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Dafür, dass er so riesig war, bewegte der Stier sich mit tödlicher Schnelligkeit. Seine Metallhaut glitzerte in der Sonne. Er hatte faustgroße Rubine als Augen und Hörner aus poliertem Silber. Als er sein Maul aufklappte, fuhr eine weiß glühende Flamme heraus.

»Die Phalanx halten!«, befahl Clarisse ihren Kriegern.

Was immer man sonst über sie sagen konnte, tapfer war sie. Sie war groß und hatte die grausamen Augen ihres Vaters Ares. Sie sah aus, als sei sie dazu geboren, eine griechische Schlachtenrüstung zu tragen, aber ich konnte mir nicht einmal bei ihr vorstellen, dass sie dem Angriff des Stiers trotzen würde.

Leider verlor der zweite Stier in diesem Moment das Interesse an der Suche nach Annabeth. Er fuhr herum und jagte von hinten auf Clarisse zu.

»Hinter dir!«, schrie ich. »Pass auf!«

Das hätte ich nicht tun dürfen, denn nun war sie verwirrt. Stier Nr. 1 knallte gegen ihren Schild und damit war die Phalanx gebrochen. Clarisse flog rückwärts und landete auf einer schwelenden Grassode. Stier Nr. 2 dröhnte an ihr vorbei, nicht ohne jedoch die anderen Kämpfer mit seinem Feueratem anzuhauchen. Ihre Schilde schmolzen ihnen von den Armen. Sie ließen ihre Waffen fallen und nahmen die Beine in die Hand, als Stier Nr. 2 sich auf Clarisse stürzte, um ihr den Rest zu geben.

Ich raste los und packte Clarisse an den Lederbändern ihrer Rüstung, zog sie weg und Stier Nr. 2 raste vorbei wie ein Güterzug. Ich schwenkte Springflut und hieb ihm eine große Wunde in die Flanke, aber das Ungeheuer ächzte nur und lief weiter.

Es berührte mich nicht, aber ich spürte die Hitze seiner Metallhaut. Seine Körpertemperatur hätte einen gefrorenen Burrito gar werden lassen.

»Lass mich los!« Clarisse schlug mir auf die Hand. »Percy, du Idiot!«

Ich ließ sie neben der Fichte auf den Boden fallen und drehte mich zu den Stieren um. Wir standen jetzt auf der anderen Seite des Hügels, unter uns lag das Tal von Half-Blood Hill – die Hütten, die Trainingsgelände, das Hauptgebäude – und all das wäre in Gefahr, wenn die Stiere durchkämen.

Annabeth brüllte den anderen Halbbluten Befehle zu, sie sollten sich zerstreuen und die Stiere ablenken.

Stier Nr. 1 lief einen weiten Bogen und kam dann wieder auf mich zu. Mitten auf dem Hügel, wo die unsichtbare Grenze ihn eigentlich hätte aufhalten müssen, wurde er ein wenig langsamer und schien gegen einen starken Wind zu kämpfen, dann brach er durch und rannte weiter. Stier Nr. 2 drehte sich zu mir um, Feuer sprühte aus der Wunde, die ich ihm in die Flanke geschlagen hatte. Ich wusste nicht, ob er Schmerz verspürte, aber seine Rubinaugen starrten mich an, als ob ich ihm einen Grund für eine persönliche Racheaktion geliefert hätte.

Ich konnte nicht gegen zwei Stiere auf einmal kämpfen.

Ich würde Stier Nr. 2 erledigen und ihm den Kopf abhacken müssen, ehe Stier Nr. 1 uns erreicht hätte. Meine Arme waren schon müde. Mir wurde klar, wie lange ich nicht mehr mit Springflut gekämpft hatte und wie sehr ich aus der Übung gekommen war.

Ich holte aus, aber Stier Nr. 2 blies mir Flammen entgegen. Ich wich zurück, als die Luft sich in pure Hitze verwandelte. Aller Sauerstoff wurde aus meiner Lunge herausgesaugt. Mein Fuß stieß gegen etwas – eine Baumwurzel vielleicht – und ein stechender Schmerz jagte durch meinen Knöchel. Aber ich konnte trotzdem einen Teil der Schnauze des Ungeheuers aufschlitzen. Es galoppierte davon, wütend und desorientiert, aber ich hatte keine Zeit, mich darüber zu freuen, denn als ich versuchte, mich auf das linke Bein zu stellen, gab es unter mir nach. Ich hatte mir den Knöchel verstaucht oder vielleicht sogar gebrochen.

Stier Nr. 1 kam geradewegs auf mich zu. Ich konnte ihm nicht mal aus dem Weg kriechen.

