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Der Sekretär Usserdow, der mit seiner Aktentasche (welche den Jahresbericht des Eparchiats enthielt) akkurat auf der Stuhlkante hockte, erfasste als Erster, wer der Anrufer war: Er sprang auf und stand stramm.

In ganz Russland gab es nur eine Person, deretwegen Konstantin Petrowitsch sich mitten im Satz unterbrechen würde. Außerdem war ja bekannt, dass es eine direkte Telefonverbindung vom Palast direkt ins Arbeitszimmer des Oberprokurors gab.

Die Stimme des gekrönten Hauptes konnten die Besucher natürlich nicht hören, dennoch waren sie außerordentlich beeindruckt, vor allem davon, mit welch väterlicher Strenge Pobedin den von Gott Gesalbten herunterputzte:

»Ja, Eure Majestät, die Fassung des Erlasses, die Sie herübergeschickt haben, erschien mir nicht zufrieden stellend. Ich werde eine neue aufsetzen. Außerdem ist es vollkommen ausgeschlossen, einen Staatsverbrecher zu begnadigen. Ich weiß, einige Ihrer Berater sind in ihrem Denken tatsächlich so weit entsittlicht, dass sie die Todesstrafe gleich ganz abschaffen wollen, aber ich bin Russe, und ich lebe unter Russen, ich weiß, wie das Volk fühlt und was es erwartet. Verschließen Sie Ihr Herz vor den Stimmen der Schmeichler und Träumer.«

Man musste in diesem Augenblick Vater Usserdows Gesicht sehen: Zittern und Zagen standen darin und das Bewusstsein, am Mysterium der allerhöchsten Macht teilzuhaben.

Der Sekretär des Bischofs war ein Mensch ohne Fehl und Tadel, in puncto Genauigkeit und Zuverlässigkeit sogar perfekt, aber Mitrofani wurde nicht wirklich warm mit ihm. Es war offensichtlich, dass der Bischof gerade aus diesem Grunde Vater Serafim besonders zuvorkommend behandelte, um durch Freundlichkeit die schwere Sünde der grundlosen Gereiztheit zu überwinden. Trotzdem kam es dann und wann vor, dass er ihm gegenüber die Beherrschung verlor, und einmal hatte er gar in einem Aufwallen von Jähzorn sein Kamilavkion nach dem armen Usserdow geworfen. Allerdings hatte er sich danach sofort entschuldigt. Dem braven Sekretär war der Schreck in die Glieder gefahren, und es dauerte geraume Zeit, bis er endlich die vergebenden Worte über die Lippen brachte. »Ich verzeihe Ihnen, und Sie verzeihen mir«, hatte er gestammelt, woraufhin der Friede wiederhergestellt war. Pelagia, die einen regen Verstand besaß, hatte einmal Mitrofani gegenüber in Anspielung auf Vater Serafim den ketzerischen Gedanken geäußert, dass es auf Erden neben den lebendigen, echten Menschen auch eine Art »Wechselbälger« gebe, die lediglich versuchten, wie Menschen zu sein. Als wären sie aus einer anderen Welt zu uns gekommen – oder sogar von einem anderen Planeten –, um uns auszuspähen. Manchen dieser »Wechselbälger« gelinge die Verstellung außerordentlich gut, sodass man sie von wirklichen Menschen kaum unterscheiden könne; andere wiederum seien darin weniger geschickt, denen sehe man es sofort an. Und Vater Usserdow sei eben eines dieser unseligen Exemplare. Schaute man unter seiner Haut nach, fände man dort sicherlich lauter Schrauben und Zahnräder.

Natürlich hatte Seine Eminenz sie wegen ihrer »Theorien« gescholten, aber im Grunde hatte er sich längst daran gewöhnt, dass Pelagia immer wieder von solchen überkandidelten Einfällen heimgesucht wurde. Er schimpfte nur noch der Ordnung halber.

Mitrofani wusste, dass es Vater Serafims großer Traum war, einmal ein hohes Kirchenamt zu bekleiden. Na und? Er war klug, tugendhaft und besaß ein präsentables Äußeres. Haar-und Barttracht hegte und pflegte er aufs Reinlichste, salbte sie täglich mit wohlriechenden Essenzen und polierte sich die Fingernägel mit einer kleinen Bürste. Seine Kutte war aus feinstem Tuch, desgleichen das Untergewand.

