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»Oder – eine Königstochter«, sagte Mirinri lächelnd und betrachtete zärtlich den Schmuck.

»Was heißt das?« rief der Priester jetzt zornig. »Warum verheimlichst du mir etwas? Womöglich ein Erlebnis, das dich den Kopf kosten kann! Du hast mir von einer Göttin gesprochen ... Wo hast du sie gesehen?«

»Am Nilufer. Sie kam in einer großen, goldglänzenden, mit prächtig gekleideten Negern bemannten Barke. Es war ein wunderschönes Mädchen.«

»Und in ihren Haaren glänzte dieser Schmuck?«

»So ist es. Sie wird ihn am Ufer verloren haben.«

Unis ging in furchtbarer Erregung auf und nieder.

»Und seitdem ich das Mädchen gesehen, ist mein Friede, mein Frohsinn dahin«, fuhr der Jüngling fort. »Sie hat mir ein Stück meines Herzens genommen. Schließe ich die Augen, sehe ich nur sie. Schlafe ich, so träume ich nur von ihr. Säuselt der Wind durch die Palmen längst des Nilufers, so glaube ich ihre Stimme zu hören. Raube mir nicht die Vision – es war eine Göttin.«

»Erzähle, was geschah!«

»Als sie sich über den Rand der Barke neigte, hinter ihr die hohen, mit Straußenfedern besetzten Fächer, die ihre Diener hielten, kam seitlich ein Krokodil heran und packte sie mit seinen Zähnen. Noch höre ich ihren Aufschrei, noch fühle ich den Schauer, der mich durchrieselte, als ich hinzusprang und sie befreite, sie in meine Arme nahm und ans Ufer trug. Dort legte ich sie ins Gras nieder ... und so wird der Haarschmuck ihr entfallen sein.«

»Unglücklicher!« Der Alte stand vor ihm mit flammenden Augen.

»Nun, wenn es wahr ist, daß ich ein Königssohn bin, warum sollte ich dann nicht eine Jungfrau aus königlichem Geschlecht lieben?« fragte Mirinri keck.

»Weil du jenes Geschlecht, dem sie angehört, hassen sollst! Du kennst noch nicht die Geschichte deines Vaters, kennst nicht all die Leiden, die er ertragen mußte ...«

»Erzähle«, bat Mirinri bekümmert. »In deinen Worten soll mein Schicksal liegen.«

»So höre!«

Die Gräber der Quebhudynastie

»Dein Vater, der große Teti, war der Stammvater der 7. Dynastie. Nicht nur Memphis[5] verdankt ihm seine Macht und Größe. Von ihm stammen die wunderbaren Pyramiden, welche nach Jahrtausenden noch stehen werden, nachdem unser Volk längst dahingegangen ist.

Außer einem Sohn besaß er noch eine Tochter, die den Namen Sahur erhielt.«

»Lebt meine Schwester noch?« fragte Mirinri erregt dazwischen.

»Das wirst du später erfahren. Höre zu! Eines Tages kam die Nachricht, daß ein großes chaldäisches Heer sich nahte, um in Ägypten einzudringen. Es hatte schon den Isthmus überschritten, der das Mittelmeer vom Roten Meer trennt, und war ungeheuer stark. Die ihm entgegengeschickten Truppen wurden besiegt, alle Küstenstädte in Flammen gesetzt und alle Einwohner vernichtet. Der Pharaonen letzte Stunde schien geschlagen zu haben. Aber dein Vater war ein Held. Er entstammte der Kriegerkaste. An der Spitze eines eiligst gesammelten neuen Heeres zog er dem Feind entgegen, der bereits gegen Memphis vorrückte. Er mißachtete die Ratschläge seiner Minister und Höflinge, sich nicht selber der Gefahr auszusetzen. Bei On, wo der Nil sich zu verzweigen beginnt, stieß die Phalanx[6] der Ägypter mit den Chaldäern zusammen. Der König kämpfte in den ersten Reihen, um den anderen ein Beispiel zu geben. Unerschrocken trotzte er den feindlichen Waffen und durchbrach die Front des Gegners. Trotzdem aber schwankte der Sieg. Vom Morgengrauen bis zur Dämmerung dauerte das Gemetzel mit großen Verlusten auf beiden Seiten. Der Nil war rotgefärbt von Blut, die ganze Erde blutgetränkt. Berge von Leichen erhoben sich ringsum.[7]

Erst als die Sonne sank, waren die Chaldäer in die Flucht geschlagen. Ägypten war gerettet, dank deinem Vater. Doch hatte jener Triumph dem Sieger Unheil gebracht.«

»Fiel er im Kampf?« fragte Mirinri atemlos.

