»Was ist das, Liebe? Ich weiß nur, daß ich Tag und Nacht jene großen Augen vor mir sehe und etwas im Herzen empfinde, das ich mir nicht erklären kann.«
»Diese Empfindung kann dir verhängnisvoll werden und deinen Ruhmesweg hemmen; sie nimmt dem Krieger die Stärke und hindert die Tatkraft. Hüte dich!«
Als sie sieh umwandten und den Weg überblickten, den sie soeben durchwandert hatten, bemerkte Unis einen unheimlichen Schatten auf einem der kleinen Sandhügel.
»Ein Löwe!« rief er erschrocken.
»Der späht schon seit einiger Zeit nach uns«, sprach Mirinri mit Seelenruhe.
»Warum hast du mich nicht aufmerksam gemacht?«
»Wenn es wahr ist, daß ich Kriegerblut in mir habe, warum sollte ich besorgt sein? Mein Vater, der, wie du sagtest, einer ganzen Phalanx von Feinden entgegengetreten ist, würde auch nicht geflohen sein.«
Unis sah ihn von der Seite an, Stolz und zugleich eine gewisse Angst im Blick. »Was willst du tun, wenn er uns angreift?« fragte er.
»Mich vergewissern, ob ich wirklich Pharaonenblut habe, und dir beweisen, daß ich nicht feige geworden bin, trotz der Sehnsucht nach jenem Wesen!«
Und als ob der König der Wüste die Herausforderung verstanden hätte, öffnete er den Rachen zu einem fürchterlichen Gebrüll. Es klang wie ein rollender Donner.
Mirinri nahm das Schwert in die Rechte. Der Priester umklammerte seinen Arm, um ihn zurückzuhalten.
»Du sollst dich nicht der Gefahr aussetzen! Ich bin alt und habe keine Aufgabe mehr zu erfüllen. Greift das Untier uns an, so werde ich ihm entgegentreten. Du brauchst mir keine Probe deines Muts zu geben, denn in deinen Augen sehe ich dasselbe Feuer, das deinen Vater zu Taten zwang!«
Mirinri aber riß sich los und schritt dem Löwen entgegen, der von neuem brüllte und die Flanken mit dem Schwanz peitschte. Jetzt hielt ihn der Alte nicht mehr zurück. Der Löwe erhob sich beim Nahen der Beute aus seiner kauernden Stellung und schüttelte seine dichte Mähne. Es war ein herrliches Tier, stark gebaut und mit rötlichem Fell. Ohne sich nach Unis umzuschauen, trat Mirinri ruhig und unerschrocken der Bestie entgegen. Seine Augen hefteten sich fest auf den Gegner und beobachteten ihn.
Heulend sprang der Löwe in mächtigen Sätzen über die Sanddünen. Er umkreiste die beiden Männer in weitem Bogen, dann immer enger und enger, als ob er nur den Augenblick abwarten wollte, sich auf sie zu stürzen.
Mirinri blieb kaltblütig, beobachtend. Seine Schwertspitze blitzte im Mondschein, während Unis kniend, mit der Waffe in der Hand, den Bewegungen des wilden Tieres folgte. Auf seinem Antlitz lag tiefe Erregung.
Des Löwen Sprünge wurden immer ungestümer. Seine Kräfte schienen sich verdoppelt zu haben. Mirinri erwartete, fest wie eine Bronzestatue, den Angriff. Plötzlich schnellte die Bestie los und warf sich auf die Männer. Ihr Geheul klang wie eine Kriegsfanfare. Sie hatte sich aber nicht den Jüngling als ersten Raub auserwählt, sondern den Alten. Augenscheinlich wollte sie ihm das Rückgrat zerfleischen, doch traf ihre Tatze bei dem Sprung nur seine Schulter.
Jetzt drückte sie ihr Opfer auf den Erdboden nieder, um es hin und her zu wälzen; da fiel Mirinri mit blitzartiger Schnelligkeit über sie. Während er mit der Linken in die dichte Mähne griff, stieß er mit der andern Hand das Schwert bis zum Knauf in den Rücken des Tieres.
Doch war es noch kein vollständiger Sieg. Obgleich schwer verwundet und blutend, hatte der Löwe noch Kraft genug, um zurückzuspringen. In kauernder Stellung schien er den Angriff erneuern zu wollen.
»Sei auf der Hut, Mirinri!« schrie Unis mit angsterfüllter Stimme. Er hatte sich vom Boden erhoben.
Der Jüngling hörte ihn kaum. Mit funkelnden Blicken das Tier fixierend, schritt er mit dem blutigen Schwert darauf zu. Es schien, als ob diese Blicke den Löwen in Bann hielten, so daß er den erneuerten Ansturm nicht mehr wagte.
Mirinri stieß zu. Der Greis sah die beiden Kämpfenden wie durch einen Nebel. Dann hörte er einen Triumphschrei. Als der Schleier von des Priesters Augen fiel, erblickte er Mirinri mit erhobener Stirn. Der Jüngling hatte den Fuß auf den zuckenden Körper des Tieres gesetzt.
Unis atmete auf. Es war sein würdiger Schüler, der Sohn Tetis, der dem Lande der Pharaonen zu Ruhm und Macht verhelfen sollte!