Eigentlich gab es an alldem nichts auszusetzen, hatte doch Mitrofani selbst den Klerus zu vorzüglichster Sauberkeit aufgerufen. Trotzdem ging ihm sein Assistent auf die Nerven. Vor allem auf dieser Reise, da die himmlischen Sphären Blitz und Donner auf Seine Eminenz niedergehen ließen. Er konnte einfach nicht frei und offen mit seiner geistlichen Tochter reden und aussprechen, was ihm auf dem Herzen lag, weil immer dieses sechsflüglige Wesen dabeisaß und mit einem winzigen Kämmlein seinen Schnurrbart striegelte. Die ganze Zeit kriegte er den Mund nicht auf, und dann platzte er im unpassendsten Moment dazwischen und vermasselte das ganze Gespräch. So wie jetzt.

Auf Usserdows Aufruf zum Gehorsam entgegnete Pelagia hastig:

»Von mir aus, ich habe nichts dagegen. Ich lege hier und jetzt einen heiligen Eid darauf ab, dass ich niemals mehr meine Nase in irgendeine polizeiliche Untersuchung stecken werde, und wenn es um das allergeheimste Geheimnis geht. Von heute an wird mir das piepegal sein.«

Mitrofani warf einen Seitenblick auf den Sekretär, sagte aber nichts.

»Komm, Pelagia, lass uns ein wenig auf Deck spazieren gehen, die morschen Knochen bewegen . . . Nein, nein, Serafim, du bleib hier. Mach inzwischen die Unterlagen für das Konsistorium fertig, wenn ich zurückkomme, gehe ich sie durch.«

Und mit einem Gefühl der Erleichterung verließen die beiden die Kabine und ließen Usserdow in trauter Zweisamkeit mit seiner Aktenmappe zurück.

Von allem Getier je zwei

Sie wählten nicht das Zwischendeck für ihren Spaziergang, weil es dort wegen des Nebels ohnehin nichts zu sehen gab, weder Fluss noch Himmel, ja nicht einmal das Deck selber, sondern stiegen zum Oberdeck hinauf, wo die Passagiere der billigsten Klasse in kleinen Grüppchen beieinander saßen.

Mitrofani beobachtete das bunte Treiben durch den trüben Dunst hindurch und sagte mit gesenkter Stimme: »Von allen reinen und unreinen Tieren, von den Vögeln und von allem am Boden kriechenden Getier je zwei, ein Männchen und ein Weibchen . . .«

Er segnete die bäuerlichen Pilger und überließ ihnen seine Hand. Die Übrigen, die Russland für immer den Rücken kehrten und den Segen eines orthodoxen Seelenhirten nicht nötig hatten, streifte er nur mit einem traurigen Blick.

Leise sagte er zu seiner Begleiterin:

»Da mag einer noch so klug sein und seiner Heimat nur das Beste wünschen, aber wenn seine Seele verwirrt ist, richtet er den größten Schaden an.«

Er nannte keinen Namen, aber es war ohnedies klar, auf wen er sich bezog – die Rede war von Konstantin Petrowitsch.

»Sieh sie dir an, die Früchte seines Kampfes für das Gute«, fuhr der Bischof mit Bitterkeit in der Stimme fort, während er an den Sektierern und Andersgläubigen vorbeiging. »Jeder, der anders ist als die Mehrheit, – fort mit ihm, hinaus aus dem Staatswesen. Man braucht sie nicht einmal gewaltsam zu verjagen, sie gehen ja von selbst, vertrieben von staatlicher Drangsalierung und Feindseligkeit. Das Land, redet er sich ein, würde dadurch in sich einig und geschlossen. Das mag ja so sein, aber es verliert auch seine Farben, es wird langweiliger und ärmer. Unser Prokuror ist fest davon überzeugt, er allein wisse, wie Russland zu gestalten und zu retten sei. Aber so ist es heutzutage, die Propheten sind sehr in Mode, von allen Seiten kommen sie angekrochen. Manche von ihnen sind ja ganz drollig, wie zum Beispiel unser Kabinennachbar Manuila. Andere sind ernst zu nehmende Persönlichkeiten, wie Graf Tolstoi oder Karl Marx. Auch Konstantin Petrowitsch hält sich für einen Messias, nur eben auf regionaler Ebene, ähnlich wie zu Zeiten des Alten Testaments, als die Propheten nicht der ganzen Menschheit gesandt wurden, sondern nur einem einzigen Volk . . .«

Die freudlose Klage des Bischofs wurde durch das Erscheinen einer sehr ehrbar wirkenden Familie unterbrochen, die wie sie zum Oberdeck heraufgestiegen war, um sich dort zu ergehen: ein stämmig gebauter Herr, eine Dame mit Strickzeug und ihre beiden halbwüchsigen Kinder – ein anmutiger Knabe und ein hübsches blondes Fräulein.

Der Knabe zog die Schirmmütze und beugte den Kopf, um den Segen des Bischofs zu erbitten.

»Wie heißen Sie, junger Mann?«, fragte Mitrofani den liebreizenden Burschen und schlug das Kreuzzeichen über der ganzen Familie.