»Von einem chaldäischen Pfeil verwundet, der ihn in die Brust traf, war er auf dem Schlachtfeld liegen geblieben. In dieser schrecklichen Verwirrung hatte ihn niemand bei den Toten gesucht. Nur einer wußte von seinem Verbleib ...«

»Sein Name?«

»Es war sein Bruder, jener ehrgeizige Pepi, der jetzt über Ägypten herrscht!«

»Der meinem Vater den Thron geraubt hat?«

»Derselbe. Aber laß mich zu Ende erzählen: Pepi verkündigte dem Volk den Tod des Königs. Dein Vater war jedoch nicht tödlich verwundet. Er hatte noch soviel Kraft gehabt, sich den Pfeil aus der Brust zu reißen, hatte aber die Wunde damit vergrößert. Durch den furchtbaren Schmerz war ihm das Bewußtsein geschwunden. Als er wieder zu sich kam, befand er sich in einem Zelt unter schwarzen Hirten, weitab vom Schlachtfeld. Diese hatten sich in der Nacht zum Kampfplatz geschlichen, um die Leichname zu berauben. Als sie die reichen Gewänder deines Vaters sahen, ahnten sie, daß er eine hohe Persönlichkeit war. Sie schleppten ihn mit in ihr Lager, in der Hoffnung auf ein großes Lösegeld.

Dein Vater wurde mit Sorgfalt gepflegt. Die Wunde schloß sich, und er genas langsam. Du kannst dir das Erstaunen der Leute vorstellen, als sie aus seinem Mund hörten, daß er der König Teti sei! Auf seinen Befehl begab sich einer der Männer nach Memphis, um den Ministern zu verkünden, daß der Herrscher Ägyptens noch lebe und erwarte, mit der einem Pharao gebührenden Feierlichkeit geholt zu werden. Der Hirte, der diesen Auftrag erhielt, kehrte jedoch nicht mehr zurück. Da dein Vater befürchtete, daß er auf dem weiten Weg von einer Räuberbande angefallen worden wäre, schickte er einen zweiten Boten, dann einen dritten, doch auch diese beiden sah man nicht mehr.

Voller Unruhe beschloß König Teti nun, obwohl er noch immer sehr schwach war, mit einer kleinen Hirteneskorte sich selbst nach Memphis zu begeben. In der Hauptstadt erfuhr er sofort, daß sein Bruder die Macht an sich gerissen hatte. In dem Glauben, daß der vorige Herrscher tot sei, hatte ihn auch das Volk zum König ausgerufen. Fast alle Freunde deines Vaters und die nächsten Verwandten waren von dem Usurpator heimlich ermordet worden. Und du, mein Sohn, würdest dasselbe Schicksal erfahren haben, wenn den Usurpator[8] nicht die Furcht vor einer Volksrebellion zurückgehalten hätte. Damals zähltest du erst zwei Jahre!«

»Weiter, weiter!« drängte Mirinri ungestüm. Er konnte sich vor Erregung kaum noch beherrschen.

»Was sollte Teti tun? Allein, ohne Heeresmacht, mit noch schwachem, gebrochenem Körper? Er versuchte in Zusammenkünften, die er heimlich einberufen ließ, die neuen Minister zu überzeugen, aber diese Elenden... Teils glaubten sie ihm nicht, teils fürchteten sie sich wohl vor dem neuen, strengen Herrscher. Darum nannten sie Teti einen Lügner, der mit dem Verstorbenen nur eine entfernte Ähnlichkeit hätte. Um ihn des Betruges zu überführen, brachten sie ihn zu der von ihm selber errichteten Pyramide und zeigten ihm dort den Sarkophag[9], wo angeblich die Leiche Tetis I. ruhte.«

»Wen hatte man statt seiner beigesetzt?«

»Irgend jemanden, der ihm ähnelte oder den man unkenntlich gemacht hatte. Er war mit dem Herrschergewand und mit dem Herrschersymbol bekleidet.«

»Aber erzähle mir, wie es kommt, daß ich mich seit Jahren hier in der Höhle befinde?«

»Da dein Vater befürchtete, daß Pepi dich eines Tages doch noch ebenfalls ermorden würde, ließ er dich von einigen wenigen Getreuen, die ihm geblieben und die der Usurpator verschont hatte, entführen. Diese vertrauten dich mir an und beauftragten mich mit deiner Erziehung.

