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Rachel streckte die Arme aus. Sie schien keine Angst zu haben.

»Du hast viel zu lange warten müssen«, sagte Rachel. »Aber jetzt bin ich hier.«

Die Sonne schien plötzlich noch heller. Oberhalb der Veranda tauchte in der Luft ein Mann auf – ein blonder Typ in einem weißen Chiton, mit Sonnenbrille und einem spöttischen Lächeln.

»Apollo«, sagte ich.

Er zwinkerte mir zu, legte aber einen Finger an die Lippen.

»Rachel Elizabeth Dare«, sagte er. »Du hast die Gabe der Weissagung. Aber sie ist auch ein Fluch. Bist du sicher, dass du das hier willst?«

Rachel nickte. »Das ist meine Bestimmung.«

»Akzeptierst du die Risiken?«

»Das tue ich.«

»Dann mach weiter«, sagte der Gott.

Rachel schloss die Augen. »Ich nehme diese Rolle an. Ich widme mich Apollo, dem Gott des Orakels. Ich öffne meine Augen für die Zukunft und nehme die Vergangenheit in mich auf. Ich empfange den Geist von Delphi, die Stimme der Götter, die in Rätseln spricht und das Schicksal sieht.«

Ich wusste nicht, woher sie die Worte nahm, sie strömten einfach aus ihr heraus, während der Nebel sich verdichtete. Eine grüne Nebelsäule, wie eine riesige Pythonschlange, trat aus dem Mund der Mumie aus und glitt die Treppe hinunter, um sich dann zärtlich um Rachels Füße zu legen. Die Mumie zerfiel, immer weiter, bis sie nur noch ein Haufen Staub in einem alten Batikkleid war. Um Rachel bildete sich eine Nebelsäule.

Für einen Moment konnten wir sie nicht mehr sehen. Dann verflog der Nebel.

Rachel brach zusammen und rollte sich in Embryohaltung auf. Annabeth, Nico und ich stürzten los, aber Apollo sagte: »Halt! Jetzt kommt der schwierigste Teil.«

»Was passiert jetzt?«, fragte ich. »Was wollt Ihr damit sagen?«

Apollo musterte Rachel teilnahmsvoll. »Entweder der Geist lässt sich in ihr nieder oder nicht.«

»Und wenn nicht?«, fragte Annabeth.

»Fünf Silben«, sagte Apollo und zählte sie an den Fingern ab. »Das wäre echt blöd.«

Trotz Apollos Warnung rannte ich zu Rachel und kniete neben ihr nieder. Der Dachbodengeruch war verschwunden. Der Nebel versank im Boden und das grüne Licht verblasste. Aber Rachel war noch immer bleich. Sie atmete kaum.

Dann öffneten sich ihre Lider. Mit Mühe richtete sie den Blick auf mich. »Percy.«

»Geht’s dir gut?«

Sie versuchte, sich aufzusetzen. »Au.« Sie presste die Hände an die Schläfen.

»Rachel«, sagte Nico. »Deine Lebensaura war fast verschwunden. Ich konnte dich buchstäblich sterben sehen.«

»Mir geht’s gut« murmelte Rachel. »Bitte, hilf mir hoch. Diese Visionen – die sind ein bisschen verwirrend.«

»Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist?«, fragte ich.

Apollo schwebte von der Veranda herunter. »Meine Damen und Herren, ich habe die Ehre, Ihnen das neue Orakel von Delphi vorzustellen.«

»Ihr macht Witze«, sagte Annabeth.

Rachel brachte ein schwaches Lächeln zustande. »Mich überrascht das auch ein wenig, aber es ist mein Schicksal. Ich weiß jetzt, warum ich mit dieser Fähigkeit geboren worden bin. Ich sollte das Orakel werden.«

Ich blinzelte. »Du meinst, du kannst jetzt die Zukunft vorhersagen?«

»Nicht immer«, sagte sie. »Aber ich habe Visionen, Bilder, Wörter in meinem Kopf. Wenn jemand mir eine Frage stellt, dann … oh nein …«

»Es geht los«, verkündete Apollo.

Rachel krümmte sich, als hätte sie jemand geschlagen. Dann richtete sie sich auf und ihre Augen glühten schlangengrün.

Als sie sprach, klang ihre Stimme verdreifacht – als sprächen drei Rachels gleichzeitig:

»Dem Ruf werden folgen der Halbblute sieben

Die Welt wird sterben in Sturm und Feuer

Ein letzter Atem ist zur Erfüllung des Eides geblieben

Und der Feind trägt Waffen zu des Todes Gemäuer.«

Beim letzten Wort brach Rachel zusammen. Nico und ich fingen sie auf und halfen ihr auf die Veranda. Ihre Haut war so heiß, als fieberte sie.