Annabeth brüllte: »Tyson, hilf ihm!«

Irgendwo in meiner Nähe, dicht am Kamm des Hügels, heulte Tyson: »Komm – nicht – durch!«

»Ich, Annabeth Chase, erlaube dir, das Camp zu betreten!«

Donner ließ den Boden beben. Und dann war Tyson plötzlich da, schoss auf mich zu und schrie: »Percy braucht Hilfe!«

Ehe ich nein sagen konnte, sprang er zwischen mich und den Stier, der gerade einen tödlichen Feuersturm losließ.

»Tyson!«, schrie ich.

Das Feuer umwirbelte ihn wie ein roter Tornado. Ich konnte nur die schwarze Silhouette seines Körpers sehen und wusste mit entsetzlicher Gewissheit, dass mein Freund soeben zum größten Brikett der Welt geworden war.

Aber als das Feuer sich legte, stand Tyson immer noch da, gänzlich unversehrt. Nicht einmal seine zerrissenen Klamotten waren versengt. Der Stier war offenbar ebenso überrascht wie ich, denn ehe er eine zweite Feuerwolke loslassen konnte, ballte Tyson die Fäuste und rammte sie dem Stier ins Gesicht. »Blöde Kuh!«

Seine Fäuste hinterließen einen Krater an der Stelle, wo vorher die Schnauze des Stiers gesessen hatte. Zwei kleine Feuersäulen schossen aus seinen Augen. Tyson schlug noch einmal zu und die Bronze zerbröselte unter seinen Händen wie Alufolie. Das Stiergesicht sah jetzt aus wie eine umgestülpte Stoffpuppe.

»Runter!«, brüllte Tyson.

Der Stier taumelte und fiel auf den Rücken. Seine Beine bewegten sich hilflos in der Luft, Dampf quoll an den seltsamsten Stellen aus seinem zerbrochenen Kopf.

Annabeth kam angerannt, um nach mir zu sehen.

Mein Knöchel fühlte sich an wie mit Säure gefüllt, aber sie gab mir einen Schluck Olympischen Nektar aus ihrer Feldflasche und sofort ging es mir besser. Ich nahm Brandgeruch wahr und erfuhr später, dass der von mir stammte. Meine Augenbrauen und die Haare auf meinen Armen waren restlos abgesengt worden.

»Der andere Stier?«, fragte ich.

Annabeth zeigte den Hügel hinunter.

Clarisse kümmerte sich um die blöde Kuh Nr. 2. Sie durchbohrte ein Hinterbein mit einem himmlischen Bronzespeer. Der Stier, dem die halbe Schnauze fehlte und der eine riesige Wunde in der Flanke hatte, versuchte wie in Zeitlupe zu rennen und drehte Kreise wie ein Karussellpferd.

Clarisse zog sich den Helm vom Kopf und kam auf uns zumarschiert. Einige Strähnen ihres braunen Haares schwelten, aber sie schien das nicht zu bemerken.

»Du – machst – alles – kaputt!«, schrie sie mich an. »Ich hatte die Lage unter Kontrolle!«

Ich war zu verblüfft, um zu antworten.

Annabeth grummelte: »Ja, ich find’s auch nett, dich zu sehen, Clarisse.«

»Argh!«, schrie Clarisse. »Versucht nie, nie wieder, mich zu retten!«

»Clarisse«, sagte Annabeth, »hier liegen lauter Verwundete.«

Das brachte sie zur Besinnung. Selbst Clarisse fühlte sich für die Soldaten unter ihrem Kommando verantwortlich. »Ich komm gleich wieder«, knurrte sie, dann wanderte sie los, um sich ein Bild von der Verwüstung zu machen.

Ich starrte Tyson an. »Du bist nicht tot.«

Tyson starrte zu Boden und schien verlegen zu sein. »Tut mir leid. Wollte helfen. Hab dir nicht gehorcht.«

»Meine Schuld«, sagte Annabeth. »Ich hatte keine Wahl. Ich musste ihn die Grenze überqueren lassen, damit er dich retten konnte. Sonst wärst du verloren gewesen.«

»Ihn die Grenze überqueren lassen?«, fragte ich. »Aber …«

»Percy«, sagte sie. »Hast du dir Tyson jemals aus der Nähe angesehen? Ich meine … sein Gesicht. Achte nicht auf den Nebel und sieh ihn dir richtig an.«

Der Nebel … der die Sterblichen nur das sehen ließ, was ihr Gehirn verarbeiten konnte. Ich wusste, dass er auch Demigottheiten in die Irre führen konnte, aber …

Ich schaute Tyson ins Gesicht. Das war nicht leicht. Es war mir immer schon schwergefallen, nur hatte ich nie ganz verstanden, warum. Ich dachte, es läge daran, dass seine krummen Zähne immer mit Erdnussbutter verschmiert waren.

Ich zwang mich dazu, mich auf seine große klumpige Nase zu konzentrieren, dann ein wenig höher auf seine Augen …

Nein, nicht seine Augen.

Ein Auge. Ein großes kalbbraunes Auge mitten auf seiner Stirn, mit langen Wimpern und voller dicker Tränen, die auf beiden Seiten über seine Wangen kullerten.