Ich floh mit dir des Nachts aus Memphis, schiffte über den Nil und nahm hier Aufenthalt, wo ich in Ruhe die Zeit abwarten konnte, bis du das Alter erreichtest, welches dir nach unseren Gesetzen erlaubt, das Heft der Regierung in die Hand zu nehmen!«

Beide schwiegen. Mirinri war in tiefes Sinnen versunken. Unis beobachtete ihn, als ob er seine innersten Gedanken erraten wollte.

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5

Memphis Memphis, die Hauptstadt der ersten Pharaonendynastien, erhob sich am linken Nilufer. Sie hatte rasch einen großen Aufschwung erlebt. Ihr größter Ruhm waren die gewaltigen Arbeiten am Nil, durch die die Überschwemmung der Stadt mit Hochwasser verhindert wurde. Die Stadt nahm eine ungeheure Fläche ein, da sie Hunderttausende von Einwohnern beherbergte. Sie dehnte sich mit ihren letzten Häusern bis in die libysche Wüste aus, deren Sand später viel zu ihrer Zerstörung beitrug. Memphis war nicht nur die an Monumenten reichste, an Festungen gewaltigste, sondern auch die am stärksten bevölkerte Stadt der ganzen antiken Welt. Von all den Riesenbauten sind aber nur noch einige Pyramiden geblieben. Außer der Nekropolis, der ältesten der Welt und zugleich größten, ist nichts mehr übrig.

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6

Phalanx Bezeichnung für eine taktische Form der kriegerischen Auseinandersetzung im Fußkampf: der Aufmarsch in eng geschlossener, in mehrere Reihen gestaffelter Formation.

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7

Nil Der Nil hatte den Ruf eines göttlichen Flusses. Die alten Ägypter glaubten, er komme direkt vom Himmel. So unrecht hatten sie mit seiner Verehrung nicht, da ihr Land ohne ihn nie bestanden hätte. 

Die Gewässer des Nils sind die eigentlichen Eroberer Ägyptens gewesen. Das Land besteht nur aus einer kaum 200 Meilen langen Oase. Ihre Breite erreicht an gewissen Stellen gerade eine Meile und am unteren Nillauf zwanzig Meilen. Nur das Delta macht eine Ausnahme. Dieses große Sumpfdreieck ist von außergewöhnlicher Fruchtbarkeit. Wohin aber die Fluten des Nils nicht dringen, ist alles Wüste. Die Fruchtbarkeit des Landes verdankt man nur den periodischen Überschwemmungen der mächtigen Wasserader. 

Diese Überschwemmungen sind natürlich nicht immer gleich. Manchmal genügen sie nicht für die Bodenkultur, manchmal sind sie zu heftig und bedrohen die Umgebung mit Katastrophen. Es ist der Menschenhand aber gelungen, sich sowohl vor der einen wie vor der anderen Gefahr zu schützen. Die Pharaonen waren die ersten, die großartige Werke zu diesem Zweck ausführen ließen. Dämme wurde errichtet, Kanäle gegraben, um das Wasser in alle Provinzen gleichmäßig zu leiten, und große Reservoire gebaut, um es aufzuhalten bei zu reichlicher Flut. Für das höher gelegene Terrain wandte man Bewässerungssysteme an. Mit diesen Werken verhüteten die ägyptischen Könige die Versandung ihres Landes und bereiteten nachkommenden Geschlechtern einen Boden, der sie ernährte.

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8

Usurpator Jemand, der widerrechtlich Staatsgewalt an sich reißt.

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9

Sarkophag ein prunkvoller (Stein)-Sarg.