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Ware war eine kleine, liebenswürdige Dorfgemeinde, die ihren täglichen Geschäften nachging, ohne sich groß zu beklagen. Theatergruppen konnten nicht so ohne weiteres in einer Stadt aufkreuzen und Aufführungen veranstalten. Zunächst mußten eine Aufführungserlaubnis eingeholt und eine Spiellizenz besorgt werden. In größeren Ortschaften war es der Bürgermeister, der diese Lizenzen erteilte, doch Ware war so klein, daß es sich eine solche Persönlichkeit nicht leisten konnte. Nicholas begab sich statt dessen zu einem der örtlichen Ratsherren.

Tom Hawthornden war für seine Offenheit bekannt.

»Ihr könnt hier nicht spielen, Sir.«

»Aber wir sind Westfield's Men.«

»Von mir aus könnt Ihr die persönliche Theatergruppe der Königin sein, Master Bracewell. Wir haben nur wenige Interesse an Unterhaltung, und das ist bereits voll befriedigt worden.«

»Durch wen, Master Hawthornden?«

»Von solch einer Truppe wie Euch.«

»Wann war das?«

»Gerade erst vor zwei Tagen. Ich erinnere mich ganz genau.«

»Unser Angebot ist bestimmt das Bessere«, sagte Nicholas. »Wir sind keine Wandergruppe irgendwelcher Schauspieler, Sir. Master Lawrence Firethorn gehört zu den besten seines Berufes. Westfield's Men gelten als die feinste Theatergruppe in ganz London.«

»Eure Mitbewerber haben sich ebenfalls so bezeichnet.«

»Dann vergleicht unsere Kunst mit der dieser anderen Gruppe.«

»Das dürfte kaum ausreichen«, sagte Hawthornden und stemmte die Fäuste in die Hüften. »Macht, daß Ihr weiterkommt, Sir. Ware hat eine so lustige Komödie zu sehen bekommen, wie man sie kein zweites Mal erleben wird. Die erheitert uns noch für Wochen. Zusätzliche Zerstreuung brauchen wir nicht mehr.«

Nicholas hielt ihn zurück, als er gehen wollte.

»Hört mich an, Master. Wir bieten euch eine Aufführung mit so viel Lachen, Tanzen, Singen und Fechtkünsten, daß die Bewohner von Ware ein ganzes Jahr davon zehren werden. Es geht um eine so lustige Komödie, wie man sie nur von Westfield's Men zu sehen bekommt.«

»Zu spät, Sir. Viel zu spät.«                       

»Aber seht Euch ›Liebe und Narretei‹ doch einmal an. Ihr werdet es nicht bereuen.«

»Wie habt Ihr das Stück gerade genannt?«

»Liebe und Narretei.«

»Dann ist Eure Reise tatsächlich vollkommen vergeblich.«

»Wieso?«

»Weil wir dieses Stück schon gesehen haben, Sir.«

»Das ist unmöglich, Master Hawthornden«, sagte Nicholas voller Überzeugung. »Wir besitzen das Aufführungsrecht für dieses Stück. Ich habe das Manuskript hinter Schloß und Riegel. Was Ihr gesehen habt, war vermutlich ein ganz anderes Stück mit dem gleichen Titel. Unser Stück erzählt die Geschichte eines gewissen Rigormortis, eines alten Mannes, der von Amors Pfeilen getroffen wird.«

»Jawoll«, sagte Hawthornden. »Der verliebt sich in jedes weibliche Wesen, das ihm zu Gesicht kommt, und stößt die einzige zurück, die ihn wirklich liebt. Die hieß Ursula und hat uns herzhaft zum Lachen gebracht.«

Nicholas war platt. Das klang wie ihr eigenes Stück. Als Tom Hawthornden noch weitere Einzelheiten der Handlung vortrug, war der Fall klar. Ware hatte tatsächlich eine Aufführung des Stückes »Liebe und Narretei« erlebt, obwohl Westfield's Men das exklusive Aufführungsrecht daran besaß. Eine phantastische Geschichte.

Tom Hawthornden ließ sich zu einer unhöflichen Verabschiedung hinreißen.

»Macht, daß Ihr Eures Weges kommt, Sir. Ihr habt hier nichts zu suchen.«

Nicholas packte ihn an der Schulter und hielt ihn fest.

