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Die Pferde wussten, was sie zu tun hatten. Wir jagten so schnell über die Rennstrecke, dass ich aus dem Wagen gefallen wäre, wenn ich mir nicht die Lederzügel um die Arme gewickelt hätte. Annabeth klammerte sich am Wagenrand fest. Die Räder glitten wunderbar dahin. Wir gingen eine volle Wagenlänge vor Clarisse in die Kurve, denn sie war damit beschäftigt, einen Wurfspeerangriff der Gebrüder Steel im Hermes-Wagen abzuwehren.

»Wir haben sie!«, schrie ich, aber da hatte ich mich zu früh gefreut.

»Endspurt«, schrie Annabeth. Sie warf den ersten Wurfspeer über Bord und befreite uns dadurch von einem mit Blei beschwerten Netz, das uns nun nicht mehr einwickeln konnte. Der Apollo-Wagen hatte uns fast eingeholt. Ehe Annabeth sich wieder bewaffnen konnte, warf der Apollo-Kämpfer einen Speer auf unser rechtes Rad. Der Speer zerbrach, konnte aber einige von unseren Speichen zerschmettern. Unser Wagen schlingerte und wackelte. Ich war sicher, dass das Rad abbrechen würde, aber irgendwie rasten wir weiter.

Ich drängte die Pferde, das Tempo zu halten. Wir lagen jetzt Kopf an Kopf mit Apollo und dicht hinter uns holte Hephaistos auf. Ares und Hermes fielen zurück, sie fuhren Seite an Seite weiter, während Clarisse und Connor Steel mit Wurfspeeren kämpften.

Wenn unser Rad noch einmal getroffen wurde, würden wir umkippen.

»Ich hab euch«, schrie der Apollo-Kämpfer. Er war das erste Jahr im Camp. Ich konnte mich an seinen Namen nicht erinnern, aber an seinem Selbstvertrauen gab es nichts auszusetzen.

»Ja, genau«, schrie Annabeth zurück.

Sie griff zu ihrem zweiten Wurfspeer – ein echtes Risiko, denn vor uns lag ja noch eine Runde – und warf ihn nach dem Apollo-Fahrer.

Sie hatte perfekt gezielt. Der Speer fuhr eine schwere Spitze aus, als er den Fahrer an der Brust traf, warf ihn gegen seinen Kollegen und ließ beide mit einer Rolle rückwärts aus dem Wagen fallen. Die Pferde spürten, dass die Zügel locker hingen, sie gingen durch und hielten direkt auf das Publikum zu. Die Campbewohner gingen in Deckung, als die Pferde die Tribünen erreichten und der goldene Wagen umkippte. Die Pferde galoppierten weiter zu ihrem Stall und schleppten dabei den umgekippten Wagen hinter sich her.

Es gelang mir, unseren Wagen auf Kurs zu halten, obwohl das rechte Rad laut stöhnte. Wir passierten die Startlinie und donnerten in die letzte Runde.

Die Achse ächzte und quietschte. Das wackelnde Rad machte uns langsamer, obwohl die Pferde jedem meiner Befehle gehorchten und liefen wie eine gut geölte Maschine.

Das Hephaistos-Team holte noch immer auf.

Beckendorf grinste, als er auf einen Knopf in seinem Armaturenbrett drückte. Stahlkabel schossen vorn aus seinen mechanischen Pferden und wickelten sich um unser Heck. Unser Wagen schlingerte, als Beckendorfs Zugsystem loslegte – es riss uns rückwärts und zog Beckendorf vorwärts.

Annabeth fluchte und griff nach ihrem Messer. Sie hackte auf die Kabel ein, aber die waren zu dick.

»Kann ich nicht kappen«, schrie sie.

Der Hephaistos-Wagen war jetzt gefährlich nahe gekommen, seine Pferde konnten uns jeden Moment in Grund und Boden trampeln.

»Tausch mit mir«, sagte ich zu Annabeth. »Nimm die Zügel!«

»Aber ich …«

»Mach schon!«

Sie zog sich nach vorn und packte die Zügel. Ich wandte mich um, gab mir alle Mühe, auf den Beinen zu bleiben, und drehte die Kappe von Springflut.

Ich schlug zu und die Kabel rissen wie Bindfäden. Wir schossen vorwärts, aber Beckendorfs Fahrer ließ seinen Wagen einfach nach links schwenken und lag plötzlich neben uns. Beckendorf zog sein Schwert. Er schlug nach Annabeth, ich wehrte seinen Schlag ab.

Wir näherten uns der letzten Kurve. Wir würden es nicht mehr schaffen. Ich hätte den Hephaistos-Wagen unschädlich machen und aus dem Weg räumen müssen, aber ich musste auch Annabeth beschützen. Dass Beckendorf ein netter Typ war, hieß nicht, dass er uns nicht in die Krankenstation schicken würde, wenn wir nicht aufpassten.

Wir lagen jetzt Kopf an Kopf. Clarisse holte ebenfalls auf und machte verlorene Zeit gut.

»Bis dann, Percy«, rief Beckendorf. »Hier ist ein kleines Abschiedsgeschenk!«

Er warf einen Lederbeutel in unseren Wagen. Der Beutel klebte sofort am Boden fest und ließ grünen Rauch aufsteigen.

