Выбрать главу

»Ich werde ihr sofort ein Sonett schicken«, beschloß er.

»Ihr habt nur noch den heutigen Tag, um es zu schreiben.«

»Heute den Tag und die Nacht dazu, Nick. Ich opfere ihrem Dienst jeden Gedanken an Schlaf. Meine Muse hilft mir am besten im Dunkel der Nacht.«

»Erschöpft Euch nicht vollständig, Edmund. Morgen beginnt eine lange Reise.«

»Ich beginne sie in bester Verfassung.«

»Das höre ich gerne.«

»Könnte der liebe Gabriel doch nur mit uns ziehen!«

»Auch ich hatte diese Hoffnung gehabt.«

An einem schwülen Vormittag wanderten die beiden Männer durch Bankside. Sie hatten einen unerfreulichen Auftrag. Fliegenschwärme schwebten über Abfallhaufen, Ratten wühlten in verrottenden Essensresten. Als die beiden Freunde den schmutzigsten Teil des ganzen Bezirks betraten, sahen sie Zeichen des Todes und des Verfalls auf allen Seiten. Sie waren schockiert bei dem Gedanken, daß einer ihrer Kollegen gezwungen gewesen war, in einem solchen Gehege vermodernder Menschlichkeit zu leben. Gabriel Hawkes hatte auf der Bühne glanzvolle Prinzen dargestellt, doch sein Privatleben war das eines armseligen Schluckers gewesen.

Sie kamen gerade rechtzeitig. Als sie in die Smorrall Lane einbogen, sahen sie den Leichenkarren, der bereits randvoll mit gräßlicher Fracht beladen war. Der Karren hielt vor einer Tür, die mit einem blauen Kreuz gekennzeichnet war, und eine weitere Leiche wurde aufgeladen. Dann rumpelte der Karren zu dem Haus, in dem Gabriel Hawkes gewohnt hatte. Es war mit Brettern verrammelt, und die Schrift an der Tür zeigte, daß die Pest auch in diesem Haus gewohnt hatte. In ein schmutziges Leichentuch gehüllt, wurde der Körper unsanft aus dem Haus geschleppt und auf den Karren geworfen.

Nicholas trat vor, um zu protestieren.

»Ein bißchen sanfter, Sirs!« sagte er.

»Verschwindet!« schnarrte der Fuhrmann.

»Das ist unser Freund, den Ihr da so unsanft behandelt.«

»Das ist eben unser Geschäft.«

»Erledigt Eure Arbeit mit etwas mehr Achtung.«

Der Kutscher stieß ein krächzendes Spottgelächter aus und schlug mit den Zügeln auf die Rücken der beiden Pferde. Rumpelnd bewegte sich der Karren die Gasse hinunter. Er hatte seine Ladung jetzt beisammen und machte sich auf den traurigen Weg zu einem Stück Brachland, jenseits des Gassenlabyrinths. Nicholas und sein Freund folgten dem Wagen die ganze Strecke, denn sie wollten bei der Beerdigung ihres früheren Kollegen zugegen sein. Sie beide hatten Gabriel Hawkes so geschätzt, daß sie für seinen Verbleib in der Tournee-Gruppe plädiert hatten, und es tat ihnen weh, daß ihre glücklichen Erinnerungen durch das getrübt wurden, was sie jetzt mit eigenen Augen ansehen mußten. Ein Ausbund an Witz, Wärme und echtem Talent lag jetzt im Leichentuch vor ihnen.

Der Karren hielt ächzend neben einer breiten Grube, in der noch die Totengräber bei der Arbeit waren. Frisch aufgeworfene Erdhügel zeigten, daß andere Gruben bereits gefüllt worden waren. Die Opfer der Pest mußten tief in den Boden gebettet werden, damit die Seuche nicht durch das Erdreich nach oben dringen konnte. Der Fuhrmann und sein Helfer luden die Leichen mit dem gleichen Interesse ab, als wenn es sich um Kartoffelsäcke gehandelt hätte. Die Menschen wurden von dem Karren gezerrt und am Rand der Grube niedergeworfen, um auf ihren letzten Ruheplatz zu warten.

Nicholas Bracewell und Edmund Hoode waren weit genug entfernt, um dem schlimmsten Leichengeruch zu entgehen, doch nahe genug, um die Kreatur beobachten zu können, die aus ihrem Versteck unter einem Busch hervorkroch. Der Mann war klein, zerlumpt und struppig, nach seinem äußeren Eindruck alt, doch von der Behendigkeit eines Affen. Während der Fuhrmann und sein Helfer ihm den Rücken kehrten, fummelte die Gestalt zwischen den Leichentüchern herum, als wisse sie genau, was es dort zu holen gab. Mit einem Messer schlitzte der Kerl die Tücher auf, suchte hier, wühlte dort, bis er mit seiner unverschämten Plünderei eine umfangreiche Beute gemacht hatte. Als er sich gerade über die Leiche von Gabriel Hawkes beugen wollte, fuhr Nicholas Bracewell dazwischen.

