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»Die Befürchtung ist vernünftig und durchaus wahrscheinlich, andere Gründe sind kaum denkbar«, entgegnete die Nonne, fügte jedoch hinzu: »Aber man müsste sich schon an Ort und Stelle umsehen. Vielleicht findet sich ja noch ein anderer Grund. Hat Eure Tante denn ein großes Vermögen?«

»Ja. Das Gut ist ansehnlich und in mustergültiger Ordnung. Wälder, Wiesen, Mühlen, Flachs, Hafer, alles erstklassig. Dazu noch Kapital, Wertpapiere auf der Bank. Es würde mich nicht wundern, wenn alles zusammen auf eine Million hinausläuft.«

»Und kennt Ihr denn die Erben, Vater? Es bedarf schon großer Niedertracht, um so etwas zu tun. Direkter Mord wäre kaum eine schwerere Sünde.«

»Du urteilst von der göttlichen Position her, und du tust recht daran. Aber die menschlichen Gesetze sind von den göttlichen weit entfernt. Bei direktem Mord ermittelt die Polizei, wer es war und warum er es getan hat. Dafür setzt es Zwangsarbeit. Hunde vergiften aber, das ist im menschlichen Sinne eine lässliche Sünde und im juristischen Sinne gar keine, obwohl die alte Frau mit dieser Methode noch sicherer umzubringen ist als mit Messer oder Kugel.«

Pelagia warf die Hände hoch, so dass ihr Strickzeug zu Boden flog.

»Eine große Sünde ist es im menschlichen Sinne, eine sehr große! Selbst wenn Eure Marja Afanassjewna eine Ausgeburt der Hölle wäre und ein von ihr Gekränkter Rache nehmen wollte! Was können die unschuldigen Kreaturen dafür? Der Hund ist ein zutrauliches, anhängliches Wesen, und Gott der Herr hat ihn mit Treue und der Gabe der Liebe so reichlich ausgestattet, dass die Menschen davon lernen könnten. Ich finde, Vater, einen Hund zu töten ist noch schlimmer als einen Menschen.«

»Na, das lass mal, das ist ja gottlos!«, herrschte Mitrofani sie an. »So etwas will ich nie wieder hören! Eine lebendige Seele mit einem sprachlosen Tier zu vergleichen!«

»Mögen sie auch sprachlos sein!« Die eigensinnige Nonne gab nicht klein bei. »Habt Ihr mal einem Hund in die Augen gesehen? Wenigstens Shuk, Eurem Kettenhund am Tor? Tut es mal. Shuks Augen sind beseelter und lebendiger als die trüben Lichter von Eurem hochgeschätzten Usserdow!«

Der Bischof öffnete schon den Mund, um seinem gerechten Zorn freien Lauf zu lassen, aber er hielt sich zurück. In letzter Zeit führte er einen Kampf mit der Sünde des Herzenszorns, und manchmal gewann er.

»Ich habe nicht die Zeit, Hofhunden in die Augen zu gucken«, sagte er mürrisch, doch würdevoll. »Und Usserdow lass aus dem Spiel, er ist genau und zuverlässig, und dass man zu seiner Seele schwer Zugang findet, liegt an seinem Charakter. Ich will mit dir nicht streiten, schon gar nicht über Offenkundiges. Sage mir das eine: Erfüllst du mir meine Bitte?«

Die Nonne verneigte sich. »Ja, Vater.«

»Dann erlege ich dir diese Kirchenbuße auf: Gehe nach Drosdowka. Heute noch. Überbringe Marja Afanassjewna meinen Segen und den Brief, den ich dir geben werde. Beruhige die alte Frau. Und vor allem – finde heraus, was dort vorgeht. Wenn du einen bösen Plan erkennst, durchkreuze ihn. Wie, das wirst du selber wissen. Und bleibe dort, bis du Klarheit hast.«

Pelagia fuhr zusammen. »Vater, ich muss am Sonnabend unterrichten.«

»Zum Unterricht kommst du her, danach zurück nach Drosdowka. Genug, gehe jetzt. Aber lasse dich erst noch segnen.«

Bevor Schwester Pelagia sich auf das Gut der Generalswitwe Tatistschewa begibt, sind ein paar geographische Erläuterungen vonnöten, ohne die ein Mensch, der noch nie in Sawolshsk war, Mühe hätte, all das, was weiterhin geschieht, zu glauben oder auch nur zu begreifen.

Die wichtigste handelnde Person in dieser Geschichte ist der Fluss, der größte und ruhmreichste Fluss nicht nur in Russland, sondern auch in ganz Europa. Die Gouvernementhauptstadt ist am linken Ufer, dem Steilufer, errichtet worden. Hier wird die Strömung des Wassers auf beiden Seiten von Felsen eingeengt, dadurch verliert der für seine Erhabenheit berühmte Strom zeitweise seine Gutmütigkeit, wechselt von zerstreuter Gemächlichkeit zu raschen Lauf, bringt Gischtwellen und dunkle Strudel hervor und berennt und unterhöhlt wie seit Jahrhunderten das Sawolshker Steilufer mit tückischen Angriffen. Etwa fünf Werst stromab wird der linke Uferhang nach und nach flacher und sandiger, der Fluss wird freier und fließt, nach dem erzwungenen Sturmlauf verpustend, fast eine Werst breit dahin. Allein, die Atempause ist nur kurz – genau da, wo Drosdowka liegt, bäumt sich das trotzige Ufer wieder jäh auf; das Gutshaus mit dem Garten liegt hoch über dem Wasser, und der Blick, der sich von dort auftut, gilt zu Recht als der schönste im ganzen Kreis.