»Wie war der Name dieser anderen Theatergruppe?«

*

Schon vierundzwanzig Stunden nach seiner Abreise meldeten sich die Gewissensbisse. Margery Firethorn fing an sich zu wünschen, sie hätte ihrem Mann einen schöneren Abschied bereitet. Dann hätten sie sich nicht in einer so gezwungenen Atmosphäre voneinander getrennt. Hätte sie seine Annäherungsversuche nicht zurückgewiesen, hätten sie ihre letzte Nacht in ehelichen Freuden verbringen können, die ihr Herz mit Freuden erfüllt und ihr Gewissen beruhigt hätten. Statt dessen fühlte sie sich verletzt, reizbar und unbehaglich. Lange, einsame Monate würden vergehen, bevor sie ihren Gatten wiedersah.

Schon jetzt empfand sie das Haus in Shoreditch kalt und leer. Vier Schauspielschüler und zwei Angestellte der Gruppe hatten hier gewohnt, die sie alle mit mütterlicher Sorge gehegt hatte. Jetzt war sie mit einem kleinen Teil ihrer umfangreichen Familie zurückgeblieben. Die schlimmste Abwesenheit war die von Lawrence Firethorn. Als Mann und Schauspieler war er eine strahlende Gestalt, deren Fehlen eine tiefe Kluft zurückließ. Er hatte seine Fehler, niemand wußte das besser als seine eigene Frau. Aber die reduzierten sich zur völligen Bedeutungslosigkeit, wenn sie an die Lebhaftigkeit, die Farben und die Atmosphäre dachte, mit der er das Haus erfüllte. Vor allem aber, wenn sie an die tausend ungestümen Liebesakte dachte, mit denen er sie in seiner flammenden Begeisterung beglückt hatte.

In dieser traurigen Verfassung stieg sie die Treppe zum Schlafzimmer empor, jenes Zimmer, das sie mit dem Mann teilte, den sie jetzt als Ausbund der Tugend betrachtete. Welcher andere Ehemann hätte ihre Gefühle und ihre Leidenschaft über so viele Jahre hinweg fesseln können? Welches andere Mitglied dieses unsicheren Berufsstandes machte sich so viele echte Sorgen um seine Frau und seine Kinder? Daß andere Frauen ihn liebten und begehrten, war für sie ein offenes Geheimnis, doch selbst das konnte ein Grund für Stolz sein. Sie war das Ziel intensiven Neides. Wenn professionelle Schönheiten es nicht mal für eine Nacht geschafft hatten, ihn ganz zu besitzen — sie hatte ihn für ein ganzes Leben an sich gefesselt. Daß andere Frauen ihm nachstellten, konnte ihr nur zum Nutzen gereichen.

Als sie jetzt an ihre letzten gemeinsamen Stunden zurückdachte, erkannte sie, wie unfreundlich sie zu ihm gewesen war. Lawrence Firethorn war einzigartig, und es war ihre Aufgabe, diese Einzigartigkeit zu respektieren und zu hegen. Er war gar nicht der gleichgültige Vater, als den sie ihn bezeichnet hatte, weder der eigensüchtige Ehemann noch der zügellose Wüstling. Er war ganz einfach ein großer Mann, der insgesamt gesehen eine bessere Behandlung von ihr verdiente.

Sie saß auf der Bettkante und strich mit zarter Hand über den Mantel, den er so fürsorglich für sie zurückgelassen hatte. Dies war sein zweitbester Mantel, den er in der Titelrolle von »Vincentios Rache« getragen hatte, geradezu getränkt mit den Erinnerungen an diesen Triumph. In dem Bewußtsein, was es ihn gekostet hatte, sich davon zu trennen, hatte sie die ganze Nacht mit dem Mantel über sich geschlafen. Das war das einzig greifbare Erinnerungsstück an ihn.

Außer dem Rubin.

Margery schoß in die Höhe. Sie hatte beschlossen, alles über diesen Ring zu vergessen. Er war ja gerade der Grund für ihren bitteren Wortwechsel gewesen, deshalb hatte sie ihn aus den Augen und aus dem Sinn geschoben. Jetzt bekam der Ring eine ganz neue Bedeutung. Er war ein Liebesbeweis ihres Gatten, eine Bekräftigung und Bestätigung ihrer Ehe zu einem Zeitpunkt, an dem sie unter ganz besonders starkem Druck stand. Sie beschimpfte sich, daß sie so undankbar gewesen war, und lief zu dem Schubfach, in dem sie ihn versteckt hatte. Sie wollte den Ring voller Stolz so lange tragen, bis sie wieder mit ihm vereint war.

Glühend vor Leidenschaft zog sie das Schubfach heraus. Doch der Ring war verschwunden. An seinem Platz lag eine kleine Pergamentrolle. Als sie sie aufrollte, erkannte sie, daß es eine Botschaft ihres Mannes war.

»Lebe wohl, meine geliebte Liebe. Da der Rubin in Shoreditch nicht willkommen ist, werde ich ihn selber in Arkadien tragen.«