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»Du solltest ihn kämpfen lassen«, sagte ich zu meinem Vater. »Er findet es schrecklich, in der Waffenschmiede festzusitzen, siehst du das nicht?«

Poseidon schüttelte den Kopf. »Es ist schlimm genug, dass ich dich in die Gefahr hinauslassen muss. Tyson ist zu jung. Ich muss ihn beschützen.«

»Du solltest ihm vertrauen«, sagte ich. »Und nicht versuchen, ihn zu beschützen.«

Poseidons Augen loderten auf. Ich dachte, ich sei zu weit gegangen, aber dann schaute er auf das Mosaik hinab und seine Schultern sackten nach unten. Auf den Fliesen kam der Seeheini mit dem Langustenkarren immer näher an den Palast heran.

»Okeanos ist im Anmarsch«, sagte mein Vater. »Ich muss mich ihm zum Kampf stellen.«

Ich hatte noch nie Angst um einen Gott gehabt, aber ich konnte mir nicht vorstellen, wie mein Dad diesen Titanen besiegen sollte.

»Ich werde die Stellung halten«, versprach Poseidon. »Ich werde mein Reich nicht hergeben. Aber sag mal, Percy, hast du noch mein Geburtstagsgeschenk vom vorigen Sommer?«

Ich nickte und zog meine Camp-Halskette hervor. Daran hing für jeden Sommer, den ich im Camp Half-Blood verbracht hatte, eine Perle, aber seit dem letzten Jahr hatte ich auch einen Sanddollar daran befestigt. Den hatte mein Vater mir zum fünfzehnten Geburtstag geschenkt. Er hatte gesagt, ich würde schon wissen, wann ich ihn »ausgeben« sollte, aber bisher war ich nicht dahintergekommen, was er gemeint hatte. Ich wusste nur, dass der Sanddollar nicht in die Automaten in der Schulmensa passte.

»Die Zeit ist reif«, versprach er. »Wenn wir Glück haben, sehen wir uns nächste Woche an deinem Geburtstag und dann feiern wir richtig.«

Er lächelte, und für einen Moment sah ich das alte Licht in seinen Augen.

Dann wurde das Meer vor uns dunkel, als ziehe ein Tintensturm herauf. Donner grollte, was unter Wasser doch eigentlich unmöglich sein sollte. Eine gewaltige eisige Erscheinung rückte an. Ich spürte, wie eine Welle der Furcht die Armeen unter uns ergriff.

»Ich muss meine wahre Göttergestalt annehmen«, sagte Poseidon. »Geh – und viel Glück, mein Sohn.«

Ich hätte ihn gern ermutigt, ihn umarmt oder so, wusste aber, dass ich hier nicht länger herumlungern durfte. Wenn ein Gott seine wahre Gestalt annimmt, ist seine Macht so groß, dass jeder Sterbliche, der ihn anschaut, zu nichts zerfallen muss.

»Auf Wiedersehen, Vater«, brachte ich heraus.

Dann wandte ich mich ab. Ich forderte die Meeresströmungen auf, mir zu helfen. Wasser wirbelte um mich herum, und ich schoss in einem Tempo an die Oberfläche, das einen normalen Menschen wie einen Ballon hätte platzen lassen.

Als ich mich umschaute, sah ich nur noch die grünen und blauen Blitze, während mein Vater gegen den Titanen kämpfte und das Meer von den beiden Armeen zerrissen wurde.

Ich werfe einen heimlichen Blick auf meinen Tod

Wenn ihr im Camp Half-Blood beliebt sein wollt, kommt bloß nicht mit schlechten Nachrichten von einem Einsatz zurück.

Sowie ich aus dem Ozean stieg wussten alle, dass ich wieder da war. Unser Strand liegt am Nordufer von Long Island, und er ist verzaubert, deshalb können die meisten Leute ihn nicht mal sehen. Und am Strand erscheint einfach niemand, es sei denn, er ist Halbgott oder Gott oder ein Pizzabote, der sich wirklich total verirrt hat. (Das ist tatsächlich schon vorgekommen – aber das ist eine andere Geschichte.)

An diesem Nachmittag war jedenfalls Connor Stoll aus der Hermes-Hütte der Ausguck vom Dienst. Als er mich entdeckte, regte er sich dermaßen auf, dass er aus seinem Baum fiel. Dann stieß er ins Muschelhorn, um das Camp zu verständigen, und rannte mir entgegen.

Connor hatte ein schräges Grinsen, das zu seinem schrägen Sinn für Humor passte. Er ist ein ziemlich netter Typ, aber man sollte immer eine Hand auf der Brieftasche liegen haben, wenn er in der Nähe ist, und darf ihm unter keinen Umständen Rasiercreme überlassen, wenn man nicht will, dass sein Schlafsack damit vollgeschmiert wird. Er hat braune Locken und ist ein winziges bisschen kleiner als sein Bruder Travis, nur daran kann ich sie auseinanderhalten. Sie haben beide so wenig Ähnlichkeit mit meinem alten Feind Luke, dass es schwer zu glauben ist, dass sie allesamt Söhne des Hermes sind.

