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»Muß ich wirklich lernen, wie man den Wagen lenkt?«

»Jeder von uns muß mal die Zügel in die Hand nehmen.«

»Warum wirkte Master Gill so verärgert?«

»Weil er sich seine Wünsche nicht erfüllen konnte.«

»Darf ich denn niemals auf einem Pferd reiten?«

»Master Hoode ist bestimmt jederzeit dazu bereit.«

Die Gruppe zog ihres Weges und unterbrach die Reise nur kurz, um in einem Gasthaus eine Erfrischung zu sich zu nehmen. Wären sie alle zu Pferde gewesen, hätten sie an die dreißig Meilen pro Tag zurücklegen können, aber ihre Mittel erlaubten eine so große Zahl Pferde nicht. Da sie sich folglich nur im Fußgängertempo fortbewegten, mußten sie sich mit einer viel geringeren Tagesleistung zufriedengeben. Wenn sie sich anstrengten, würden sie vor Einbruch der Dunkelheit zwanzig Meilen schaffen, aber das hätte sie ziemlich erschöpft und ihnen weder die Zeit noch die Kraft gelassen, aus dem Stegreif eine Vorstellung zu geben, wo sie Quartier machten. Lawrence Firethorn und Nicholas Bracewell hatten sich ausführlich über ihre Reiseroute unterhalten. Es war wichtig, das richtige Tempo anzuschlagen.

Richard Honeydew drängte es nach weiterer Aufklärung.

»Habt Ihr diesen Kopf gesehen, Master Bracewell?«

»Kopf?«

»Als wir London verließen. Auf der Stange bei Bishopsgate.«

»Das habe ich bemerkt, Junge.«

»Der Anblick des einen Kopfes hat mich ganz krank gemacht.«

»Das war auch zum Teil die Absicht dahinter.«

»Kann denn irgendein Mann ein solches Schicksal wirklich verdienen?«

»Anthony Rickwood war ein Verräter, und die Strafe für Verrat ist der Tod. Ob dieser Tod so brutal und barbarisch erfolgen sollte, das ist eine andere Frage.«

»Wer war der Mann?«

»Teil einer katholischen Verschwörung«, sagte Nicholas. »Er und seine Genossen planten, die Königin während einer Reise nach Sussex zu ermorden.«

»Wie wurde diese Verschwörung denn entdeckt?«

»Durch Sir Francis Walsingham. Seine Spione sind überall. Einer seiner Informanten erfuhr gerade rechtzeitig von der Verschwörung, und Master Rickwood wurde auf der Stelle verhaftet.« 

»Und was passierte mit den anderen Verschwörern?«

»Die werden verhaftet, sobald ihre Namen bekannt sind. Der Herr Minister wird nicht rasten, bis er den Kopf von jedem einzelnen auf die Stange gespießt hat. Er hat geschworen, daß er alle katholischen Verräter ihrer Strafe zuführen wird.«

»Wird er das schaffen?«

»Daran gibt es keinen Zweifel, Dick. Seine Spione sind handverlesen und bestens für ihre Arbeit ausgebildet. Er führt sie mit großem Geschick. Es waren nicht nur unsere Admiräle, die die spanische Armada besiegten. Dem Herrn Minister verdanken wir viel dabei. Er war es, der die Stärke und Bewaffnung der spanischen Flotte vorhersagte.«

»Ihr scheint viel über ihn zu wissen.«

»Ich bin mit Drake gesegelt«, sagte Nicholas, »und der war mit Sir Francis Walsingham eng befreundet.«

»Wirklich?«

»Der Minister hat stets großes Interesse an den Fähigkeiten unserer Navigatoren bewiesen.«

»Warum?«

»Weil er finstere Absichten damit verfolgte.«

»Was war denn das, Master Bracewell?«

»Piraterie.«

Der Junge riß die Augen auf, als ihm etwas klar wurde.

»Sir Francis Drake ein Pirat?« rief er aus.