Mirinri wandte sich zu ihm. »So werde ich einst den Usurpator töten, der meinem Vater und mir den Thron geraubt hat. Jetzt zweifle ich nicht mehr!«
»Du bist tapfer. Aber laß uns schnell weitergehen, ich will dir noch andere Beweise geben. Die Sterne erbleichen schon. Auch der Kometenschweif scheint zu erlöschen. Komm!«
Der Jüngling warf noch einen letzten Blick auf den Löwen, der keinen Laut mehr von sich gab, beobachtete einige Sekunden den Kometen und folgte dann dem Priester. Und weiter wanderten sie. Tiefes Schweigen herrschte auf dem dürren, unfruchtbaren Gelände. Die Klage des sterbenden Löwen hatte die Hyänen und Schakale verscheucht.
Endlich unterbrach der Alte die Stille: »Siehst du die Pyramide dort unten? Dein Vater hat sie erbauen lassen.«[11]
Mirinri schaute nach Norden und gewahrte eine große, schwarze Steinmasse, die sich dort im Dämmerschein des Morgens gigantisch erhob. »Das Grabmal meiner Dynastie«, sprach der Jüngling, wie zu sich selbst, »wo wir die heilige Osirisblume[12] finden werden!«
Noch zwei andere Steinmonumente zeichneten sich jetzt am Horizont ab. Der erste lichte Schein der Dämmerung tauchte auf.
»Sind das die Memnonsäulen?« fragte Mirinri.
»Ja. Jetzt ist die Stunde da. Beeilen wir uns! Der Stein ertönt nur im Augenblick, wo die Sonne aufgeht!«
Der Sohn der Sonne
Unis und Mirinri näherten sich rasch den beiden Kolossen. Der Himmel nahm gegen Osten schon eine leise Röte an, die auf den baldigen Sonnenaufgang hinwies.
Mirinri blieb, überrascht und sichtbar bewegt, vor den Bildsäulen stehen, die in riesenhafter Form zwei sitzende, miteinander verbundene Gestalten darstellten. Er schaute klopfenden Herzens zu ihnen empor. Wenn er wirklich Pharao war, so mußte der Stein bei Sonnenaufgang tönen. Blieb er aber stumm, dann waren alle Träume von Ruhm und Größe vereitelt.
Der Priester sah den angsterfüllten Blick seines Zöglings und lächelte. Er schien seiner Sache gewiß zu sein. »Es ist der richtige Augenblick!« sagte er, den Himmel betrachtend.
Sie gingen nun um die Bildsäule herum und stiegen die Stufen hinauf bis zu den Knien des Kolosses, wo sie sich niederließen. Hier mußte man den Ton am besten vernehmen können.
»Wird der Sohn Auroras wirklich sprechen?« fragte Mirinri mit bleichem Antlitz.
»Ja, denn du bist Tetis Sohn!« antwortete der Greis.
»Und wenn du dich getäuscht hättest?«
Wieder umspielte ein Lächeln Unis' Lippen. »Horch!« rief er. In diesem Moment erhob sich die Sonne und warf ihre Strahlen auf die beiden Statuen, die sofort erglühten. Mirinri wandte sich um und lauschte. Sein Herz, das keinen Augenblick vor dem Löwen gezittert hatte, schlug nun ebenso heftig wie damals, als er das Mädchen, das er vor dem Krokodil gerettet hatte, in den Armen hielt.
Die Sonne stieg empor und bestrahlte jetzt die endlose Ebene. Aber die Statue blieb stumm. Unis blickte mit gefurchter Stirn zum Himmel.
Mit einem Mal ließ sich ein leises Knistern vernehmen, das sich verstärkte und zu einem klaren Ton wurde.
Den Lippen des Jünglings entfuhr ein Schrei. Er hatte sich blitzschnell erhoben.
Seine Augen glänzten. Sein Gesicht war von einer unaussprechlichen Freude verklärt.
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War der erste Schub Handwerker erschöpft oder war ihre Zahl durch die Anstrengungen in dem brennend heißen Klima verringert worden, so wurden die Leute nach Hause geschickt und durch die Bewohner einer anderen Provinz ersetzt. Die Regierung gab diesen Zwangsarbeitern nur die Beköstigung, die hauptsächlich in Rüben und andern Gemüsen bestand. Und doch erforderten auch diese enorme Summen, denn man mußte Tausende und Abertausende beköstigen. (Später setzte man für diese Arbeiten Kriegsgefangene ein. Auf diese Weise wurden all die großen Hochbauten sowie auch unterirdische Gewölbe, Kanäle, Staubecken und Dämme ausgeführt. Menschenarme ersetzten Maschinen.)
Solange der König lebte, wurde die Arbeit nicht unterbrochen. Die Pyramide wurde um so größer, je länger das Leben des Herrschers dauerte. Auf diese Weise ist die Cheopspyramide die größte erhaltene ihrer Art geworden, da ihr Erbauer noch 56 Jahre nach seiner Thronbesteigung lebte. Jede ihrer Fassadenseiten mißt 233 Meter, und ihre Höhe beträgt 137 Meter. Man glaubt jedoch, daß sie einst noch viel umfangreicher und höher gewesen ist.
Wie in den Mastabas, die sich die reichen Ägypter erbauen ließen, gab es auch in den Pyramiden gewundene Gänge, »Serdabs« genannt, in deren Mitte sich die Zella befand, der zur Aufnahme der Königsleiche bestimmte Raum. Um einen Einsturz unter dem Druck der darüberliegenden Steinmassen vorzubeugen, bauten die ägyptischen Architekten über die Zella fünf leere, luftige Kammern, eine über die andere. Die oberste wurde von zwei schräg liegenden Blöcken überdacht, welche bereits dort den Druck der massigen Steinreihen verteilten. In den Pyramiden offenbart sich das Genie der ägyptischen Baumeister des Altertums. Leider wurden die meisten Bauten zerstört, da ihr Material zum Bau von Theben und anderen Städten verwandt wurde.
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