Er sprang blitzschnell vor, jagte den Kerl zu dem Busch zurück, hinter dem er hervorgekrochen war, und sprang ihn an, um ihn zu Fall zu bringen. Sie rollten auf dem Boden herum. Ein Messer blitzte vor Nicholas' Gesicht, doch das konnte ihn nicht zurückhalten. Jahre zur See und unter rauflustigen Seeleuten hatten ihn gelehrt, wie man sich bei einem Kampf zu verhalten hatte; rasch war der Bursche entwaffnet. Gleichzeitig jagte er ihm mit einem Schlag in den Magen die Luft aus den Rippen. Hoode kam angerannt, um ihm zu helfen.

Der Mann zog sich mit entschuldigendem Wimmern zurück. »Laßt mich in Ruhe, Ihr guten Herren. Ich tue nichts Böses.«

»Leichenfledderei ist eine Sünde und ein Verbrechen«, sagte Nicholas. »Ihr habt die Leiche unseres Freundes ausgeplündert.«

»Ihn stört das nicht mehr.«

»Aber uns.«

»Behandelt mich gerecht«, sagte der Mann und hockte sich auf den Boden. »Ich nehme nur von denen, die nichts mehr brauchen. Alles würde nur in einer Grube voller Lehm landen, wozu sollte das gut sein. Es ist besser, wenn sich die Lebenden damit helfen, als wenn es mit den Leichen in der Grube liegt.«

»Ihr seid ein widerlicher Bursche«, sagte Hoode.

»Die Not zwingt mich dazu, Sir.« Er klang jetzt fast munter. »Die Pest bedeutet für mich Essen und Trinken. Das ist die einzige Möglichkeit, wie wir armen Leute mal für einen Tag reich sein können. Wir leben von den Verstorbenen. Das ist unser Gewinn. Wenn sie nackt sind, können wir uns bekleiden. Wenn sie hungrig sind, können wir essen. Ihre Krankheit sorgt für unsere Gesundheit.«

»Gebt mir zurück, was Ihr ihm weggenommen habt«, verlangte Nicholas.

»Das gehört mir.«

»Den größten Teil könnt ihr behalten. Ich will nur das, was Ihr von der letzten Leiche weggenommen habt. Das war ein guter Freund von uns.«

»Aber nicht von mir«, sagte der Mann schnippisch. »An ihm war überhaupt nichts, was ich hätte nehmen können. Wirklich eine armselige Leiche!«

Nicholas machte Schluß mit weiteren Diskussionen. Er packte den Mann an seinem Bart und riß ihn heftig daran hin und her, bis die Kreatur um Gnade bat.

»Los jetzt, Sir. Gebt mir, was Ihr weggenommen habt.«

Der Mann spuckte wütend aus und öffnete langsam seine geballte linke Hand. Da lag der winzige, juwelenbesetzte Ohrring, den Gabriel Hawkes zu tragen pflegte. Er blitzte in der schmutzigen Hand des Diebes. Nicholas nahm den Ohrring und stand auf, um ihn sich genauer anzusehen. Weder er noch Edmund Hoode rührten sich, als der Mann den Rest seiner Beute ergriff und sich davonmachte.

Die beiden Freunde wechselten einen Blick. Wenigstens diese letzte Entwürdigung hatten sie Gabriel ersparen können. Er hatte in seinem Leben schon wenig genug besessen, er verdiente es nicht, daß man ihm das im Tode auch noch abnahm. Sie gingen zu der Grube zurück und sahen, daß die Leichen darin aufgehäuft wurden, bevor man schaufelweise Kalk über sie warf. Der Gestank war überwältigend, doch sie wandten sich nicht ab. Als sie in die offene Grabstätte blickten, sahen sie Dutzende der gequälten Körper kreuz und quer übereinanderliegen. Es war unmöglich, sie jetzt noch zu unterscheiden.

Nicholas warf den Ohrring in die offene Grube und sandte ein stilles Gebet zum Himmel. Edmund Hoode war von der brutalen Anonymität dieser Massenbeerdigung entsetzt.

»Wer davon ist Gabriel?« fragte er.

»Das weiß nur Gott allein.«         

Sie blieben noch, bis die Arbeiter den schlimmen Anblick durch eine Erdschicht verbargen. Alles war so zweckmäßig und unpersönlich, beide waren tief erschüttert. Als sie sich endlich umwandten und zurückgingen, sprach keiner von ihnen ein Wort. Hoode unterbrach schließlich das lastende Schweigen.             

»Was ist das doch für eine elende Krankheit!«