase nicht mehr viel zu erkennen, sie war vollkommen eingedrückt.

»Ach du meine Güte – ›nicht geheuer‹. Und so was will ein Jude sein. Schade, dass ich kein Kerl bin, ich hätte keine Angst.«

Was kann man diesen Jesusmördern bloß stibitzen, grübelte Pfannkuchen. Vielleicht den Sack von dem Schmied?

Und schon schob er sich vorsichtig heran. Aber in diesem Moment trat ein weiterer Mann zu den Sitzenden. Er trug genau den gleichen Kittel wie sie, nur war der blaue Streifen nicht aufgemalt, sondern mit weißem Zwirn angenäht.

Dieser Mensch erschien Pfannkuchen noch widerwärtiger als seine Genossen: Die Augen schmale Schlitze, die ganze schmierige Visage platt wie ein Brett, fettige Haare bis auf die Schultern und unter dem Kinn ein räudiges Bärtchen. Ein typischer Schankwirt.

Die drei fuhren erschrocken in die Höhe.

»Was denn, Solomoscha, hast du ihn etwa allein gelassen?«

Der Altere, der Jehuda hieß, schaute sich misstrauisch um (Pfannkuchen bemerkte er natürlich nicht, versteht sich) und sagte leise:

»Es war doch vereinbart, dass immer zwei beim Schatz bleiben!«

Pfannkuchen glaubte zuerst, er habe sich verhört. Aber der plattgesichtige Solomoscha winkte ab:

»Der läuft schon nicht weg, der Schatz. Er schläft doch darauf; die Schatulle liegt unter seinem Kopfkissen, und er hat die Arme drumgelegt. Es ist so schwül da im Zimmer.«

Damit setzte er sich hin, zog die Stiefel aus und fing an, seine Fußlappen zu wenden.

Pfannkuchen rieb sich die Augen – war das ein Traum?

Schatz! Schatulle!

Famose Saison! Famose »Stör«!

Eure goldene Brille könnt ihr meinetwegen behalten, und den anderen Kram erst recht! Kinkerlitzchen! Unter dem Kopfkissen des Propheten lag eine Schatulle mit einem ganzen Schatz und wartete nur auf Pfannkuchen! Da ist er ja, der leckere Markknochen!

Also er schläft, euer Prophet, habt ihr gesagt?

Und husch!, war der Rasin hinter seiner Kiste verschwunden.

Trapp, trapp flog Pfannkuchen die Treppen hinunter zum Zwischendeck. Dort war nichts und niemand zu sehen, nur fahle gelbe Flecken schimmerten durch das Weiß – die Kabinenfenster.

Pfannkuchen fragte die gelben Flecken: »Na los, erzählt mal, in welcher von euch ist der Schatz unterwegs?«

An den Fenstern waren zwar Vorhänge angebracht, aber sie ließen die obere Hälfte frei. Wenn man auf einen Stuhl stieg (und Stühle gab es hier genug, wie eigens für Pfannkuchen bereitgestellt), konnte man über sie hinweg in die Kabine schauen.

Im ersten Fenster bot sich Pfannkuchen ein höchst rührendes Bild: Eine Familie saß traulich beim Tee.

Der Papascha, ein gesetzter Herr mit dichtem Rauschebart, schlürfte seinen Tee aus einem großen Glas. Ihm gegenüber, auf einem kleinen Kanapee, saß seine Gattin und strickte. Sie wirkte ein wenig maskulin, aber ihr Gesicht unter der gehäkelten Haube war voller Milde und Güte. Zu beiden Seiten des Papas, an seine breiten Schultern geschmiegt, saßen die Kinderchen: der Sohn, ein Gymnasiast, und die Tochter, etwa im gleichen Alter. Zwillinge waren sie jedoch nicht, denn der Junge war ganz dunkelhaarig, das Mädchen goldblond.