Der Weg, den Schwester Pelagia zu gehen hatte, lag also in südlicher Richtung, durch das Kasaner Tor auf die Astrachaner Landstraße, die sich am Fluss entlang zieht, allen seinen launischen Krümmungen folgt und sich nie weiter als fünf Werst von ihm entfernt.

Bevor Pelagia ihr Kämmerchen im bischöflichen Kloster, Zelle genannt, verließ, schlug sie nach alter abergläubischer Gewohnheit das Evangelium auf und stieß mit dem Finger auf die erstbeste Zeile. Ihr Auftrag war diesmal nicht erschreckend, man konnte sogar sagen, er war nichtig, doch die Nonne hatte nun mal diese Gewohnheit] Aber die Zeile war sichtlich kein Zufall, denn sie enthielt eine Einflüsterung oder Warnung: »Hütet euch vor den Hunden und hütet euch vor den bösen Menschen.«

Es war wohl doch eine Warnung, denn als sie die Stadt verließ und schon den Schlagbaum hinter sich hatte, gab es ein böses Vorzeichen. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass niemand in der Nähe war, holte sie aus der Gürteltasche, in der sie ihr Strickzeug verwahrte, ein Spiegelchen hervor und betrachtete darin ihre Nase, ob die Löwenzahnmilch die frechen Sommersprossen schon gebleicht hätte. Da raschelte es in den Büschen am Straßenrand, und heraus kamen zwei Weiber. Schwester Pelagia wollte die Hand hinterm Rücken verstecken, machte es aber so ungeschickt, dass ihr das Spiegelchen herunterfiel. Sie hob es auf – o weh, das Glas hatte zwei Sprünge über Kreuz, und jeder weiß, was für ein Zeichen das ist. Es verheißt nichts Gutes.

Pelagia nahm böse Vorzeichen trotz der Klostervorschriften sehr ernst, nicht aus Unwissenheit, nein, sie hatte sich viele Male überzeugen können, dass die Leute nicht von ungefähr seit Jahrhunderten an ihnen festhielten. Wie es in solchen Fällen üblich war, nahm sie eine Hand voll Erde auf, warf sie über die linke Schulter, schlug das Kreuzeszeichen (was sie nie ohne Grund tat), sprach ein Gebet an die Heilige Dreifaltigkeit und wanderte weiter.

An Beängstigendes mochte sie nicht denken, vor ihr lag ein wenn auch kleines, so doch interessantes Abenteuer, und ihre Stimmung, vorübergehend getrübt durch den Verlust des Spiegels, besserte sich rasch, zumal in dieser zauberhaften Sommerzeit, in der die Sonne der Luft einen goldenen Honigschimmer verleiht, der Himmel hoch und die Erde weit und alles ringsum prallvoll ist von reichem Leben und sanfter Mattigkeit. Aber wozu soll man das beschreiben, auch so weiß ja jeder, wie ein sonniger Augusttag aussieht, wenn es kurz nach Mittag ist.

Schon zu Beginn hatte Pelagia Glück – ein altes Bäuerlein nahm sie auf seinem Fuhrwerk mit. Die Wege in unserm Gouvernement sind neu und eben, man fährt, als glitte man über Eis, und Pelagia gelangte auf dem weichen Heu bequem bis zur Abzweigung nach Drosdowka.

An der Gabelung gab es noch ein Vorzeichen, eines, das sich schlimmer nicht denken lässt. Nachdem Pelagia abgestiegen war und das Bäuerlein gesegnet hatte, sah sie etwas abseits etliche Leute, die schweigend ein Fuhrwerk um standen. Aus angeborener Neugier konnte die Schwester daran nicht Vorbeigehen, also trat sie näher, um zu sehen was sich da zugetragen hatte. Sie drängte sich durch die Bauern und Pilger und spähte mit schmalen Augen durch die Brille: ein gewöhnlicher Vorfall auf einer Landstraße – eine Achse war gebrochen. Aber bei dem schief liegenden Fuhrwerk stand aus irgendwelchen Gründen der Kreispolizeichef, und zwei Polizisten versuchten ächzend, das Rad auf ein frisch gefälltes und notdürftig geglättetes Eichenstämmchen zu schieben. Den Polizeichef kannte Pelagia, es war Hauptmann Neruschailo aus dem benachbarten Kreis Tschernojar. In dem Fuhrwerk lag etwas Längliches, mit einer Persenning zugedeckt.