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Mitrofani erduldete den Vortrag, solange er konnte (das heißt, nicht sehr lange, denn Geduld gehörte nicht zu den hervorstechenden Tugenden des Bischofs), aber schließlich hielt er es nicht mehr aus und fiel dem hoch gestellten Redner ins Wort: »Konstantin Petrowitsch, ich bin vollkommen davon überzeugt, dass der orthodoxe Glaube der einzig wahre ist und der barmherzigste, den es geben kann; und diese Überzeugung gründet sich keineswegs nur auf Erwägungen der Staatsräson, sondern sie fußt auf einer tiefen seelischen Empfindung. Jedoch erachte ich es, wie Eurer Exzellenz aus unseren früheren Gesprächen bekannt sein dürfte, für äußerst verderblich, wenn nicht gar für frevelhaft, Andersgläubige gewaltsam zu unserer Religion zu bekehren.«

Pobedin nickte – aber durchaus nicht zustimmend, sondern als habe er von dem Bischof gar nichts anderes als vorlautes Verhalten und Widerspenstigkeit erwartet.

»O ja, mir ist in der Tat bekannt, dass man in Ihrer Sawolshsker . . . Fraktion« – Pobedin verstand es, dieses unerfreuliche, mehr noch, dieses geradezu fatale Wort durch eine aufreizende Intonation noch hervorzuheben – ein erklärter Gegner jeglicher Gewalt ist.«

An dieser Stelle legte der Oberprokuror eine beredte Pause ein und brachte dann den vernichtenden, ohne jeden Zweifel gewissenhaft vorbereiteten Schlag an:

»Jeglicher Gewalt und – jedes Verbrechens – dieselbe aufreizende Intonation. »Gleichwohl muss ich gestehen, dass das Maß Ihres Eifers bei der Bekämpfung des Letzteren meine Vorstellungskraft bei weitem überschreitet.« Pobedin wartete, bis diese befremdlichen Worte auf Mitrofanis Gesicht einen Ausdruck der Wachsamkeit erzeugt hatten, und fragte dann mit bedrohlich sanfter Stimme: »Für wen halten Sie sich eigentlich, Eminenz? Für so eine Art neuen Vidocq? Oder vielleicht für Sherlock Holmes?«

Schwester Pelagia, die bei dem Gespräch zugegen war, wurde an dieser Stelle merklich blasser und konnte sogar einen leisen Aufschrei nicht unterdrücken. Jetzt verstand sie, warum der Bischof sie, eine einfache Nonne, zu dieser Audienz hatte mitbringen sollen.

Der nächste Satz des Oberprokurors bestätigte ihre ungute Vermutung:

»Ich habe Sie nicht zufällig darum gebeten, sich zusammen mit der Leiterin Ihrer glorreichen Klosterschule bei mir einzufinden. Sie haben vermutlich angenommen, Schwester, es würde bei dieser Zusammenkunft um Bildungsfragen gehen?«

Das hatte Pelagia tatsächlich gedacht. Erst vor einem halben Jahr, nach dem Tode von Schwester Christina, hatte der Bischof ihr die Stelle der Leiterin der Sawolshsker Mädchenschule übertragen, und innerhalb dieser kurzen Frist hatte Pelagia so viele Reformen eingeführt, dass sie sich bereits den Unwillen der Synodsleitung zugezogen hatte. Sie war fest entschlossen gewesen, jede ihrer Neuerungen mit ihrem Blute zu verteidigen, und hatte sich für diesen Fall mit einer Unzahl unwiderlegbarer Argumente versehen. Aber als die Rede auf Vidocq und irgendeinen mysteriösen Sherlock kam (sicher auch so ein Schnüffler wie dieser berühmte Franzose), geriet sie vollkommen durcheinander.

Konstantin Petrowitsch zog jetzt einen Bogen Papier aus einem Kalikoaktendeckel, ließ seinen dürren weißen Finger suchend über die Zeilen wandern und brachte ihn schließlich an einer bestimmten Stelle zum Halten.

»Sagen Sie, Schwester, Sie haben nicht zufällig schon mal von einer gewissen Polina Andrejewna Lissizyna gehört? Eine außerordentlich kluge Person, wie man hört, und zudem ungewöhnlich mutig. Diese Dame hat gerade erst vor einem Monat der Polizei einen unschätzbaren Dienst bei der Aufklärung des grauenvollen Mordes an dem Oberpriester Nektari Satschatjewski erwiesen.«

Er hob den Kopf und heftete seine Eulenaugen auf Pelagia.