»Ist schon gut«, sagte sie und ihre Stimme klang wieder normal.

»Was war das denn?«, fragte ich.

Sie schüttelte verwirrt den Kopf. »Was war was?«

»Ich glaube«, sagte Apollo, »wir haben soeben die nächste Große Weissagung gehört.«

»Was bedeutet das?«, wollte ich wissen.

Rachel runzelte die Stirn. »Ich kann mich nicht einmal daran erinnern, was ich gesagt habe.«

»Nein«, sagte Apollo nachdenklich. »Der Geist spricht lediglich durch dich. Ansonsten wird unsere Rachel ungefähr so sein wie immer. Es hilft nichts, sie zu bedrängen, auch wenn sie gerade die nächste Große Weissagung für die Zukunft der Welt gemacht hat.«

»Was?«, fragte ich. »Aber …«

»Percy«, sagte Apollo. »Ich würde mir nicht allzu große Sorgen machen. Die letzte Große Weissagung über dich hat fast siebzig Jahre gebraucht, um sich zu erfüllen. Die nächste wird vielleicht während deines Lebens nicht mehr in Kraft treten.«

Ich dachte daran, was Rachel mit dieser unheimlichen Stimme gesagt hatte: über Sturm und Feuer und des Todes Gemäuer.

»Kann sein«, sagte ich. »Aber es hat sich nicht gerade gut angehört.«

»Nein«, sagte Apollo fröhlich. »Das nun wirklich nicht. Sie wird ein wunderbares Orakel sein.«

Es war schwer, das Thema zu beenden, aber Apollo bestand darauf, dass Rachel Ruhe brauchte, und sie sah wirklich reichlich verwirrt aus.

»Tut mir leid, Percy«, sagte sie. »Oben auf dem Olymp habe ich dir nicht alles erklärt. Die Berufung hat mir Angst gemacht und ich dachte, du würdest das nicht verstehen.«

»Tu ich noch immer nicht«, gab ich zu. »Aber ich freue mich natürlich für dich.«

Rachel lächelte. »Freuen ist wohl nicht das richtige Wort. Die Zukunft zu sehen, wird nicht leicht sein, aber es ist meine Bestimmung. Ich hoffe nur, dass meine Familie …«

Sie beendete den Satz nicht.

»Gehst du trotzdem noch auf die Clarion Academy?«, fragte ich.

»Ich habe es meinem Vater versprochen. Ich werde versuchen, während des Schuljahrs ganz normal zu sein, aber …«

»Aber jetzt brauchst du Schlaf«, tadelte Apollo. »Chiron, ich finde, der Dachboden ist nicht der richtige Aufenthaltsort für unser neues Orakel, oder?«

»Nein, keinesfalls.« Chiron sah sehr viel besser aus, jetzt, wo Apollo ihn mit irgendeinem Heilzauber behandelt hatte. »Rachel kann erst einmal ein Gästezimmer im Hauptgebäude nehmen, bis wir eine Lösung gefunden haben.«

»Ich stelle mir eine Höhle in den Hügeln vor«, sagte Apollo nachdenklich. »Mit Fackeln und einem großen lila Vorhang vor dem Eingang … so richtig geheimnisvoll. Aber drinnen natürlich alles voll eingerichtet, mit einem Billardzimmer und Heimkino mit Dolby Surround.«

Chiron räusperte sich geräuschvoll.

»Was ist?«, fragte Apollo.

Rachel küsste mich auf die Wange. »Wiedersehen, Percy«, flüsterte sie. »Und ich brauche ja wohl nicht in die Zukunft zu sehen, um dir zu sagen, was du jetzt tun sollst, oder?«

Ihre Augen wirkten noch durchdringender als früher.

Ich wurde rot. »Nein.«

»Gut«, sagte sie. Dann drehte sie sich um und folgte Apollo ins Haus.

Der Rest des Tages war so seltsam wie der Anfang. Camper trafen per Auto, Pegasus und Streitwagen aus New York ein, die Verwundeten wurden versorgt, und den Toten wurden am Lagerfeuer die vorgeschriebenen Rituale gewidmet.

Silenas Leichentuch war knallrosa und mit einem elektrischen Speer bestickt. Die Hütten von Ares und Aphrodite ernannten sie beide zur Heldin und zündeten gemeinsam das Leichentuch an. Niemand erwähnte das Wort »Spionin«; dieses Geheimnis verbrannte zu Asche, als der Designerparfümrauch zum Himmel stieg.