»Wie würdest du es denn sonst nennen, wenn ausländische Schiffe und Städte überfallen wurden?« fragte Nicholas. »Piraterie. Klar und eindeutig. Ich war dort, Junge. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen.«

»Aber Piraterie ist ein fürchterliches Verbrechen.«

»Da gibt es Möglichkeiten, diesem Problem aus dem Wege zu gehen.«

»Tatsächlich?«

»Ja, und ich vermute, daß Walsingham der Mann war, der diese Möglichkeit herausfand. Er überredete die Königin, sich an der Sache zu beteiligen. Als Gegenleistung für den Erhalt eines Teils der Beute stellte uns Ihre Majestät Kaperbriefe aus.«

»Kaperbriefe?«

»Die verwandelten uns von Piraten in Freibeuter.«

»Und das hat unsere geliebte Königin tatsächlich getan?«

»Mit stillschweigender Einwilligung von Walsingham. Er drängte sie, Drake und seinesgleichen zu ihren gesetzlosen Taten zu ermutigen. Wenn sie spanische Schiffe überfielen, lenkten sie Geld in die Schatullen des Schatzkanzlers und zwickten den römischen Katholizismus in die Nase.«

Richard Honeydew blieb die Luft weg, als er versuchte, das alles zu verdauen. Er war zutiefst schockiert über die Tatsache, daß ein großer Nationalheld irgendwann einmal in Piraterie verwickelt gewesen war, aber er zweifelte nicht an Nicholas' Worten. Auch der religiöse Aspekt brachte ihn ganz durcheinander.

»Warum wollen die Katholiken denn die Königin umbringen?«

»Sie ist das Symbol unserer protestantischen Nation.«

»Ist es denn solch ein Verbrechen, Rom zu gehorchen?«

»Ja, mein Junge«, sagte Nicholas. »Die Zeiten haben sich geändert. Mein Vater wurde noch in der alten Religion großgezogen, doch unter König Heinrich wurde er zu einem Protestanten gemacht, und das ganze Land ebenfalls. Die meisten Leute würden es nicht wagen, an die Dinge zu glauben, an die mein Vater zu seiner Zeit geglaubt hat. Sie haben Angst vor Walsingham.«

»Ich auch«, sagte der Junge.

»Was auch immer passiert, das Leben der Königin muß geschützt werden.«

»Auf jede nur erdenkliche Weise.«

»Deshalb brauchen wir auch so viele Spione.«

Richard Honeydew dachte an den Schädel auf dem Spieß. »Ich bin jedenfalls froh, daß ich nicht katholisch bin«, sagte er.

*

Das Münster von York stach mit seinen drei großen Türmen in den Himmel und warf einen langen Schatten der Frömmigkeit über die Häuser und Läden, die sich dicht um sein Fundament drängten. Es war die schönste Kathedrale in ganz England und zugleich das größte mittelalterliche Gebäude im gesamten Königreich. Die Arbeit daran hatte vor langer Zeit, im Jahre 1220, begonnen und zog sich über ein halbes Jahrhundert hin. Das Ergebnis war tatsächlich atemberaubend, ein gotisches Meisterwerk, welches das gesamte Spektrum architektonischer Stile darstellte, ein würdiges Denkmal für die Liebe und Verehrung zahlreicher Generationen von Christen, die an dem Bauwerk mitgewirkt hatten. Besucher, die sich York näherten, konnten die Kathedrale schon viele Meilen vorher sehen, wie sie sich majestätisch über die Stadt erhob, wie ein Lichtstrahl inmitten weltlicher Finsternis.

Sir Clarence Marmion hatte für all das nicht einmal einen flüchtigen Blick übrig, als er mit seinem Pferd durch Botham Bar in die Stadt hineinritt. Er war ein großer, distinguierter, leichenblasser Mann in den Fünfzigern, mit jener herrschaftlichen Haltung und einem teuren Aufzug, die die Leute dazu veranlaßte, voller Ehrerbietung den Hut zu lüften, wenn er an ihnen vorbeiritt. Als er Petergate hinter sich gelassen hatte, bog er in The Shambles ein, deren gewundene Enge er zügig durchmaß, wobei er unter vorstehenden Dächern den Kopf beugte, mit den Schultern die Hauswände berührte und sich mit seinem Pferd vorsichtig einen Pfad durch die Menschenmenge bahnte. Hoch über ihm vermischte sich das Gebimmel der Glocken mit den geschäftigen Geräuschen der Arbeitswelt. Irritiert schnalzte er mit der Zunge.

Sein Pferd trug ihn jetzt am linken Ufer des Flusses entlang, bis er ihn bei der Ouse Bridge überqueren konnte. Als er auf Micklegate zuhielt, strömten die Menschen auf dem Weg zum Markt in die Stadt. Er bog in einen Torweg ein und befand sich auf einem gepflasterten Innenhof. Ein Stallknecht rannte herbei, um sein Pferd zu halten, während er abstieg; als Dank erhielt er nur ein mürrisches Grunzen. Er hatte auch nichts anderes erwartet. Sir Clarence war kein zufälliger Besucher in diesem Gasthaus. Es gehörte seiner Familie bereits seit Jahrhunderten.