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Auf meiner linken Seite hörte ich einen lauten Knall. Sechs Holzkästen so groß wie Picknicktische waren in der Nähe aufgestapelt worden und wackelten gefährlich. Mrs O’Leary legte den Kopf schief und sprang auf sie zu.

»Ruhig, mein Mädchen«, sagte Quintus. »Die sind nicht für dich.« Er lenkte sie mit dem Frisbeeschild ab.

Die Kästen wackelten und bebten. Sie waren auf den Seiten beschriftet, aber ich als Legastheniker brauchte einige Minuten, um das zu entziffern.

DREIMAL-G-RANCH

ZERBRECHLICH

DIESE SEITE NACH OBEN

Am unteren Rand stand in kleineren Buchstaben: VORSICHTIG ÖFFNEN. DIE DREIMAL-G-RANCH ÜBERNIMMT KEINE HAFTUNG FÜR SACHBESCHÄDIGUNG, VERSTÜMMELUNG ODER ENTSETZLICH SCHMERZHAFTEN TOD.

»Was ist in den Kisten?«, fragte ich.

»Eine kleine Überraschung«, sagte Quintus. »Trainingshilfen für morgen Abend. Du wirst begeistert sein.«

»Okay«, sagte ich, obwohl ich nicht so sicher war, was den »entsetzlich schmerzhaften Tod« anging.

Quintus warf den Schild und Mrs O’Leary jagte hinterher. »Ihr jungen Leute braucht mehr Herausforderungen. Als ich ein Junge war, gab es solche Camps nicht.«

»Sie – Sie sind ein Halbblut?« Ich wollte nicht so überrascht klingen, aber ich hatte noch niemals einen alten Halbgott gesehen.

Quintus schmunzelte. »Einige von uns schaffen es eben doch, bis zum Erwachsenenalter zu überleben. Wir sind ja nicht alle von schrecklichen Weissagungen betroffen.«

»Sie wissen von der Weissagung?«

»Ich hab so einiges gehört.«

Ich wollte schon fragen, was »so einiges« bedeuten sollte, aber in diesem Moment kam Chiron in die Arena geklappert. »Percy, da bist du ja!«

Er kam offenbar gerade vom Bogenschießunterricht. Über sein Zentaur Nummer 1-T-Shirt hatte er Köcher und Bogen gestreift. Er hatte für den Sommer seine braunen Locken und seinen Bart gestutzt, und seine untere Hälfte, ein weißer Hengstrumpf, war mit Erde und Gras befleckt.

»Ich sehe, du hast unseren neuen Lehrer schon kennengelernt.« Chirons Tonfall war lässig, aber er hatte einen nervösen Blick. »Quintus, dürfte ich Percy mal kurz ausleihen?«

»Aber gern doch, Meister Chiron.«

»Du brauchst mich wirklich nicht Meister zu nennen«, sagte Chiron, obwohl er durchaus erfreut klang. »Komm, Percy. Wir haben viel zu bereden.«

Ich warf noch einen Blick auf Mrs O’Leary, die jetzt die Beine der Strohpuppe abknabberte.

»Bis dann«, sagte ich zu Quintus.

Im Weggehen flüsterte ich Chiron zu: »Quintus kommt mir ein bisschen …«

»Geheimnisvoll vor?«, schlug Chiron vor. »Schwer zu durchschauen?«

»Ja.«

Chiron nickte. »Ein überaus qualifiziertes Halbblut. Exzellenter Schwertkämpfer. Ich wünschte nur, ich könnte verstehen …«

Was immer er hatte sagen wollen, offenbar überlegte er es sich anders. »Aber fangen wir vorne an, Percy. Annabeth hat mir erzählt, dass dir einige Empusen begegnet sind.«

»Ja.« Ich erzählte ihm von dem Kampf an der Goode School und wie Kelli sich in Flammen aufgelöst hatte.

»Mm«, sagte Chiron. »Die mächtigeren Monster können das. Sie ist nicht gestorben, Percy. Sie ist einfach entwichen. Es ist kein gutes Zeichen, dass die Dämoninnen aktiv werden.«

»Was wollten sie denn da?«, fragte ich. »Haben sie auf mich gewartet?«

»Kann schon sein.« Chiron runzelte die Stirn. »Erstaunlich, dass du überlebt hast. Ihre Fähigkeiten zur Täuschung … fast jeder Heros wäre ihrem Zauber erlegen und verschlungen worden.«

»Ich auch«, gab ich zu. »Wenn Rachel nicht gewesen wäre.«

Chiron nickte. »Ironie des Schicksals, von einer Sterblichen gerettet zu werden, aber jetzt sind wir ihr einen Gefallen schuldig. Und was die Empusa über einen Angriff auf das Camp gesagt hat – darüber müssen wir noch genauer sprechen. Aber jetzt komm erst einmal mit, wir müssen in den Wald. Grover hätte dich gern dabei.«

»Wobei?«

»Bei der Ratsversammlung«, sagte Chiron grimmig. »Der Rat der Behuften Älteren tritt gerade zusammen, um über Grovers Schicksal zu entscheiden.«

Chiron sagte, wir müssten uns beeilen, deshalb ließ ich mich von ihm auf dem Rücken mitnehmen. Als wir an den Hütten vorbeigaloppierten, schaute ich zum Speisesaal hinüber – einem offenen griechischen Pavillon auf einem Hügel mit Blick auf das Meer. Ich sah den Pavillon seit dem vergangenen Sommer zum ersten Mal, und das brachte böse Erinnerungen zurück.