»Griechisches Feuer!«, schrie Annabeth.

Ich fluchte. Ich hatte schlimme Geschichten über griechisches Feuer gehört. Ich rechnete mir aus, dass uns vielleicht noch zehn Sekunden bis zur Explosion blieben.

»Weg damit«, schrie Annabeth, aber ich wusste nicht, wie. Der Hephaistos-Wagen blieb neben uns und wartete bis zur letzten Sekunde, um sichergehen zu können, dass das kleine Geschenk auch wirklich in die Luft ging. Beckendorf hielt mich mit seinem Schwert in Atem. Wenn ich meins zu lange am Boden ließ, um mich mit dem griechischen Feuer zu beschäftigen, würde er Annabeth in Scheiben schneiden und wir würden in Stücke gerissen.

Ich versuchte, den Lederbeutel mit dem Fuß wegzutreten, aber das ging nicht. Er klebte ja fest.

Dann fiel mir die Uhr ein.

Ich wusste nicht, wieso das helfen sollte, aber ich drückte auf den Stoppknopf. Sofort veränderte die Uhr sich. Sie dehnte sich aus, der Metallrand zog sich auseinander wie eine altmodische Kamera, ein Lederriemen wand sich um meinen Unterarm, und dann hielt ich einen runden Kriegsschild von über einem Meter Durchmesser in der Hand. Innen bestand er aus weichem Leder, außen aus polierter Bronze mit eingravierten Mustern, die ich mir in der Eile nicht genauer ansehen konnte.

Ich wusste nur: Tyson hatte es geschafft. Ich hob den Schild und Beckendorfs Schwert knallte dagegen. Die Klinge zerbrach.

»Was?«, schrie er. »Wie …«

Er konnte nicht mehr sagen, denn ich stieß ihm meinen neuen Schild vor die Brust und er fiel vom Wagen und in den Dreck.

Ich wollte schon mit Springflut auf den Fahrer einschlagen, als Annabeth rief: »Percy!«

Das griechische Feuer sprühte Funken. Ich schob die Schwertspitze unter den Lederbeutel und wuppte ihn damit hoch. Die Bombe beschrieb einen Bogen und landete zu Füßen des Fahrers im Hephaistos-Wagen. Der Fahrer schrie auf.

In dem Bruchteil einer Sekunde, der ihm blieb, traf er die richtige Entscheidung. Er ließ sich aus dem Wagen fallen und der jagte davon und zerbarst in grüne Flammen. Die Metallpferde schienen einen Kurzschluss zu haben. Sie wendeten und zerrten das brennende Wrack auf Clarisse und die Gebrüder Steel zu, die in großem Bogen ausweichen mussten.

Annabeth zog vor der letzten Kurve die Zügel an. Ich klammerte mich fest und war sicher, dass wir umkippen würden, aber irgendwie schaffte sie es und trieb die Pferde über die Ziellinie. Die Menge brüllte vor Begeisterung.

Als der Wagen zum Halten gekommen war, stürzten unsere Freunde zu uns. Sie fingen an, unsere Namen zu singen, aber Annabeth brüllte durch den ganzen Lärm: »Stopp! Hört doch zu. Wir waren das nicht allein!«

Die Menge johlte weiter, aber Annabeth verschaffte sich Gehör: »Wir hätten das nicht ohne Hilfe geschafft. Dann hätten wir dieses Rennen nicht gewonnen und das Vlies nicht geholt und Grover nicht gerettet. Wir verdanken unser Leben Tyson, Percys …«

»Bruder«, sagte ich laut genug, damit alle es hören konnten. »Meinem kleinen Bruder Tyson.«

Tyson lief rot an. Die Menge jubelte. Annabeth pflanzte mir einen Kuss auf die Wange. Das Gebrüll wurde noch lauter. Die Leute aus der Athene-Hütte hoben mich und Annabeth und Tyson auf die Schultern und trugen uns zum Siegertreppchen, wo Chiron schon mit den Lorbeerkränzen wartete.

Das Vlies ist viel zu magisch

Dieser Nachmittag war einer der glücklichsten, die ich bisher im Camp verbracht hatte, und vielleicht zeigt gerade das, dass wir nie wissen können, wann unsere Welt in Stücke gesprengt werden wird.

Grover verkündete, dass er den Rest des Sommers bei uns verbringen dürfte, ehe er seine Suche nach Pan wieder aufnahm. Seine Chefs im Rat der behuften Älteren waren so beeindruckt davon, dass er nicht umgebracht worden war und zudem für zukünftige Suchende den Weg frei gemacht hatte, dass sie ihm einen zweimonatigen Urlaub und einen neuen Satz Rohrflöten zugeteilt hatten. Die einzige schlechte Nachricht: Grover bestand darauf, den ganzen Nachmittag auf diesen Flöten herumzublasen, und seine musikalischen Fähigkeiten hatten sich nicht gerade verbessert. Er spielte »YMCA« und die Erdbeerpflanzen drehten durch und wickelten sich um unsere Füße, als ob sie uns erwürgen wollten. Und eigentlich konnte ich ihnen da keinen Vorwurf machen.