Diese stammelte errötend:

»Das ist meine Schwester . . .«

Der Oberprokuror schüttelte missbilligend den Kopf:

»So, Ihre Schwester? Da habe ich aber ganz andere Informationen.«

Er weiß alles, dachte die Nonne. Welche Schande! Aber am meisten schämte sie sich, dass sie gelogen hatte.

»Jetzt lügen Sie auch noch. Sie sind mir eine vorbildliche Braut Christi«, sagte Pobedin und legte damit noch den Finger in die Wunde. »Eine Detektivin im Nonnenhabit. Was soll man davon halten?«

Im Blick des mächtigen Mannes lag allerdings weniger Zorn als Neugier. Das war immerhin eine kleine Sensation – eine Ordensschwester, die Verbrecher jagte.

Pelagia gab das Leugnen auf. Sie schlug die Augen nieder und versuchte zu erklären:

»Verstehen Sie, Eure Exzellenz, wenn ich dabei Zusehen muss, wie das Verbrechen triumphiert oder man einen Unschuldigen anklagt, wie es sich in dem von Ihnen erwähnten Falle zugetragen hat . . . Oder wenn jemand in Lebensgefahr schwebt . . .« Sie kam ins Stocken, und ihre Stimme begann zu beben. »Dann ist es mir hier, genau an dieser Stelle«, die Nonne legte ihre Hand aufs Herz, »als wäre dort eine glühende Kohle. Und sie glüht und brennt und lässt mir keine Ruhe, bis der Wahrheit zu ihrem Recht verholfen worden ist. Ich weiß, ich sollte beten, wie es sich für meinen Stand gehört, aber ich kann es nicht. Denn Gott erwartet doch nicht von uns, dass wir untätig sind und nur müßig jammern und wehklagen, sondern dass wir den Menschen beistehen – ein jeder nach seinem Vermögen. Und ER wird erst dann in den Verlauf der irdischen Geschicke eingreifen, wenn uns Menschen im Kampf gegen das Böse die Kräfte versagen . . .«

»So, so, es brennt, sagen Sie; genau hier?«, erkundigte sich Konstantin Petrowitsch. »Und beten können Sie nicht? Oh, oh, oh, das ist der Teufel, der in Ihnen sitzt, Schwester. Alle Symptome sprechen dafür. Sie haben im Kloster nichts verloren.«

Pelagia ließen diese Worte zu Eis erstarren, und Mitrofani eilte ihr hastig zu Hilfe:

»Eure Exzellenz, Sie ist unschuldig. Es geschah auf meine Anordnung hin. Sie tat es mit meinem Segen.«

Darauf hatte das Oberhaupt des Synods anscheinend nur gewartet. Das heißt, dem äußeren Anschein nach hatte er es ganz und gar nicht erwartet, vielmehr gab er sich aufs Höchste erstaunt. Er hob die Hände in einer stummen Gebärde, als wollte er sagen: Nein, das glaube ich nicht. Sie?! Sie?! Der oberste Hirte des Gouvernements?

Es hatte ihm anscheinend die Sprache verschlagen. Sein Antlitz erblasste, und seine Lider schlossen sich gramvoll. Nach einer Weile sagte er müde:

»Gehen Sie jetzt, Eminenz. Ich werde den Herrgott bitten, mir einzugeben, was ich mit Ihnen tun soll . . .«

So also war das Gespräch in Petersburg verlaufen, und bisher wusste niemand, was für Folgen daraus erwachsen würden, anders gesagt, welche Eingebung der Oberprokuror bezüglich der Sawolshsker »Fraktion« vom Allerhöchsten empfangen würde.

»Wir sollten Konstantin Petrowitsch Gehorsam entgegenbringen«, brach Usserdow das Schweigen. »Es gereicht niemandem zur Schande, sich einem solchen Mann in Demut zu beugen . . .«

Das war gewiss richtig. Konstantin Petrowitsch war in der Tat ein ganz besonderer Mensch. Im ganzen russischen Imperium gab es für ihn, wie es in dem Stück von Ostrowski heißt, »nichts, was unmöglich wäre«. Der Beweis dafür war den Sawolshskern gleich zu Beginn ihrer Petersburger Audienz präsentiert worden.

Einer der Fernsprechapparate auf dem Tisch Seiner Exzellenz, der schönste – aus kostbarem Mahagoni mit funkelnden Hörmuscheln – begann zu läuten. Pobedin unterbrach sich mitten im Satz, legte den Zeigefinger der einen Hand auf die Lippen, drehte mit der anderen Hand die Kurbel und hielt den Hörer ans Ohr.