»Percy!!«, schrie Connor. »Was ist passiert? Wo ist Beckendorf?«

Dann sah er mein Gesicht und sein Grinsen löste sich auf. »Oh nein. Die arme Silena. Heiliger Zeus, wenn sie das erfährt …!«

Zusammen stiegen wir die Sanddünen hoch. Einige hundert Meter entfernt strömten uns schon die anderen entgegen, strahlend und aufgeregt. Percy ist wieder da!, dachten sie vermutlich. Der Tag ist gerettet! Vielleicht hat er ja Andenken mitgebracht.

Ich blieb am Speisepavillon stehen und wartete auf sie. Ich war nicht scharf darauf, auf sie loszustürzen, um ihnen zu erzählen, was ich für ein Versager war.

Ich schaute über das Tal hinweg und versuchte, mich zu erinnern, wie Camp Half-Blood damals auf den ersten Blick auf mich gewirkt hatte. Es kam mir vor, als wäre das eine Trilliarde Jahre her.

Vom Speisepavillon aus konnte man so ungefähr alles überblicken. Hügel umgaben das Tal. Auf dem höchsten, dem Half-Blood Hill, stand Thalias Fichte, und das Goldene Vlies hing von ihren Zweigen und beschützte das Lager vor seinen Feinden. Der Wachdrache Peleus war jetzt so groß, dass ich ihn von hier aus sehen konnte – er hatte sich um den Baumstamm gewickelt und ließ beim Schnarchen Rauchsignale aufsteigen.

Rechts von mir breitete sich der Wald aus. Links glitzerte der See und an der Kletterwand leuchtete die Lava, die daran herabströmte. Zwölf Hütten – eine für jede olympische Gottheit – bildeten ein Hufeisen. Weiter im Süden lagen die Erdbeerfelder, das Waffenhaus und das vierstöckige Hauptgebäude mit seinem himmelblauen Anstrich und der Wetterfahne in Gestalt eines bronzenen Adlers.

Auf gewisse Weise hatte das Lager sich gar nicht viel verändert. Aber den Häusern und Feldern konnte man den Krieg schließlich auch nicht ansehen. Man sah ihn in den Gesichtern der Halbgötter und Satyrn und Najaden, die jetzt den Hügel hochkamen. Es waren nicht mehr so viele im Lager wie vor vier Jahren. Einige waren gegangen und nie zurückgekehrt. Andere waren im Kampf gefallen. Wieder andere – wir versuchten, sie nicht zu erwähnen – waren zum Feind übergelaufen.

Die, die noch hier waren, waren vom Kampf gestählt und müde. Im Camp wurde nur noch wenig gelacht. Nicht einmal die Hermes-Hütte war so auf Jux versessen wie sonst. Es ist schwer, geschmacklose Witze komisch zu finden, wenn dir dein ganzes Leben wie ein geschmackloser Witz vorkommt.

Chiron galoppierte als Erster in den Pavillon, was ihm nicht schwerfiel, denn er ist von der Taille abwärts ein weißer Hengst. Sein Bart war über den Sommer wilder geworden. Er trug ein grünes T-Shirt mit der Aufschrift Mein Zweitwagen ist ein Zentaur und hatte sich einen Bogen über den Rücken geworfen.

»Percy!«, sagte er. »Den Göttern sei Dank. Aber wo …?«

Gleich hinter ihm kam Annabeth hereingerannt, und ich muss zugeben, dass mein Herz ein kleines Rennen in meiner Brust veranstaltete, als ich sie sah. Es lag nicht daran, dass sie versucht hätte, gut auszusehen. Wir waren in letzter Zeit so oft im Einsatz gewesen, dass sie sich ihre blonden Locken kaum noch kämmte, und ihre Kleidung war ihr egal – normalerweise trug sie immer dasselbe alte Camp-T-Shirt und Jeans und ab und zu ihre Bronzerüstung. Ihre Augen waren von stürmischem Grau. Meistens konnten wir kein Gespräch zu Ende bringen, ohne uns gegenseitig erwürgen zu wollen. Aber von ihrem bloßen Anblick wurde mir wirr im Kopf. Im vergangenen Sommer, ehe Luke sich in Kronos verwandelt hatte und alles richtig übel geworden war, hatte es einige Augenblicke gegeben, in denen ich gedacht hatte, dass wir vielleicht … na ja, dass wir vielleicht die Phase mit den gegenseitigen Erwürgewünschen hinter uns lassen könnten.