Chiron jagte in den Wald. Nymphen lugten aus den Bäumen, als wir vorübereilten. Riesige Gestalten raschelten in den Schatten – Monster, die als Herausforderung für die Campinsassen hier untergebracht waren.

Ich hatte geglaubt, den Wald ziemlich gut zu kennen, da ich hier zwei Sommer lang Eroberung der Flagge gespielt hatte, aber Chiron wählte einen Weg, den ich nicht wiedererkannte, durch einen Tunnel aus alten Weiden, vorbei an einem kleinen Wasserfall und über eine von Wiesenblumen überwucherte Lichtung.

Eine Gruppe von Satyrn saß im Kreis auf der Wiese. Grover stand in der Mitte, gegenüber von drei richtig alten, richtig fetten Satyrn, die jeder auf einem Thron aus zurechtgestutzten Rosensträuchern saßen. Ich hatte diese drei alten Satyrn noch nie gesehen, aber ich ging davon aus, dass es sich um den Rat der Behuften Älteren handelte.

Grover schien ihnen gerade eine Geschichte zu erzählen, zupfte am Saum seines T-Shirts und trat nervös von einem Ziegenhuf auf den anderen. Er hatte sich seit dem vergangenen Winter nicht sehr verändert, vielleicht, weil Satyrn nur halb so schnell altern wie Menschen. Seine Akne war schlimmer geworden. Seine Hörner waren ein wenig gewachsen und lugten gerade so eben aus seinen Locken hervor. Überrascht stellte ich fest, dass ich jetzt größer war als er.

Auf einer Seite des Kreises standen Annabeth, ein mir unbekanntes Mädchen und Clarisse. Chiron setzte mich neben den dreien ab.

Clarisse hatte sich ihre strähnigen braunen Haare mit einem Halstuch in Tarnfarben zusammengebunden. Sie sah jetzt noch muskulöser aus als sonst, falls das überhaupt möglich war, als ob sie viel unter freiem Himmel gearbeitet hätte. Sie schaute mich wütend an und murmelte »Missgeburt«, was bedeuten musste, dass sie guter Laune war. Normalerweise begrüßt sie mich damit, dass sie versucht, mich umzubringen.

Annabeth hatte den Arm um das andere Mädchen gelegt, das aussah, als ob es geweint hätte. Sie war klein – zierlich nennt man das wohl – und hatte flaumige bernsteinfarbene Haare und ein hübsches elfenhaftes Gesicht. Sie trug einen grünen Chiton und Schnürsandalen und betupfte sich die Augen mit einem Taschentuch. »Das wird schrecklich enden«, schluchzte sie.

»Nein, nein.« Annabeth streichelte ihre Schulter. »Ihm passiert schon nichts, Wacholder.«

Annabeth sah mich an und ihre Lippen bildeten die Wörter Grovers Freundin.

Jedenfalls glaubte ich das, aber Sinn ergab es nicht. Grover hatte eine Freundin? Dann betrachtete ich Wacholder genauer und sah, dass ihre Ohren ein wenig spitz zuliefen. Ihre Augen waren nicht vom Weinen gerötet, sondern grün gefärbt, in der Farbe von Chlorophyll. Sie war eine Baumnymphe – eine Dryade.

»Mein lieber Herr Underwood!«, brüllte der Ratsherr auf der rechten Seite und unterbrach damit, was immer Grover hatte sagen wollen. »Erwarten Sie im Ernst, dass wir das glauben?«

»A-aber Silenus«, stammelte Grover. »Das ist die Wahrheit.«

Der Ratstyp, Silenus, wandte sich seinen Kollegen zu und murmelte etwas. Chiron trabte nach vorn und stellte sich neben sie. Mir fiel ein, dass er Ehrenmitglied des Rates war, aber ich hatte nie weiter darüber nachgedacht. Die Älteren sahen nicht gerade beeindruckend aus. Sie erinnerten mich an Ziegen in einem Streichelzoo – Schmerbäuche, verschlafener Gesichtsausdruck und glasige Augen, die nicht weiter sehen konnten als zur nächsten Handvoll Ziegenfutter. Ich wusste wirklich nicht, warum Grover so nervös aussah.