Das entzückende Töchterchen sang. Man konnte zwar durch das Fenster hindurch nichts hören, weil sie so leise sang, aber man spürte eine gewisse engelsgleiche Schwingung in der Luft. Ihr Blick war schwärmerisch verträumt, ihre rosigen Lippen öffneten sich mal weit und rund, mal schlossen sie sich zu einem allerliebsten spitzen Schnütchen.

Pfannkuchen war vollkommen hingerissen. Was für ein paradiesisches Bild. Solche herzerquickenden Wesen würde er niemals beklauen.

Jetzt sagte der Sohn etwas zum Vater und stand auf. Er gab seinem Papachen einen Kuss – aber wie! Direkt auf den Mund, ganz zärtlich. Dann nahm er seine Schirmmütze und trat auf den Gang hinaus. Wahrscheinlich wollte er einen kleinen Spaziergang machen, ein wenig Luft schnappen. Papa schickte ihm noch einen Handkuss nach.

Pfannkuchen war gerührt. Und was für ein imposanter Mann! In seiner Amtsstube oder im Kontor zittern seine Untergebenen vor ihm, aber zu Hause, im Kreise seiner Lieben, da ist er der reinste Engel.

Pfannkuchen entfuhr ein schwerer Seufzer, weil doch sein Leben so einsam war. Aber wie soll denn ein Rasin auch eine Familie gründen?

Doch das nächste Fenster war schon das richtige. Pfannkuchen hatte mal wieder Glück. Hier brauchte er auch nicht auf einen Stuhl zu klettern, die Vorhänge waren nicht ganz zugezogen. Pfannkuchen linste vorsichtig durch den Spalt und erblickte einen mageren, dunkelblonden, bärtigen Mann, der auf einem Samtdiwan lag. Das ist mir ja ein schöner Prophet, dachte Pfannkuchen, seine Schäfchen müssen an Deck sitzen, und er selber aalt sich in der ersten Klasse und lässt sich’s gut gehen. Da liegt er und schläft süß wie ein Säugling, sogar ein wenig Speichel rinnt ihm aus dem Mund.

Und was leuchtet da so verlockend unter dem Kissen hervor? Das wird doch nicht etwa eine Lackschatulle sein?

Schlaf, mein Guter, schlaf! Nur bitte möglichst fest!

Pfannkuchen war ganz hibbelig vor Ungeduld, doch ermahnte er sich streng, seinen Hintern still zu halten. Das war ein saftiger Brocken, den er da am Haken hatte, da hieß es: nur nichts übereilen.

Also, wie stellte er ’s am besten an? Vom Gang aus? Das Türschloss knacken?

Nein, nachher sieht das einer. Von hier aus ist es einfacher. Der alte Kumpel Nebel steht Schmiere.

Das Fenster ist zwar zu, aber das ist natürlich ein Klacks. Für solche Fälle hat jeder Rasin seine »Zwacke«, ein spezielles, äußerst praktisches Werkzeug, mit dem man in null Komma nichts die Schrauben aus dem Rahmen raus hat. (Bloß das Ölkännchen nicht vergessen, damit sie nicht quietschen.) Rrruck links, rrruck rechts, und das war ’s schon fast. Jetzt noch mal großzügig Öl von der Seite in die Nuten. Und dann laaaang-sam, langsam rausziehen.

Lautlos schob sich das Fenster nach oben, so wie sich’s gehört.

Der Rest war einfach: Reinkriechen, auf den Zehenspitzen zum Diwan, die Schatulle unter dem Kissen hervorziehen und Stattdessen ein zusammengerolltes Handtuch drunterstecken. Dabei muss man ganz genau auf den Atem des Schläfers Acht geben, falls er plötzlich aufwacht. Der Atem warnt einen immer. Und auf keinen Fall darf man dem Schläfer ins Gesicht gucken, es gibt Leute, die merken es sofort, wenn man sie im Schlaf ansieht.